Ein Sicherheitsregime als Lösung für die EU-Krise?

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Die EU steckt in einer Existenzkrise. Mit der sozialen und ökologischen Frage im Mittelpunkt könnte ein Ausweg daraus gelingen. Doch zu diesem Bruch mit dem Neoliberalismus sind die ökonomischen und politischen Eliten nicht bereit. Stattdessen versuchen sie das Vertrauen durch den Ausbau von Grenzen, innere Sicherheit und Militarisierung zurückzugewinnen.
Die neoliberale Globalisierung ist im Anschluss an die Wirtschaftskrise in eine weltweite politische Krise gestürzt. Davon mitgerissen wurden jene Parteien, die unabhängig davon, ob konservativ oder linksliberal, den Menschen erzählten, die Liberalisierung der Märkte und die Entgrenzung aller Lebensbereiche sei alternativlos und würde letztlich allen zugutekommen.

Selbst jene, die nicht selbst von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind, haben vermehrt Abstiegsängste.

Spätestens in der Krise kam es jedoch massenhaft zur entgegengesetzten Erfahrung. Selbst jene, die nicht selbst von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind, haben vermehrt Abstiegsängste und den Eindruck, dass die etablierte Politik der Vielfachkrise des Neoliberalismus (Ökonomie, Klima, Weltordnung,…) nicht gewachsen ist.

Auch die EU wird in diesem Zusammenhang verstärkt herausgefordert: von links, indem sie punktuell als undemokratisches und neoliberales Klassenprojekt kritisiert werden konnte, von rechts, indem sie jenseits ihrer ökonomischen Verfasstheit als ein gegen die Nation gerichtetes links-liberales Projekt gedeutet wird. Gerade dort, wo eine Repolitisierung von links nicht gelang, waren rechtspopulistische Kräfte in der Lage, die Krise chauvinistisch umzudeuten und sich – obwohl meist selbst neoliberal orientiert – als Alternative zum „gescheiterten Establishment“ zu inszenieren.

Auf soziale Bewegungen gegen die Kürzungspolitik und linke Regierungsprojekte (allen voran in Griechenland) wurde durchweg repressiv reagiert, es kam zu keiner Integration ihrer Positionen.

Markant unterschiedlich ist allerdings, wie die Kommission und die im Rat vertretenen Mitglieder der Nationalstaaten auf die Herausforderung von links und rechts reagieren. Die erste Phase der Krisenpolitik ab 2011 war darauf gerichtet, dass sich kein neues ökonomisches Entwicklungsmodell durchsetzen kann. Auf soziale Bewegungen gegen die Kürzungspolitik und linke Regierungsprojekte (allen voran in Griechenland) wurde durchweg repressiv reagiert, es kam zu keiner Integration ihrer Positionen.

In einer zweiten Phase ab spätestens 2016 lässt sich das Aufkommen einer neuen Erzählung beobachten, durch welche die Errichtung eines europäischen Sicherheitsregimes vorangebracht werden soll. Es ist der Versuch, die Krise der neoliberalen Globalisierung bzw. Europäisierung herrschaftsförmig zu bearbeiten, indem statt der Frage nach sozialen und ökonomischen Alternativen die Sicherheit der BürgerInnen und der Grenzen in den Mittelpunkt gerückt werden. Zu diesem Zweck werden rechtspopulistische Diskurse teilweise aufgegriffen und gleichzeitig gegen diese selbst gewendet: Der Kampf gegen Migration und islamistischen Terror erscheint nun als zentrale Aufgabe, die allerdings nur europäisch zu bewältigen sei.

Der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: Die „Handlungsfähigkeit der EU[muss] […] heute in Problemfeldern verbessert werden, in denen auch in den Augen europaskeptischer Bevölkerungsteile keine allein nationalstaatlichen Lösungen möglich sind“, durch eine „europäische Armee“, ein „einheitliches Regime für die Außengrenzen“ und „europäische Lösungen in der Sicherheitspolitik“. Foto (C) Schacht, Henning / Action Press / picturedesk.com
Während eine soziale oder weitere ökonomische Integration abgelehnt wird oder blockiert ist, sollen nun die repressiven Apparate ineinander verschränkt und ausgebaut werden. Laut Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble etwa muss die „Handlungsfähigkeit der EU […] heute in Problemfeldern verbessert werden, in denen auch in den Augen europaskeptischer Bevölkerungsteile keine allein nationalstaatlichen Lösungen möglich sind“, durch eine „europäische Armee“, ein „einheitliches Regime für die Außengrenzen“ und „europäische Lösungen in der Sicherheitspolitik“.

