Exzellenz hat kein Geschlecht

Foto (C) Herrgott Ricardo/Verlagsgruppe News/picturedesk.com
Es war eine Premiere in der 200-jährigen Geschichte der ­ TU Wien: Sabine Seidler zog im Jahr 2011 als erste Frau ins Rektorat des Hauses am Karlsplatz.

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Die Zahl weiblicher Führungskräfte steigt nur langsam. Welche Maßnahmen setzen Unis, um die gläserne Decke zu durchstoßen?
Als Corinna Engelhardt-Nowitzki im Jahr 2003 ihre Stelle an der Montanuniversität Leoben antrat, war sie Pionierin: Sie ist die erste Professorin an der steirischen Uni. Die gebürtige Münchnerin baute den Lehrstuhl für Industrielogistik auf. An der Montanuni hatte Engelhardt-Nowitzki einst berufsbegleitend promoviert.

Die Richtige für die Stelle

Als sie der Ruf ereilte, hatte sie zehn Jahre in der Industrie gearbeitet. „Ich kam zwar aus einer Männerdomäne, aber es war anfangs ein seltsames Gefühl. Damen wurden behandelt wie Ehrengäste, nicht wie alle anderen.“ Sie fügte sich aber rasch gut ins Kollegium ein, wie sie erzählt. Es ärgerte sie nur, wenn sie irgendjemand als „Quotenfrau“ bezeichnete: „Ich war mit meiner praktischen Expertise einfach die Richtige für die Stelle.“

Die Zahl der Studentinnen wächst an allen Universitäten. Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen sind nicht mehr ungewöhnlich, aber eben auch nicht selbstverständlich. Von 21 Universitäten werden sieben von Frauen geführt. Zwar ist der Anteil der Professorinnen in den letzten Jahren angestiegen – Anfang der 1980er-Jahre lag er bei 4,7 Prozent, bis 2000 stieg er auf gerade einmal sechs Prozent –, dennoch sind heute nur 23 Prozent der ProfessorInnen Frauen.

Das Universitätsgesetz von 2002 brachte den Unis mehr Autonomie, sie bauten Managementstrukturen auf. „Frauen haben davon aber nur an einigen wenigen Universitäten profitiert“, sagt Soziologin Angelika Striedinger. Sie ist Teil eines Teams von vier Forscherinnen, das im Rahmen eines FWF-Projekts Gleichstellungsarbeit an vier unterschiedlich ausgerichteten Unis untersucht hat.

Ernüchterndes Resultat

Das Resultat war ernüchternd: Nur eine der Unis hat Gleichstellungsagenden umfassend in der Struktur verankert. Zum Zeitpunkt der Untersuchung gab es mehrere Personen im Rektorat mit entsprechender Expertise und Prozesse wurden transparent gehalten. „Es erleichtert Gleichstellung enorm, wenn man weiß, wie Entscheidungen getroffen werden“, so Striedinger. Bei anderen Unis sei diese Thematik personenabhängiger und willkürlicher. „Das Wichtigste ist, dass der Gegensatz zwischen Gleichstellung und Qualität bzw. Exzellenz überwunden wird“, betont die Soziologin. Einige Unis würden das als zwei Pole begreifen. „Dabei verhindert Diskriminierung, dass alle ihr volles Potenzial ausschöpfen können.“

Frauenprofessuren

Die Technische Universität Wien hat mit Sabine Seidler seit 2011 erstmals eine Rektorin. An dieser Universität zeigt sich deutlich, dass der Frauenanteil je nach Universität und Studienrichtung variiert. In technischen Universitäten sind Frauen deutlich seltener anzutreffen: Von den 153 ProfessorInnenstellen sind an der TU Wien 18 von Frauen besetzt, von 52 Instituten haben drei eine Vorständin. Aktuell gibt es noch keine Dekanin. Geht es nach Brigitte Ratzer, Leiterin der Abteilung Genderkompetenz, soll sich das ändern. Zunächst brauche es mehr Studentinnen in der Technik und somit andere Rollenbilder. „Viele LehrerInnen sind nicht in der Lage, Mädchen und Burschen das Gleiche zuzutrauen und zu vermitteln“, stellt Ratzer fest.

Die TU organisiert Workshops, die Schülerinnen über Perspektiven in der Technik informieren. Zudem werden Maßnahmen für Nachwuchswissenschafterinnen koordiniert – von Coaching und Mentoring bis zu „Anti-Bias-Workshops“.

Um die Vergabe von zwei Frauenprofessuren und zwei Laufbahnstellen gab es 2015 einen Wettbewerb, bei dem die acht Fakultäten Frauenfördermaßnahmen vorstellten. Der Clou: „Alle sich bewerbenden Fakultäten mussten ihre Konzepte umsetzen, egal wer den Zuschlag erhält“, so Ratzer. An der TU Wien gibt es einige Jobangebote, die sich explizit an Frauen richten, unter anderem zwei Laufbahnstellen. Diese Stellen sehen einen sechsjährigen Arbeitsvertrag mit Qualifizierungsvereinbarungen vor. Dann soll der Umstieg auf eine unbefristete Stelle als assoziierte Professorin folgen. Ratzer plädiert dafür, Auswahlkriterien für Professuren zu ändern und außeruniversitäre Leistungen besser zu bewerten.

