Die Erbschaftssteuer und ihre Fabelwesen

Illustration (C) Adobe Stock / Collage
Die Geschichte der Erbschaftssteuer ist eine Geschichte voller Missverständnisse und Mythen. Missverständnisse, die auch mit der Absicht in die Welt gesetzt wurden, um Erbschaftssteuern zu verhindern.
Franz ist empört. Franz ist so empört, er schreibt sogar ein Posting: „Ich habe mein Leben lang gearbeitet, Steuern gezahlt, ein Haus gebaut, und nun soll ich auch noch Erbschaftssteuer zahlen, wenn mein Sohn das Haus eines Tages bekommt.“

Franz ist nicht allein. Hubert stimmt ihm zu: „Diese ewige Neiddebatte! Hört doch endlich auf, die Menschen zu spalten! Jetzt müssen alle an einem Strang ziehen.“ Andreas hat auch etwas dazu zu sagen und hält sich kurz: „Schon wieder Klassenkampf (grün kotzendes Emoji).“ Josef setzt noch eines drauf: „Widerlich, diese Todessteuer gerade jetzt zu fordern, wo so viele sterben.“ Und Marcus geht ebenfalls auf Konfrontation: „Als ihr selbst die Erbschaftssteuer abgeschafft habt (Lachtränen-Smiley), hat sie kaum etwas eingebracht.“

Franz, Hubert, Josef, Andreas und Marcus sollen ja wütend sein – dafür hat eine Reihe von Desinformationskampagnen erfolgreich gesorgt.

Bingo! Franz, Hubert, Josef, Andreas und Marcus haben praktisch alle stereotypen Argumente gegen die Erbschaftssteuer in die Diskussion eingebracht. Und es ist vollkommen verständlich, dass die Herren diese Argumente in genau dieser Form und Artikulation bringen und felsenfest von ihnen überzeugt sind. Denn Franz, Hubert, Josef, Andreas und Marcus sollen ja wütend sein – dafür hat eine Reihe von Desinformationskampagnen erfolgreich gesorgt, unterstützt von den wirklich Vermögenden und ihren Lobbys. Die Lobbys der Vermögenden, das sind die Industriellenvereinigung, industrienahe Thinktanks und auch die Wirtschaftskammer.

Angriff auf den Mittelstand

„Wie lange gehört mein Haus noch mir?“ oder „Wie lange gehört unser Erspartes noch uns?“, aber auch „Wie lange kann ich mir meinen Betrieb in meiner Region noch leisten?“ Fragen wie diese stellten besorgte Bürger*innen auf Plakaten und in Anzeigen.

Ein gutes Beispiel dafür: die sogenannte „Mittelstandskampagne“ von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung im Jahr 2014. „Wie lange gehört mein Haus noch mir?“ oder „Wie lange gehört unser Erspartes noch uns?“, aber auch „Wie lange kann ich mir meinen Betrieb in meiner Region noch leisten?“ Fragen wie diese stellten besorgte Bürger*innen auf Plakaten und in Anzeigen. Es sind genau diese Bilder, die schlicht Desinformation zu vermögensbezogenen Steuern transportieren sollen. Solche Sujets, mit ordentlichem Mediabudget weit gestreut, tun ihre Wirkung. Da tut es auch nichts zur Sache, dass die abgebildeten Protagonist*innen – der besorgte Häuslbauer, das besorgte ältere Paar, die besorgte Bauernfamilie – in Real Life Models einer bekannten Agentur für Stockfotografie waren und auch schon für ganz anderes Werbung gemacht haben: etwa für ein Bestattungsunternehmen und eine Steuerberatungskanzlei in den USA oder ein fragwürdiges russisches Unternehmen.

