So bleibe es bei einer asymmetrischen Verteilung der Verantwortung, die vor allem für die Staaten an den Außengrenzen problematisch sei. „Umgekehrt können sich Staaten im Zentrum der EU durch einen neuen Solidaritätsmechanismus ihrer Verantwortung entziehen, indem sie sogenannte Rückführungspatenschaften übernehmen.“
Screeningverfahren für EU-Asylpolitik an den Außengrenzen
In einem Pressetext des EU-Parlaments heißt es dazu, dass eine „Überprüfung von Drittstaatsangehörigen an den EU-Grenzen“ geplant sei. Das bedeutet: Personen, die die Voraussetzungen für eine Einreise in die EU nicht erfüllen, werden vor der Einreise in einem bis zu sieben Tage andauernden Verfahren überprüft. Dabei werden sie identifiziert, ihre biometrischen Daten werden erfasst, und sie werden Gesundheits- und Sicherheitskontrollen unterzogen. Fingerabdrücke und Gesichtsbilder von „irregulär“ in die EU einreisenden Menschen sollen ab einem Alter von sechs Jahren künftig in einer europaweiten Datenbank gespeichert werden. Zudem müssen die Mitgliedsstaaten Kontrollmechanismen zur Sicherung der Grundrechte der Einreisenden einrichten. Wie diese aussehen und wie effektiv sie sein werden, ist unklar.
Für die Durchführung dieser Maßnahmen plant die EU den Aufbau neuer Screeningverfahren an den EU-Außengrenzen. Hier sollen Flüchtlinge unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden. Das in der Genfer Flüchtlingskonvention enthaltene Recht auf eine individuelle Prüfung des Asylantrags wird durch den Wunsch der EU auf schnelle Verfahrensabwicklungen zunehmend ausgehebelt.
EU-Asylpolitik: Dem Rechtspopulismus voraus
Das klingt abschreckend und soll es auch sein. Mit dem Paket reagiere das EU-Parlament auf „die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, die Rolle der EU bei der Bekämpfung aller Formen der irregulären Migration zu stärken, und den Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union unter Wahrung der Menschenrechte zu verbessern“, heißt es in der Stellungnahme zu dem Beschluss weiter. Anuscheh Farahat kritisiert diese Schilderung von „Migration als Problem und Krise“. Mit der Einigung hätten die im Europaparlament recht stark vertretenen Grünen versucht, vor der kommenden Europawahl einer noch schärferen Asylreform durch eine erstarkte rechtskonservative Präsenz im Parlament zuvorzukommen. „Doch letztlich werden hiervon nur die rechten Parteien profitieren“, so Farahat. „Die politischen Argumente der Rechten werden so salonfähig gemacht.“
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Klar sei aber auch: „Repressionen werden Flüchtlinge nicht davon abhalten, nach Europa zu kommen. Diese Menschen sind bereit, alles dafür zu riskieren. Wer sich der Gefahr aussetzt, bei der Überfahrt mit einem Schlauchboot im Meer zu ertrinken, der lässt sich auch von Verschärfungen an den Grenzen nicht aufhalten. Wir müssen die Schutzsuchenden ernst nehmen. Und dafür brauchen wir eine gute Integrationspolitik.“
Für EU-Asylpolitik ist gute Integrationspolitik nötig
Dem stimmt auch Kevin Fredy Hinterberger zu. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Asyl- und Migrationsrecht bei der Arbeiterkammer Wien. Er fordert „eine rasche Einbindung der Zugewanderten in Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitsmarkt“. Dies sei für eine gute Integration von entscheidender Bedeutung, und zwar unabhängig vom Grund der Zuwanderung, vom Alter der Zuwander:innen, ihrem Geschlecht oder ihrem kulturellen beziehungsweise religiösen Hintergrund. Für eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe von Migrant:innen fordert die AK unter anderem „die Modernisierung der schulischen Sprachförderung im Bildungsbereich oder auch einen effektiven und tatsächlichen Arbeitsmarktzugang für Asylwerber:innen drei Monate nach Zulassung zum Asylverfahren mit Arbeitsmarktprüfung“.
Zusätzlich soll das Erlangen der österreichischen Staatsbürgerschaft erleichtert werden. Besonders Frauen seien von den hohen Einkommenshürden betroffen, schreiben die AK-Expertinnen Judith Fitz und Sagal Hussein in einem aktuellen Artikel für das AK-Magazin „Wirtschaft und Umwelt“. So würden „mehr als 60 Prozent der Arbeiterinnen in Österreich nicht über das für eine Einbürgerung nötige Einkommen“ verfügen. Anuscheh Farahat warnt bei der Migrationsfrage vor vereinfachenden Analysen. „Migration ist ein komplexer Prozess. So nimmt die Auswanderung aus Staaten mit steigender Finanzkraft innerhalb der Bevölkerung zunächst eher zu, weil die Menschen sich die Überfahrt dann leisten können. Auch deshalb führt an einer guten Integrationspolitik kein Weg vorbei. Die kostet natürlich immer erst mal Geld, wirkt sich aber langfristig positiv aus.“
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