Die EU am seidenen Faden

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Die europäische Idee steht von rechts wie von links unter Spannung – mit Argumenten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Wenn sie es könnten, würden Nationalisten die EU am liebsten abschaffen. Rechtspopulisten und Rechtsextremisten wittern ihre Chance bei der Europawahl. Doch nicht nur von rechter Seite kommt die EU unter Druck – in Griechenland stellte sich der linkspopulistische Ministerpräsident Alexis Tsirpas 2015 gegen die EU-Austeritätspolitik. Er forderte damit die Europäische Union, insbesondere den damaligen deutschen Finanzminister Schäuble (CDU) heraus.

Spannung von links

Alexis Tsipras ist seit Jänner 2015 als griechischer Ministerpräsident im Amt – den Unkenrufen konservativer PolitikerInnen speziell aus Deutschland zum Trotz. Ihnen war Tsipras ein Dorn im Auge. Weil er nicht nur das ursprünglich dreiprozentige Wahlbündnis SYRIZA aus postkommunistischen, neulinken, kommunistischen, ökosozialistischen, maoistischen und trotzkistischen Gruppen in die stärkste und damit regierende Partei von Griechenland verwandelte. Vor allem aber stemmte sich der Partei- und Regierungschef gegen die dominierende Austeritätspolitik, die die Europäische Kommission und die Zentralbank gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds als „Troika“ seinem kriselnden Land aufzwingen wollten.

Der griechische SYRIZA-Partei- und Regierungschef Alexis Tsipras stemmte sich gegen die dominierende Austeritätspolitik der Europäischen Kommission und der Zentralbank. Foto (C) Bernd von Jutrczenka / dpa / picturedesk.com

Auch von links, um eine sehr vereinfachende Kategorie zu wählen, steht die europäische Idee beziehungsweise dominierende Strömungen in der EU-Politik unter Druck. „SYRIZA ist ein gutes Beispiel dafür“, sagt Lukas Oberndorfer, Referent für Europarecht, Binnenmarktpolitik und Europaforschung in der Abteilung EU & Internationales der Arbeiterkammer (AK) Wien, im Interview mit Arbeit & Wirtschaft Online. „Es ist die Neoliberalisierung der Wirtschaftspolitik in der EU, die von links infrage gestellt wird.“

Es ist die Neoliberalisierung der Wirtschaftspolitik in der EU, die von links in Frage gestellt wird.

Lukas Oberndorfer, AK Wien

Die griechische Regierungspartei ordnen Politikwissenschaftler im Linkspopulismus ein. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament vor fünf Jahren war Alexis Tsipras noch Spitzenkandidat der Europäischen Linken für das Amt des Präsidenten der EU-Kommission. Inzwischen ist sein ehemaliger Finanzminister in Athen, Yanis Varoufakis, bei der EU-Wahl 2019 Spitzenkandidat in Deutschland seiner länderübergreifenden „Bewegung Demokratie in Europa 2025“ (DiEM 2025). Er ortet ein „kolossales Versagen Europas“ in der Energie- und Sozialpolitik. Das möchte er lindern durch einen europäischen „Green New Deal“: Ein Konjunkturpaket mit umfassenden Investitionen in Klimaschutz, die Entwicklung grüner Technologien in ganz Europa – und der Schaffung neuer Jobs.

Spannung von rechts

Globalisierung in Europa wird gesellschaftspolitisch von rechten PolitikerInnen infrage gestellt, weil sie die Nationalstaaten gestärkt sehen wollen.
Dem gegenüber wird die Globalisierung in Europa gesellschaftspolitisch von rechten PolitikerInnen infrage gestellt, weil sie die Nationalstaaten gestärkt sehen wollen, erklärt Lukas Oberndorfer und nennt Viktor Orbán. Ungarns nationalliberaler Regierungschef ließ etwa die Körperschaftssteuer (KÖSt) einheitlich auf neun Prozent senken. Das ist aktuell der niedrigste Unternehmenssteuersatz innerhalb der EU. Eine gemeinsame Migrationspolitik lehnt das Land, seit 15 Jahren EU-Mitglied, ab.