Laufbahnstellen, die explizit für Frauen vorgesehen sind, kann Soziologin Striedinger etwas abgewinnen, sofern bei der Vergabe der nicht geschlechtsbezogenen Stellen Frauen nicht benachteiligt werden. Die „gläserne Decke“ wird insbesondere nach dem Doktorat sichtbar, denn an dieser Schnittstelle gibt es eine hohe Drop-out-Quote von Frauen. Das zeigt sich etwa an der Uni Wien: Während der Frauenanteil bei Doktoraten im Jahr 2013 bei 51 Prozent lag, betrug er bei Habilitationen nur noch 37 Prozent.

Auch in der Wissenschaft ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für viele herausfordernd. Nach wie vor trifft das Frauen mehr als Männer, denn ohne Partner oder Partnerin, der/die sich mehr um die Familienarbeit kümmert, lässt sich dies kaum vereinbaren. Als Corinna Engelhardt-Nowitzki ihre beiden Kinder bekam (heute sind sie neun und zwölf), war sie Professorin. Ein Vorteil: „Ich konnte mir meine Zeit flexibler einteilen.“ Ohne Unterstützung ihres Mannes hätte es aber nicht so gut funktioniert. Er hat eine halbe Lehrverpflichtung an einem Gymnasium.

An der Uni Wien gibt es eigene Curricula für Frauen, in denen Karrierestrategien erarbeitet werden. Angeboten werden Coachings für Wissenschafterinnen oder Doktorandinnenkollegs, wo Frauen unterschiedlicher Zweige, aber mit ähnlicher Thematik, zusammenarbeiten. Die IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen hat den Überblick. „Wir sprechen Frauen explizit an, wie sie im wissenschaftlichen Bereich vorankommen können.“ Ein wesentlicher Faktor sei das Prekariat unter Frauen. „Es braucht individuelle Förderung und mehr ausfinanzierte Stellen nach dem Doktorat“, fordert IG-Vorstandsmitglied Maria Dabringer.

Jobs mit Zukunft sind das eine, Vernetzung untereinander ist das andere. Netzwerken, wie männliche Wissenschafter das seit Langem machen, helfe. Doch unterstützen sich Frauen, stößt das oftmals auf Unverständnis. „Wenn Männer sich organisieren, gilt das als professionell, bei Frauen seien das ‚Selbsthilfegruppen‘“, kritisiert Dabringer.

Mentoring und Anerkennung

Aufgeräumt werden muss mit einem weiteren Irrglauben: „Frauenförderung wird oft unbewusst als Nachhilfe verstanden. Es geht aber nicht darum, Defizite aufzuarbeiten, sondern Stärken aufzuzeigen“, sagt Sylwia Bukowska, Leiterin der Abteilung Gleichstellung und Diversität der Universität Wien. „Es gilt, Barrieren im System aufzuzeigen, Wissenschafterinnen zu bestärken und Momente des Scheiterns auch im Kontext des Wissenschaftssystems mit seinen Ausschlussmechanismen zu verstehen.“ Sensibilisierung und breit aufgestellte Individualförderprogramme hätten Prozesse bereits verbessert. Besonders erfolgreich war Mentoring.

Die Programme werden derzeit neu konzipiert. Im Herbst 2018 beginnt eine Programmversion für Praedoc- und im Jahr darauf Mentoring für Postdoc-Wissenschafterinnen. Anfang nächsten Jahres startet eine österreichweite Datenbank mit Infos zur Gleichstellung an heimischen Unis.

Die Quote wirkt

Dass der Frauenanteil auch beim wissenschaftlichen Personal gestiegen ist, ist eng mit der Quote verbunden. Demnach soll der Frauenanteil bei 50 Prozent liegen. Soziologin Angelika Striedinger beobachtete, dass diese Vorgabe den Frauenanteil in den Rektoraten steigen ließ und den Aufstieg von Frauen an die Spitze der Universitäten förderte.

„Alle Expertinnen sind sich einig, dass Quoten zurzeit notwendig sind zur Herstellung der Chancengleichheit.“ Dabei gehe es nicht um eine generelle Bevorzugung. „Eine Frau bekommt den Job nur bei gleich guter Qualifikation – und das übersehen viele in der Quoten-Debatte“, so Bukowska von der Universität Wien. Die große Frage ist allerdings auch an den Universitäten: Wie kann das System so gestaltet werden, dass alle Geschlechter gleiche Chancen haben, sodass sich sowohl Frauenförderung als auch -quote schlichtweg erübrigen?

Gender Index 2016:
tinyurl.com/y72ax2tl

Von
Udo Seelhofer und Sandra Knopp
Freie JournalistInnen

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/17.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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