Es ist aber gar nicht notwendig, bis in das Jahr 2014 zurückzublicken – erst diese Woche veröffentlichte ein bekannter industrienaher, wirtschaftsliberaler Thinktank etwas subtiler eine ähnliche Botschaft in einer hübschen Publikation: „Die Wirtschaftspolitik sollte diese Unsicherheiten nicht noch damit vergrößern, wenn etwa übereilt gesundheitspolitische Ziele gefährdet werden oder Debatten über neue Steuern vom Zaun gebrochen werden.“

Lobbys und ihre Maschinerie geben also viel Geld aus, um Franz, Hubert, Josef, Andreas, Marcus und vielen anderen von ihren Erbschaftssteuer-Fabelwesen oder anderen Vermögenssteuer-Monsterchen zu erzählen.

Lobbys und ihre Maschinerie geben also viel Geld aus, um Franz, Hubert, Josef, Andreas, Marcus und vielen anderen von ihren Erbschaftssteuer-Fabelwesen oder anderen Vermögenssteuer-Monsterchen zu erzählen. Sie wiederholen die gleichen Mythen und Sagen – mit dem immergleichen Feind (der gierige Staat) und wechselnden Bedrohungen (bis zur „Enteignung“).

Mythos: Die Erbschaftssteuer trifft die Häuslbauer

Die Häuslbauer und ihre Kinder sind in der Regel nicht von einer Erbschaftssteuer betroffen. Ähnliches trifft auch für Betriebsübergaben zu.

Franz macht sich Sorgen, weil er ein Haus gebaut hat und dieses seinem Sohn vererben möchte. Klar, wer etwas geschaffen hat, schafft das meist nicht nur für sich selbst, sondern will es weitergeben. Und das, ohne den Kindern eine Last zu hinterlassen oder gar den Verkauf des Hauses notwendig zu machen, um die Steuern bezahlen zu können. So weit, so verständlich.

Der Wert der meisten Einfamilienhäuser überschreitet den Freibetrag einer Erbschaftssteuer nicht.

Allerdings: Es gibt unterschiedliche Modelle zur Ausgestaltung einer Erbschaftssteuer, die zur Diskussion stehen. Was praktisch alle gemein haben, ist eine Freigrenze. Freigrenze bedeutet, dass erst für den Wert über diesem Betrag Erbschaftssteuern gezahlt werden müssen. Die meisten Einfamilienhäuser erreichen diesen Wert nicht. Die Häuslbauer und ihre Kinder sind in der Regel damit auch überhaupt nicht von einer Erbschaftssteuer betroffen. Ähnliches trifft auch für Betriebsübergaben zu.

Mythos: Es wurden für die Erbschaft bereits Steuern gezahlt

Eine mehrfache Besteuerung ist tatsächlich eine alltägliche Angelegenheit. Jedes Produkt im Supermarkt ist davon betroffen.

Nun ja, im Grunde genommen ist das nicht falsch. Einkommen wurde versteuert und mit dem versteuerten Geld das Erbe aufgebaut. Hier gilt es aber zwei Aspekte zu beachten: erstens, die mehrfache Besteuerung ist alles andere als ungewöhnlich, und zweitens: wer bezahlt diese Steuer überhaupt?

Eine mehrfache Besteuerung ist tatsächlich eine alltägliche Angelegenheit. Jedes Produkt im Supermarkt ist davon betroffen. Es müssen dafür etwa Mehrwertsteuern bezahlt werden – aus einem Einkommen, das bereits besteuert wurde. Warum sollten dann nicht auch Erbschaften in diesem Sinn mehrfach besteuert werden, lieber Franz?

Warum sollte Franz junior für dieses leistungslos erworbene Einkommen nicht auch Steuern zahlen – sofern der Wert die Freigrenze überhaupt übersteigt?

Ganz abgesehen davon: Die Erbschaftssteuer bezahlt Franz ja gar nicht. Die bezahlt sein Sohn. Für den stellt die Erbschaft ein sogenanntes „leistungsloses Einkommen“ dar – er bekommt es einfach, gearbeitet dafür hat Vater Franz. Und warum sollte Franz junior für dieses leistungslos erworbene Einkommen nicht auch Steuern zahlen – sofern der Wert die Freigrenze überhaupt übersteigt?

