Sozialpolitisches Power-Trio in Brüssel

Evelyn Regner, Wolfgang Katzian und Oliver Röpke stärken den sozialen Dialog auf europäischer Ebene – und damit auch die Demokratie. Ihre Erfolge und Anliegen im Überblick.

Was für eine Konstellation. Gleich drei einflussreiche gewerkschaftliche Akteur:innen aus Österreich sind federführend für soziale und beschäftigungspolitische Anliegen in Brüssel tätig. Evelyn Regner, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Wolfgang Katzian, ÖGB-Chef und Boss des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), sowie Oliver Röpke, Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA). Sie  sind das Power-Trio auf oberster europäischer Ebene. Und sie arbeiten auch eng zusammen. „Wir stimmen uns regelmäßig ab. Der direkte Draht funktioniert, wenn es um Beschäftigte geht“, erklärt Katzian das gemeinsame Engagement.

Die Kooperation der Dreierspitze und die Ergebnisse ihrer Arbeit finden Gefallen – auch in der EU-Kommission. „Sie bringen die Kultur des sozialen Dialoges ein“, betont Nicolas Schmit, Kommissar für Beschäftigung und Sozialpolitik. Gerade im permanenten Krisenmodus der EU, in der transformative Herausforderungen zum Dauerzustand geworden sind, setzen Regner, Röpke und Katzian wichtige Signale. Globale Umwälzungen und aufstrebende Technologien wie die künstliche Intelligenz verändern Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Gesellschaft. Hinzu kommt der demografische Wandel. All das wirft Fragen nach dem Stellenwert und der Mitsprache von Arbeitnehmer:innen auf. Die Frage, ob Regierungen auch künftig den Sozialstaat finanzieren werden, macht immer mehr Menschen Angst.

„Klimawandel und Digitalisierung fair gestalten“

Einen „Trend in die falsche Richtung“ ortet der oberste Gewerkschafter auch in der Untätigkeit der EU-Kommission „im Kampf gegen betrügerische Unternehmen sowie bei Reformen, wie dem Mobilitätspaket“. Sie sorgen dafür, dass „das Lohn- und Sozialdumping sich wieder ausweitet.“

Der EGB-Boss verlangt auch ein „stärkeres Mitspracherecht für Arbeitnehmer:innen und Gewerkschaften“, um gemeinsam „die großen Transformationsprozesse Klimawandel und Digitalisierung fair zu gestalten“. Katzian unterstreicht die Notwendigkeit eines neuen Wirtschafts- und Sozialmodells, „bei dem die Arbeitnehmer:innen an erster Stelle stehen“. Es müsse „echte Veränderungen geben und nicht eine Rückkehr zum schädlichen Defizitabbau“. Dafür sei „der soziale Dialog der Schlüssel“.

Mindestlohn, Lohntransparenz, Frauenquote

Auf diese Entwicklungen reagieren Katzian, Regner und Röpke. Zuletzt konnten wichtige politische Fortschritte im Sozialbereich erzielt werden. Die Richtlinie zum gesetzlichen Mindestlohn zwingt Niedriglohnländer, die Gehälter anzuheben. An der Einigung waren Regner und Röpke maßgeblich beteiligt. Hierzulande sind Mindestlöhne in so gut wie allen Branchen durch Kollektivverträge geregelt (98 Prozent). Dieses österreichische Modell gilt für EU-Kommissar Schmit als Vorbild für Europa.

Wolfgang Katzian wurde im Mai 2023 zum EGB-Präsidenten gewählt. Inhaltlich fordert er „wirksame Maßnahmen, um die Inflation zu bremsen und die Lebenskosten zu senken“. Auch der umstrittene Schuldenabbau in der EU lässt ihn nicht los. Katzian wendet sich entschieden gegen die Austeritätspolitik. „Die neuen Pläne der EU-Kommission sind faktisch eine Neuauflage des alten Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Griechenland, Italien, Frankreich, Spanien und Belgien drohen harte Maßnahmen und Haushaltskürzungen von mehreren Milliarden Euro pro Jahr. Die angekündigten Sparmaßnahmen werden vor allem Arbeitnehmer:innen treffen.“