Die neue Erzählung: Repressive statt soziale Sicherheit

Die zentralen Achsen des neuen Projekts sind eine militarisierte Union, Sicherheit im Binnenraum und ein qualitativ vertieftes Grenzregime. Sein Leitmotiv bildet die Überschrift der Rede von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der Union 2016: „Hin zu einem besseren Europa, das schützt, stärkt und verteidigt.“ Die Strategie scheint darauf zu zielen, die für das neoliberale Projekt entscheidende Globalisierung bzw. Europäisierung gegen Angriffe abzusichern, rechtspopulistische Akteure europäisch einzubinden und so einen neuen Konsens „für Europa“ zu schmieden.

Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union 2016: „Hin zu einem besseren Europa, das schützt, stärkt und verteidigt.“ Foto (C) Gregor Fischer/dpa – 20161109_PD12284

So stehen spätestens seit 2016 die Themen Migration, Militarisierung und innere Sicherheit im Mittelpunkt der Tagungen der Regierungschefs und haben die Themen des Binnenmarktes und der Wirtschafts- und Währungsunion in den Hintergrund gedrängt. Dementsprechend fordert der Europäische Rat eine Sicherheitsunion, die die Ängste vor Migration, Terrorismus und Kontrollverlust bearbeiten soll. Nur die europäische Ebene könne „die Sicherheit unserer Bürger gewährleisten“.

Entlang der gleichen Linie konstatiert auch das Weißbuch der Europäischen Kommission zur Vertiefung der EU eine wachsende „Unzufriedenheit mit der etablierten Politik und den Institutionen auf allen Ebenen“, auf die „Populisten“ mit „nationalistischer Rhetorik“ reagierten. Die „größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“, „Terroranschläge“, das Entstehen „neuer Weltmächte“ und der „Aufmarsch von Truppen an unseren östlichen Grenzen“ erforderten, dass Europa nicht länger naiv sein dürfe, „sondern seine Sicherheit selbst in die Hand“ nehmen müsse.

Diese neue Erzählung durchzieht in überraschender Einheitlichkeit die Kommission, den Europäischen Rat und die französischen und deutschen Staatsapparate und damit die zentralen Knotenpunkte der Europäischen Union. Dabei lassen sich drei Achsen des europäischen Sicherheitsregimes mit diversen Projekten identifizieren, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden sollen.

Achse I: Innere Sicherheit

  • „Anti-Terror-Zentrum“ von Europol
  • Zentrales Einreise- bzw. Ausreisesystem (EES)
  • Ziel: ein „EU-weites biometrisches Identitätsmanagement“

Seit 2015 wird daran gearbeitet, bis 2020 einen umfassenden Informationsaustausch der „verschiedenen Datenbanken im Bereich Justiz und Inneres“ zu ermöglichen. Mitte 2016 kam es bei Europol zur Einrichtung eines „Anti-Terror-Zentrums“. Darüber hinaus werden entsprechende Daten in einem zentralen Einreise- bzw. Ausreisesystem (EES) miteinander verknüpft. Sicherheitskommissar Dimitris Avramopoulos hat die Befürchtung, dass es sich bei der Datenbank um einen Testlauf zur zentralen Erfassung aller in der Union lebenden Menschen handelt, indirekt bestätigt: Das Ziel sei ein „EU-weites biometrisches Identitätsmanagement“. Die Aufdeckungsjournalist Harald Schumann warnt in diesem Zusammenhang vor einem europäischen Überwachungsstaat.

Achse II: Militarisierung

  • Europäischer Verteidigungsfonds
  • € 5 Mrd. jährliche Rüstungsinvestitionen durch Mitgliedsstaaten
  • Ständig Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ oder englisch abgekürzt PESCO)

Unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten forderte die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik die Schaffung einer „europäischen Supermacht“ ein. Nachdem in rasantem Tempo in den Institutionen ein entsprechendes Einvernehmen hergestellt war, informierte die Kommission Ende 2016 über ihren Verteidigungs-Aktionsplan. Im Zentrum steht der europäische Verteidigungsfonds, der –unter Rückgriff auf EU-Mittel – die Rüstungsforschung und die Militärausstattung unterstützen soll.

