Gefährliches Spiel mit Standards

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  1. Seite 1 - Gold Plating – was ist das?
  2. Seite 2 - Über das Mindestmaß hinaus
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Streichung von Gold Plating: Abbau von Schutzstandards für die Bevölkerung im Eiltempo.

Über das Mindestmaß hinaus

Die Standards, die letztlich gestrichen werden sollen, könnten en bloc gegen Ende des Jahres bzw. Anfang kommenden Jahres verabschiedet werden. Viele der Regeln, die in einem durchdachten demokratischen Prozess – abgestimmt mit den VertreterInnen der früheren Regierungskoalitionen, zumeist unter Mitwirkung der Sozialpartner – beschlossen wurden, wären damit ohne viel Diskussion weggewischt. Dass es zu einer Streichung von Beschäftigten-, KonsumentInnen- oder Umweltstandards kommen könnte, streitet der zuständige Bundesminister Josef Moser allerdings ab. Seiner Darstellung nach sollen die infrage stehenden gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, Beschäftigung und Sozialstandards untersucht werden.

Österreich geht in vielen gesellschaftspolitischen Bereichen über das in den EU-Richtlinien formulierte absolute Mindestmaß hinaus:

  • Gemäß der Arbeitszeitrichtlinie ist ein bezahlter Jahresurlaub von mindestens vier Wochen im Jahr vorgesehen. Das österreichische Arbeitsrecht sieht im Vergleich dazu einen bezahlten Jahresurlaub von mindestens fünf Wochen bzw. nach 25 Jahren Dienstzeit sechs Wochen vor. Das Gold Plating bringt in diesem Fall also ein bis zwei Wochen mehr Jahresurlaub – ermöglicht durch nationale Regelungen.
  • Beim VerbraucherInnenschutz geht Österreich ebenso in vielen Fällen über die EU-Mindeststandards hinaus. Bei Strom und Gas etwa ist eine Grundversorgung auch bei Zahlungsschwierigkeiten in Österreich gesetzlich verankert. Auch diese Regelung geht über die Vorschriften in den EU-Rechtstexten hinaus. Ein weiteres Beispiel ist die Deckelung der Pönale, wenn der Konsument bzw. die Konsumentin seinen bzw. ihren VerbraucherInnenkredit vorzeitig zurückzahlt. Diese beträgt ein Prozent des vorzeitig zurückgezahlten Betrags (früher waren es sogar fünf Prozent). In der EU-Verbraucherkreditrichtlinie ist eine derartige Deckelung nicht vorgesehen.
  • Aus den Erfahrungen mit (illegalen) Mülldeponien und deren kosten- und zeitaufwendiger Sanierung hat Österreich strenge Standards für die Errichtung von Deponien und deren Betrieb entwickelt. Diese gehen weit über die vagen Formulierungen in der EU-Deponienrichtlinie hinaus. Sie haben vor allem bei Bevölkerung und Wirtschaft Vertrauen geschaffen. Müllentsorgungsprobleme, wie es sie beispielsweise in Italien gibt, kennt Österreich daher nicht.

Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, die der Definition nach als Gold Plating eingestuft werden müssten. Regelungen zum Mutterschutz, zur Elternkarenz, zu LeiharbeitnehmerInnen, zur Entsendung von Beschäftigten, zur Berufsqualifikation, aber auch zu wirtschaftspolitischen Bereichen wie der Energiepolitik und der Kontrolle von Unternehmen fallen beispielsweise ebenso darunter.

Eine ähnliche Entwicklung wie in Österreich kann man auch auf EU-Ebene verfolgen. Seit vielen Jahren arbeitet die Europäische Kommission daran, die „überbordende Bürokratie“ auf EU-Ebene abzubauen. Die Beteuerung der Kommission: Es gehe ihr um die BürgerInnen, um die Gesellschaft und auch um die kleinen Unternehmen. Im Rahmen von REFIT, dem Programm zum Abbau von Verwaltungslasten, soll mehr Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung gewährleistet werden – auf den ersten Blick eine begrüßenswerte Initiative. Ein Blick hinter die Kulissen sorgt jedoch für Ernüchterung. Eine eigene von der Kommission eingesetzte hochrangige Gruppe unter dem Vorsitz des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber stellt im Abschlussbericht klar: Es ist die konsequente Anwendung des Prinzips „Vorfahrt für Klein- und Mittelunternehmen“ vorzusehen. Die Gruppe um Stoiber empfiehlt im Bericht darüber hinaus den Mitgliedstaaten ausdrücklich, das Gold Plating auf nationaler Ebene zu überprüfen.

Von den Anliegen der Beschäftigten und der Gesellschaft ist in der weiteren Folge nichts mehr zu lesen, ganz im Gegenteil: Die derzeit in Verhandlung befindliche REFIT-Initiative zur Einführung der sogenannten Europäischen Elektronischen Dienstleistungskarte würde beispielsweise Scheinselbstständigkeit und Scheinentsendungen fördern. Sie schadet also den Beschäftigten.

Parallelen zum Steueroasen-Skandal

Bei der Gold-Plating-Diskussion zeigen sich Parallelen zu den Gewinnverlagerungen der Konzerne in Steueroasen: Das Verhalten von Steuersumpf-Ländern führt zu einem Wettlauf um die niedrigsten Gewinnsteuersätze auf Kosten anderer Staaten. Ähnliches könnte beim Gold Plating passieren. Die Mitgliedsländer könnten einen Wettkampf um die schlechtesten möglichen Standards beginnen. Dieses Verhalten hätte gravierende negative Folgewirkungen für die gesamte Gesellschaft. Gewinner wären wie schon bei den Steueroasen-Skandalen hauptsächlich Großindustrielle und multinationale Konzerne.

Von
Frank Ey
Abteilung EU & Internationales der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/18.

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