Mythos: Klassenkampf

Klassenkampf von oben wird nicht auf der Straße geführt. Es finden sich schlicht zu wenig Vermögende, die Parolen skandieren.

Andreas spricht den Klassenkampf von unten an, in dem sich die Arbeiterschaft wütend gegen die Kapitalisten erhebt. Heute gerne als Beispiel gebracht werden die Proteste der Gelbwesten in Frankreich, mit bürgerkriegsähnlichen Bildern, brennenden Vorstädten, blockierten Straßen, Schlachten mit der Polizei. Klassenkampf, Straßenkampf, das soll einfach ein bisschen Angst machen – gerade dem Mittelstand.

Klassenkampf findet wirklich statt – allerdings: Klassenkampf von oben.

Klassenkampf findet auch wirklich statt – allerdings: Klassenkampf von oben. Denn nichts anderes bedeuten Desinformationskampagnen von reichen Lobbys. Dieser Klassenkampf von oben wird nicht auf der Straße geführt. Es finden sich schlicht zu wenig Vermögende, die Parolen skandierend mit Schildern vom Westbahnhof zum Heldenplatz marschieren. Nein, Vermögende sponsern die Industriellenvereinigung und Thinktanks, damit diese ihre Mythen in die Welt setzen. Denn die Vermögenden, die vererben über einer Freigrenze.

Mythen: Neid, Spaltung, Todessteuer

Das Aufzeigen von Ungerechtigkeiten ist nicht mit Neid gleichzusetzen.

Hubert und Josef schreiben von Neid auf das Geld anderer, von Spaltung der Gesellschaft durch die Forderung neuer Steuern und letztendlich davon, dass der Staat (oder die oft genannten Sozialisten) nicht einmal davor zurückschreckt, sich an Toten zu bereichern.

Zunächst ist das Aufzeigen von Ungerechtigkeiten nicht mit Neid gleichzusetzen. Arbeit ist anstrengend, Arbeit steht eine Leistung gegenüber, Arbeit wird besteuert. Erben steht keine Eigenleistung der Erb*innen gegenüber, Erben wird nicht besteuert. Wer hart arbeitet, erwirtschaftet oft im ganzen Leben nicht so viel, wie andere erben.

Erben steht keine Eigenleistung der Erb*innen gegenüber, Erben wird nicht besteuert.

Und genau diese Ungerechtigkeit spaltet. Nicht die Forderung nach einer Erbschaftssteuer – sondern die Ungleichheit der Vermögen, die großteils vererbt werden. Dass gerade in Österreich das reichste Prozent der Bevölkerung 40 Prozent des Vermögens besitzt und die untere Hälfte der Bevölkerung gerade einmal ein paar Brösel, ist auch ein Resultat fehlender Erbschafts- und Vermögenssteuern.

Und die „Todessteuer”? Das ist einfach nur ein „Framing”. Framing ist ein Begriff der politischen Kommunikation, in dem für Argumente Bilder geschaffen werden, die einfach verstanden werden – emotionale Bilder. Den Tod besteuern? Das darf doch wirklich nicht sein, soll man denken. Aber es wird eben nicht der Tod besteuert, sondern die Erbschaft; und nicht die verstorbene Person, sondern die Personen, die durch die Erbschaft zu einem leistungslosen Einkommen gelangen.

Mythos: Die Erbschaftssteuer bringt nichts ein

Die Geschichte der Erbschaftssteuer in Österreich zusammengefasst: blöd gelaufen. Es gab ja mal eine Erbschaftssteuer, bis sie vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben und – entgegen dem Regierungsübereinkommen – von SPÖ und ÖVP nicht repariert wurde. So lief sie 2008 schlicht aus. Das Aufkommen belief sich damals auf 140 Millionen Euro, und es wurde damit argumentiert, dass der Verwaltungsaufwand zur Einhebung der Erbschaftssteuer höher sei, als die Steuer selbst einbringe (was aber gar nicht zutraf).