Für die Anschaffung von militärischem Gerät sollen EU-Mittel (bis 2020 0,5 Mrd., dann 1 Mrd. jährlich) genutzt werden, um die Mitgliedsstaaten zu motivieren, zusätzlich 5 Milliarden jährlich in Rüstung zu investieren, die den Prioritäten der EU-Außen- und Sicherheitspolitik entspricht. All dies geschieht, obwohl die europäischen Verträge, nicht zuletzt aus Rücksicht auf die neutralen Mitgliedsstaaten, eine Finanzierung militärischer Aufgaben untersagen, und ist daher klar europarechtswidrig.

Des Weiteren kam es 2017 zu Initiierung der Ständig Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ oder englisch abgekürzt PESCO). Fast alle Mitgliedsstaaten, auch Österreich im Gegensatz zu anderen neutralen Ländern, beteiligen sich an dieser vertieften Zusammenarbeit, die als „militärisches Schengen“ bezeichnet werden kann. Sie verpflichten sich darin zur dauerhaften Erhöhung ihres Verteidigungshaushaltes und zu gemeinsamen Rüstungsprojekten. Dabei handelt es sich um bindende Vereinbarungen, deren Einhaltung durch EU-Institutionen kontrolliert wird. Insgesamt gelang es innerhalb von gut einem Jahr, die militärische Achse des europäischen Sicherheitsregimes massiv auszubauen.

Achse III: Grenzregime

  • EU-Türkei-Deal
  • Missbrauch von Entwicklungsgeldern für Migrationsabwehr
  • Verstärkte europäische Kooperation mit der lybischen Grenz- und Küstenwache

Ähnliches gilt für die Vertiefung und die weitere Vorverlagerung des europäischen Grenzregimes. Das Offenhalten der Schengen-Grenzen 2015 war vor allem  der Versuch, die Zeit dafür zu gewinnen. Die Schließung von Binnengrenzen durch einzelne Regierungen wurde von WirtschaftsvertreterInnen scharf kritisiert. So meinte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Kramer zur Grenzschließung durch einzelne Nationalstaaten innerhalb des Binnenmarktes: „Was da an Kollateralschäden akzeptiert wird, um den Stammtisch zu befriedigen, ist abenteuerlich.“ Auch die Bertelsmann-Stiftung warnte vor einem so eingeleiteten Ende von Schengen, da dieses in der gesamten EU Kosten von jährlich rund 52 Milliarden verursachen würde.

Aus Sorge um die freie Zirkulation von Waren und Arbeitskräften bestand die Strategie deshalb darin, die europäische Außengrenze möglichst rasch durch eine erneuerte und verschärfte Vorverlagerung des Grenzregimes zu entlasten und unter Kontrolle zu bekommen – zentral dafür war der EU-Türkei-Deal, der die Türkei als neo-koloniale Grenzwächterin einsetzt und die EU in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem zunehmend autoritären Staatschef bringt.

EU-Türkei-Deal: An der Grenze zu Syrien wurde 2017 eine gigantische Mauer fertiggestellt, an der scharf geschossen wird. Foto (C) Delil SOULEIMAN / AFP

Die Türkei verpflichtete sich im März 2016 dazu, jegliche Migration in die EU zu unterbinden. Die Konsequenz ist eine massive Verschärfung der Repression gegen Geflüchtete durch Abschiebungen ohne Asylverfahren. An der Grenze zu Syrien wurde 2017 eine gigantische Mauer fertiggestellt, an der scharf geschossen wird. Allein 2016 starben so über 160 Menschen auf der Flucht.

Das Abkommen mit der Türkei gilt mittlerweile als „Best Practice“ und Referenz für eine weitere Vorverlagerung des Grenzregimes bis in die Sahelzone, die seit 2016 von der Kommission bzw. vom Europäischen Auswärtigen Dienst durch sogenannte Migrationspakte verfolgt wird.

Die Verhinderung von Migration wird zum zentralen Faktor, der die Politik gegenüber den europäischen Ex-Kolonien bestimmt. Die gesamten Beziehungen sollen primär von der Bereitschaft des Landes zur Zusammenarbeit bei der „Migrationssteuerung“ und „Rückübernahme irregulärer Migranten“ abhängen (Europäische Kommission 2016b, 20). Wer nicht kooperiert, erhält keine finanzielle Unterstützung und wird in der Handels-, Entwicklungs- und Visapolitik benachteiligt. Die Friedrich-Ebert-Stiftung sieht darin u. a. einen Missbrauch von Entwicklungsgeldern für Migrationsabwehr.

