Handelspolitik braucht Menschenrechte

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Ein EU-weites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen will die Macht der Konzerne brechen und stattdessen faire Globalisierung erreichen.
Ohne Wirtschaft gäbe es keine Europäische Union. Und ohne EU gäbe es keine gemeinsamen Rechte, keine gemeinsamen Konsumentenschutzstandards, keine gemeinsamen Kultur- und Bildungsprogramme und keinerlei politische Union. Das Ende der Fahnenstange ist freilich noch lange nicht erreicht. Das gilt umso mehr für die EU-Handelspolitik mit Drittstaaten wie Kanada oder asiatischen Ländern.

Heftige Proteste gegen CETA

Im Bereich des Handels und der Investitionen haben sich die tonangebenden Kräfte in der EU dem Postulat der freien Märkte und der fortschreitenden Deregulierung verschrieben. Am Beispiel von CETA, dem EU-Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Kanada, das im Oktober 2016 unterzeichnet wurde, war deutlich zu sehen: Investoren werden mit großzügigen Rechten auf europäischem Boden bedacht – zum Missfallen der europäischen Zivilgesellschaft wie auch der Gewerkschaften. Heftige Proteste gegen CETA waren die Folge. Dennoch haben dem Abkommen letztlich alle Mitgliedstaaten zugestimmt.

Trotz Protesten haben dem Abkommen letztlich alle Mitgliedstaaten zugestimmt.

Nachdem als einziges Mitgliedsland Belgien beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Überprüfung beantragt hatte, ob CETA grundsätzlich mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, wurde erst vor wenigen Tagen grünes Licht gegeben.

Problemfall: „Investor-state dispute settlements“ (ISDS)

Wie viele internationale Abkommen enthält auch CETA einen Mechanismus, wie Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten zu schlichten sind. Bei diesen „Investor-state dispute settlements“ (ISDS) geht es darum, dass sich die Investoren aus Drittstaaten, vereinfacht gesagt, schadlos halten in EU-Staaten.

Belgien hatte deshalb Bedenken geäußert im Hinblick auf die Autonomie des EU-Rechts und den Gleichheitssatz sowie hinsichtlich des Rechts auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht. Der EuGH teilt diese Bedenken nicht. Denn: Das CETA-Schiedsgericht darf EU-Recht (mit Ausnahme der in CETA enthaltenen Bestimmungen) nicht anwenden. Es muss die bereits herrschende Auslegung des EU-Rechts übernehmen und darf keine eigene Auslegung vornehmen. Der Gleichheitssatz sei nicht verletzt, weil bei kanadischen und europäischen Investoren in der EU unterschiedlich gelagerte Sachverhalte vorlägen, die nicht gleich behandelt werden müssen. Beim Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht sieht der EuGH ebenso kein Problem.

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In den vergangenen 30 Jahren hat die Anzahl der ISDS-Fälle ständig zugenommen.

Grundsätzlich bedenklich ist jedoch, dass in den vergangenen 30 Jahren die Anzahl der ISDS-Fälle ständig zugenommen hat. Das bedeutet: Immer mehr Investoren klagen einen Staat vor einem Schiedsgericht auf Schadenersatz. Bis Ende 2018 waren es 942 ISDS-Fälle weltweit, berichtet Sarah Bruckner von der Abteilung EU & Internationales der Arbeiterkammer (AK) Wien. Österreich wurde bisher zweimal verklagt. Deutschland wurde beispielsweise aufgrund des beschlossenen Ausstiegs aus der Atomkraft vom Investor Vattenfall auf Schadenersatz geklagt. Hier warnen KritikerInnen vor großen Gefahren und Nachteilen.

Die in völkerrechtlichen Abkommen, wie es EU-Handels- oder -Investitionsschutzabkommen sind, festgelegten Schutzstandards für „ausländische“ Investitionen, also aus Drittstaaten Nordamerikas oder Südostasiens etwa, gehen nämlich weit über die Eigentumsrechte in nationalen Rechtsordnungen hinaus, erläutert Europarechtlerin Bruckner. „Die Rechnung zahlt in der Regel der Staat. Es gibt eine feste Rollenverteilung: Der Investor befindet sich stets auf der Klägerseite, der Staat auf der Beklagtenseite. Den umgekehrten Fall gibt es nicht.“

Kampagne „Rechte für Menschen, Regeln für Konzerne – Stopp ISDS“

Die Online-Petition läuft noch bis Jahresende. Hier kann sie unterzeichnet werden: https://www.anders-handeln.at/

Eine neue europäische Kampagne fordert daher das Ende von Investitionsschutzbestimmungen: Es ist ein Bündnis von über 200 europäischen, globalisierungskritischen und kirchlichen Organisationen, Gewerkschaften sowie ökologischen und sozialen Bewegungen, das sich gegen die bisherige EU-Investitionspolitik wendet. Die Kampagne „Rechte für Menschen, Regeln für Konzerne – Stopp ISDS“ hat seit Jahresbeginn mehr als eine halbe Million Unterschriften gesammelt. Die Online-Petition läuft noch bis Jahresende.

Das Ziel der Kampagne: Konzerne verbindlich in die Pflicht nehmen und auf Menschenrechte achten.

Die EU und die Mitgliedstaaten werden darin aufgefordert, Konzerne verbindlich in die Pflicht zu nehmen, Menschenrechte zu achten. Was es geben soll, ist „eine gänzlich neue Handels- und Investitionspolitik, die Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt und nicht den Profit einiger weniger“. Das Szenario der OrganisatorInnen: „Wir wollen Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards ausbauen, statt sie im Teufelskreis der Standortkonkurrenz immer weiter auszuhöhlen. Kleine und mittlere Unternehmen, die sozial und ökologisch arbeiten, werden gegenüber großen Konzernen nicht länger benachteiligt; Beschäftigte sowie Bauern und Bäuerinnen in unterschiedlichen Ländern nicht länger gegeneinander ausgespielt. Handel trägt dazu bei, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, statt Ausbeutung von Mensch und Natur und Dumping zu fördern.“

Ein gutes Leben für alle – das wäre schon etwas.

Über den/die Autor:in

Heike Hausensteiner

Heike Hausensteiner ist seit ihrer Schulzeit Anhängerin der Aufklärung. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie im Burgenland, studierte sie Sprach- und Europawissenschaften in Paris, Mailand, Wien und Krems/Donau. Als politische Redakteurin begann sie ihre journalistische Laufbahn 1996 bei der "Wiener Zeitung", wo sie u.a. auch das Europa-Ressort gründete. Nach einjähriger Baby-Karenz machte sie sich 2006 selbstständig und arbeitet seither als freie Journalistin für Zeitungen, Magazine und Online-Medien in Österreich und Deutschland sowie als Autorin (u.a. "Im Maschinenraum Europas. Die österreichische Sozialdemokratie im Europäischen Parlament", 2013) und Moderatorin. Sie lebt mit ihrer Familie und 2 Katzen in Wien.

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