Evelyn Regner: Europas Jeanne d’Arc

Für ein neues Wirtschafts- und Sozialmodell setzt sich Evelyn Regner ein, wie sie auch im Interview erklärt. Im Fokus ihrer Arbeit stehen Frauen- und Gleichstellungsthemen, wie das Schließen der Lohnschere. Als Haupterrungenschaft der laufenden Amtszeit nennt sie die verbindliche Frauenquote in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen. „Zehn Jahre lag die Richtlinie auf Eis“, jetzt freut sie sich, dass „Frauen nun endlich die gläserne Decke durchbrechen können“. Über Parteigrenzen hinweg ist Regner für ihre Bemühungen gegen Steuerhinterziehung und Korruption bekannt. Sie war Hauptverhandlerin für die Konzernsteuertransparenz-Richtlinie, noch in dieser Legislaturperiode will sie eine neue Steuerbemessungsgrundlage von Unternehmensgruppen unter Dach und Fach bringen. Künftig sollen Konzerne nicht nur offenlegen, wo sie ihre Steuern zahlen, sie sollen auch eine einheitliche Steuerbemessungsgrundlage bekommen.

Portrait Evelyn Regner, Vizepräsidentin des EU-Parlaments.
Evelyn Regner, Vizepräsidentin des EU-Parlaments. | © Michael Mazohl

Bekannt als Jeanne d’Arc im Kampf gegen Geldwäsche, arbeitet Regner auch an einem Anti-Geldwäsche-Paket. „Innerhalb dieser neuen EU-Gesetze zur Anti-Geldwäsche ist auch ein neues EU-Amt vorgesehen, die Anti-Geldwäsche-Behörde.“ EU-Parlament, Rat und Kommission ringen gerade um ein progressives Lieferkettengesetz. „Es geht um einen Paradigmenwechsel“, sagt Regner, die an den Verhandlungen beteiligt war. Das Gesetz soll Last von den Konsument:innen nehmen. Im Supermarkt oder im Geschäft sollen alle wissen, welche Ware sie reinen Gewissens kaufen können. „Alle Produkte, die auf dem europäischen Markt angeboten werden, müssen menschenrechtskonform und gemäß allen Umweltkriterien hergestellt werden.“ Auch im Podcast von Arbeit&Wirtschaft führt sie ihre Positionen aus.

EWSA: Anwalt der Beitrittskandidaten

Oliver Röpke bringt an der Spitze des EWSA neue Dynamik in das beratende Gremium. Als erste Institution der EU hat er eine neue Gruppe „Jugend“ eingerichtet, denn nur wenige Vorschläge der EU-Kommission werden aus der Perspektive junger Menschen untersucht. „Mit einem EU-Jugendtest werden die Auswirkungen politischer Regelungen auf Jugendliche analysiert und ihre Bedürfnisse berücksichtigt.“ In Österreich und Deutschland gibt es bereits einen Jugend-Check, in vielen anderen Ländern noch nicht.

Auf großes Interesse in Brüsseler Institutionen stößt Röpkes Initiative, den EWSA stärker zum Anwalt der Beitrittskandidaten zu machen. „Im ESWA bauen wir unsere einzigartige Position als Schnittstelle zwischen Bürger:innen, Zivilgesellschaft und EU-Institutionen aus“, betont er das Anliegen. Die Angleichung sozialer Standards ist essentiell, weil sie auch Teil des Acquis, des Rechtsbestandes der Europäischen Union, sind. Die Umsetzung dieser gesetzlichen Bestimmungen und Regelungen werden in den Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten von der EU-Kommission genau überprüft.

Was die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Sicherheit und Frieden angeht, sind sich Katzian, Regner und Röpke einig: „Das ist für uns ein Schwerpunkt. Wir unterstützen diese Bemühungen und tun alles, um Rechtsextremismus und andere antidemokratische Strömungen zu verhindern“, sagt der EGB-Chef. Oliver Röpke unterstreicht diese Haltung: „Der Mix aus Sozialpartnerschaft, hoher Tarif- bzw. Kollektivvertragsbindung und verbrieften Mitbestimmungsrechten trägt wesentlich zu einer widerstandsfähigen Demokratie bei.“

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Über den/die Autor:in

Margaretha Kopeinig

Margaretha Kopeinig ist freie Journalistin, Autorin und Brüssel-Korrespondentin für den Kurier. Ihre universitäre Ausbildung führte sie nach Wien und Bogotá, wo sie sich mit den Schwerpunkten Politik, Soziologie und Geschichte beschäftigte.

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