Ein Element beim Aufbau von „Kapazitäten zur Migrationssteuerung“ ist die verstärkte europäische Kooperation mit der lybischen Grenz- und Küstenwache, deren Ausbildung, Gerät und Arbeit mit EU-Mitteln finanziert wird. Die aus Milizen zusammengesetzte „Behörde“ bringt Menschen oft unter Einsatz von Schusswaffen in die Lager zurück.

Die Folgen solcher Vereinbarungen lassen sich bereits heute an den menschenrechtswidrigen Zuständen in den lybischen Lagern für Geflüchtete ablesen. Denn ein Element beim Aufbau von „Kapazitäten zur Migrationssteuerung“ ist die verstärkte europäische Kooperation mit der lybischen Grenz- und Küstenwache, deren Ausbildung, Gerät und Arbeit mit EU-Mitteln finanziert wird. Die aus Milizen zusammengesetzte „Behörde“ bringt Menschen oft unter Einsatz von Schusswaffen in die Lager zurück. Amnesty International hat daher die EU und die europäischen Staatschefs als „wissende Mitschuldige in der Folter und Ausbeutung von Geflüchteten“ bezeichnet.

Die Errichtung eines Sicherheitsregimes als passive Revolution

In der ersten Phase der Krisenpolitik wurde erfolgreich verhindert, dass sich tragfähige Alternativen durchsetzen konnten. Durch die Fortsetzung der neoliberalen Politik hat sich aber auch die Vielfachkrise (Ökonomie, Klima, Weltordnung…) verlängert und in der Bevölkerung ein Gefühl der Ohnmacht und der Unbeherrschbarkeit der gesellschaftlichen Entwicklung verschärft.

Der Begriff der Sicherheit wird allein auf polizeiliches und militärisches Handeln verkürzt, während die Frage der ökonomischen, sozialen und ökologischen Sicherheit völlig ausgeblendet bleibt.

Eine Situation, die von rechtspopulistischen Kräften geschickt ausgenutzt wurde, um alle gesellschaftlichen Herausforderungen mit den Themen Flucht, Migration und der Schaffung von „mehr Sicherheit“ zu verknüpfen. Der Begriff der Sicherheit wird dabei allein auf polizeiliches und militärisches Handeln verkürzt, während die Frage der ökonomischen, sozialen und ökologischen Sicherheit völlig ausgeblendet bleibt.

Gerade darin liegt die Attraktivität dieser Erzählung für jene Kapitalfraktionen, die an der Fortsetzung der alten Ordnung ein manifestes ökonomisches Interesse haben. Denn einerseits wird damit die Debatte über Alternativen zum Neoliberalismus überlagert und anderseits öffnen sich dadurch neue Geschäftsfelder. Akkumulation durch Repression nennt dies der US-amerikanische Wissenschafter William I. Robinson. Es überrascht daher nicht, dass Business Europe, der größte europäische Industrieverband, die Pläne für ein Europäisches Sicherheitsregime als neues „man on the moon project“ feiert, dass der EU wieder Attraktivität verleihen könne.

In dieser europäischen Komponente liegt auch der Grund dafür, das es die dominanten politischen Akteure wagen, die oben dargestellte Erzählung, wenn auch nur teilweise, zu übernehmen.  Denn sie glauben, diese Erzählung durch ein Europäisches Sicherheitsregime gegen die „Nationalisten“ selbst richten zu können. Militärische Bedrohungen, Terrorismus und Migrationsströme ließen sich nur europäisch unter Kontrolle bringen, wird argumentiert. Wer Sicherheit will, müsse sich mit Europa abfinden. Der Rückzug ins Nationale koste in einer immer instabileren Welt nicht nur Wohlstand, sondern auch Sicherheit.

Der Rückzug ins Nationale koste in einer immer instabileren Welt nicht nur Wohlstand, sondern auch Sicherheit.