In einer Staatengemeinschaft gelten gemeinsam ausgehandelte Standards aber für alle.
Neben Polen hat das EU-Parlament auch gegen Ungarn ein Verfahren eingeleitet wegen der Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien und europäischer Grundwerte; darüber versuchen sich nationalistische Regierungsmitglieder in den Hauptstädten so mancher Mitgliedsländer gerne hinwegzusetzen. In einer Staatengemeinschaft gelten gemeinsam ausgehandelte Standards aber eben für alle.

Viktor Orbán. Ungarns nationalliberaler Regierungschef. Foto (C) DANIEL MIHAILESCU / AFP / picturedesk.com

Die Aushöhlung demokratischer Werte in Ungarn betreibt Orbán seit seiner Regierungsübernahme 2010 systematisch, findet der Korrespondent für Österreich und Südosteuropa des deutschen „Handelsblatts“, Hans-Peter Siebenhaar. Orbáns „illiberale Demokratie“ sei keine Vision, sondern längst Fakt. Gewissen Rückenwind erhält Ungarn, weil sich neben Polen auch Tschechien und die Slowakei zu einer Vierer-Allianz als Visegrád-Staaten zusammengeschlossen haben. Allfällige Sanktionen (Einfrieren von EU-Mitteln etc.) gegen Polen oder Ungarn können auf EU-Ebene durch das Veto eines einzigen Mitgliedsstaates verhindert werden.

Rechte Parteien lehnen eine Europäisierung jedoch nicht gänzlich ab. Lukas Oberndorfer verweist etwa auf Italien und Vize-Regierungschef Matteo Salvini von der Lega. Der möchte unter anderem Europas „reiches Erbe“ und christliche Wurzeln verteidigen und den EU-Grenzschutz stärken. Grund genug für Salvini, die europäische Idee zu nützen, um eine Allianz rechtspopulistischer sowie rechtsextremer Parteien ins Leben zu rufen. Darunter auch die FPÖ, Allianz für Deutschland (AfD), Rassemblement National (früher: Front National) u.a.

Tauziehen um den Brexit

Schließlich gibt es noch das Phänomen Brexit, der sich viel länger und wirtschaftlich viel schädlicher hinziehen dürfte, als er von jenen – rechten – PolitikerInnen beabsichtigt war, die den Brexit angezettelt haben. Einerseits war Großbritannien, seit 1973 EU-Mitglied, das Land, das „den Binnenmarkt vorangetrieben, massive Nettozahlungen geleistet und die Arbeitslosen aus Ost- und Süd-Europa aufgenommen hat“, so Denis MacShane, Ex-Europa-Minister der Labour Party, im Interview. Andererseits habe im Vereinten Königreich „fast 30 Jahre lang kein Regierungschef die positiven Aspekte der EU aufgrund einer soliden Basis erklärt“.

Ohne EU wird es auch in Zukunft nicht gehen!

Anti-EU-Medien taten ein Übriges, indem sie suggerierten, an allen Problemen wäre Europa schuld. Doch dass es ohne EU auch in Zukunft nicht gehen wird, dürfte das endlose Tauziehen um den Austrittsvertrag bereits ausführlich vor Augen geführt haben.

Über den/die Autor:in

Heike Hausensteiner

Heike Hausensteiner ist seit ihrer Schulzeit Anhängerin der Aufklärung. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie im Burgenland, studierte sie Sprach- und Europawissenschaften in Paris, Mailand, Wien und Krems/Donau. Als politische Redakteurin begann sie ihre journalistische Laufbahn 1996 bei der "Wiener Zeitung", wo sie u.a. auch das Europa-Ressort gründete. Nach einjähriger Baby-Karenz machte sie sich 2006 selbstständig und arbeitet seither als freie Journalistin für Zeitungen, Magazine und Online-Medien in Österreich und Deutschland sowie als Autorin (u.a. "Im Maschinenraum Europas. Die österreichische Sozialdemokratie im Europäischen Parlament", 2013) und Moderatorin. Sie lebt mit ihrer Familie und 2 Katzen in Wien.

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