Schnee von gestern.

Was eine Erbschaftssteuer bringen kann

Eine entsprechend ausgestaltete Erbschaftssteuer bringt pro Jahr 0,5 bis 1 Milliarde Euro. Davon werden im Land nicht Milch und Honig fließen, aber es ist ein großer Schritt in Richtung einer gerechteren Verteilung von Vermögen und zur Finanzierung des Sozialstaats.

Wie viel die Erbschaftssteuer einbringt, hängt letztendlich von ihrer genauen Ausgestaltung ab. Das ist einerseits der erwähnte Freibetrag, über dem die Steuer fällig wird, und andererseits der Steuersatz – wobei die meisten Modelle ein progressives Besteuern vorsehen. Dabei steigt der Steuersatz mit immer höher werdenden Beträgen, gleich dem Prinzip bei der Einkommensteuer. Das klingt nun einigermaßen kompliziert, einfacher erklärt ist das mit Beispielen.

Nehmen wir einen Freibetrag von einer Million Euro an, unter dem keine Erbschaftssteuer bezahlt werden muss. Und zwei Steuersätze: zwischen einer Million und fünf Millionen Euro 25 Prozent, ab fünf Millionen Euro 30 Prozent.

 Beispiel 1: der Häuslbauer 

Franz junior erbt das Haus von Vater Franz, es ist 460.000 Euro wert.

Franz junior zahlt keine Erbschaftssteuer, da das Haus weniger als eine Million Euro wert ist.

 Beispiel 2: der Betrieb 

Ein gut geführter Betrieb wird vererbt. Der Betrieb ist 1,1 Millionen Euro wert.

Die Erbin oder der Erbe muss dafür 25.000 Euro Erbschaftssteuer zahlen: für die erste Million nichts, für die 100.000 Euro darüber allerdings 25 Prozent.

Ach ja: Erben zwei Kinder zu gleichen Teilen, erben beide jeweils 550.000 Euro – und liegen damit unterhalb des Freibetrags.

 Beispiel 3: Villa und Extras 

Eine Villa, Wertpapiere und ein kleiner Goldschatz im Safe werden an ein Einzelkind hinterlassen. In Summe sieben Millionen Euro.

Das Einzelkind muss dafür 1,6 Mio. Euro Erbschaftssteuer zahlen: Die erste Million ist steuerbefreit, von Million eins bis zur fünften Million wird mit 25 Prozent besteuert (das macht eine Million Euro), die sechste und siebte Million werden mit 30 Prozent besteuert (das macht 600.000 Euro).

Eine derart ausgestaltete Erbschaftssteuer bringt pro Jahr 0,5 bis 1 Milliarde Euro. Davon werden im Land nicht Milch und Honig fließen, aber es ist ein großer Schritt in Richtung einer gerechteren Verteilung von Vermögen und zur Finanzierung des Sozialstaats. Geleistet wird die Steuer von lediglich 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung: den wirklich Vermögenden – und die können sie sich leisten.

Die Vermögenden können, wollen sich eine Erbschaftssteuer aber nicht leisten. Und damit sie sie nicht zahlen müssen, brauchen sie Franz, Hubert, Josef, Andreas und Marcus.

Nur: Die Vermögenden wollen sich die Steuer aber nicht leisten. Und damit sie sie nicht zahlen müssen, brauchen sie Franz, Hubert, Josef, Andreas und Marcus. Wahrscheinlich wäre keiner der Herren betroffen – im Gegenteil, sie würden alle von einer Erbschaftssteuer profitieren. Und mit ihnen das ganze Land. Hubert hat geschrieben, es sollen alle an einem Strang ziehen. Das wäre dann endlich der Fall.

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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