Das geht zum einen mit der Gefahr einher, dass diesen Erzählungen staatliche bzw. europäische Legitimität verliehen wird – eine entscheidende Ressource für den rechten Kampf um Hegemonie auf nationaler und europäischer Ebene. Zum anderen wird dadurch der Eindruck erzeugt, dass sich durch Repression nachhaltige Sicherheit schaffen ließe. Das entspricht aber nicht der Realität. Wenn überhaupt, kann dadurch kurzfristig eine Abschottung von gesellschaftlichen Problemlagen und den Verwüstungen, die eine ausbeuterische Wirtschaftsweise anrichtet, gelingen – lösen und beheben kann man sie dadurch jedenfalls nicht.

Das lässt sich anhand der letzten militärischen Konflikte zeigen, an denen sich Mitgliedsstaaten der Union beteiligten (Afghanistan 2001, Irak 2003, Libyen 2011 und Syrien ab 2011). Alle haben starke Fluchtbewegungen ausgelöst und zerfallende und unsichere Staaten sowie massives menschliches Elend nach sich zogen.

Ebenso wenig ist die Kooperation mit großteils autoritären Staaten im Rahmen der Migrationspakte zur Verhinderung von Flucht nachhaltig. Denn diese verlangt, dass sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten in ihrer Kritik, etwa hinsichtlich der Einschränkung der Demokratie und der Kriegsführung der Türkei, mäßigen müssen und dadurch instabile Autokratien fördern.

Seit 2015 flossen 200 Millionen Euro zur „Migrationsbekämpfung“ in den Sudan. Der Verbleib des Geldes ist nach dem Sturz von Umar al-Baschir im April 2019 unklar. Foto (C) XINHUA / Action Press / picturedesk.com

Das haben die Entwicklungen im Sudan jüngst plastisch aufgezeigt. Obwohl gegen seinen ehemaligen Machthaber Umar al-Baschir aufgrund von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes vorliegt, kooperierte die EU aufgrund der Vorbereitung eines Migrationspakts nach dem Muster des EU-Türkei-Deals mit ihm: Seit 2015 flossen 200 Millionen Euro zur „Migrationsbekämpfung“ in den Sudan. Der Verbleib des Geldes ist nach dem Sturz von al-Baschir im April 2019 unklar. Fest steht allerdings, dass es zum Aufbau von Demokratie und Lebensgrundlagen fehlt.

Vielmehr könnte erreicht werden, wenn Fluchtursachen und nicht Fliehende bekämpft werden – vieles davon auch kurzfristig, schon  in der nächsten Periode europäischer Politik, z. B durch ein EU-Exportverbot von Waffen in Krisenregionen, den Stopp von EU-Fischereiabkommen, die zur Folge haben, das afrikanische Gewässer leergefischt werden, die Beendigung der Zerstörung von Lebensgrundlagen durch den Export subventionierter EU-Agrarprodukte und von regionalen Wirtschaftskreisläufen durch Handelsliberalisierung.

Vielmehr könnte erreicht werden, wenn Fluchtursachen und nicht Fliehende bekämpft werden – vieles davon auch kurzfristig, schon  in der nächsten Periode europäischer Politik.

Fortschrittliche AkteurInnen sollten daher beim Thema Sicherheit weder weiterhin in Deckung gehen, noch allein den moralischen Zeigefinger erheben, sondern selbstbewusst benennen, dass das sich im Aufbau befindliche Europäische Sicherheitsregime, wenn überhaupt, nur Zeit durch menschliches Elend kaufen kann. Es ist jedoch nicht in der Lage, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen, von denen eine massive Bedrohung für die Sicherheit dies- und jenseits des Mittelmeeres ausgeht: Die sich zusammenbrauende nächste Krise der Finanzmärkte, die steigende Armutsgefährdung und die Klimakatastrophe.

Ein weiterführender wissenschaftlicher Beitrag des Autors zum Thema findet sich in dem jüngst erschienenen Buch „Alltägliche Grenzziehungen ­– Das Konzept der imperialen Lebensweise, Externalisierung und exklusive Solidarität“ und kann hier online gelesen werden.

Über den/die Autor:in

Lukas Oberndorfer

Lukas Oberndorfer ist Wissenschafter in Wien. Er forscht zur Frage, wie es seit der Krise in Europa zu einer autoritären Wende kommt, die Demokratie und Grundrechte einschränkt, um neoliberale Politik zu vertiefen. Seit seiner Zeit als Assistent am Institut für Europarecht der Universität Wien arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien.

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