Energiecharta-Vertrag: Staaten liefern sich Konzernen aus

Ein Automkraftwerk in Frankreich bei Nacht. In der Mitte stehen Strommasten. Symbolbild für den Energiecharta-Vertrag.
Immer mehr Staaten steigen aus dem Energiecharta-Vertrag aus. Österreich zögert weiter. | © Adobestock/DBA
Der Energiecharta-Vertrag (ECV) ist ein Hindernis für die Energiewende und eine finanzielle Gefahr für Staaten. Denn diese können durch Konzerne verklagt werden und haben so bereits 45 Milliarden Euro an Schadensersatz bezahlen müssen. Ein Ausstieg Österreichs wird geprüft.
Unglaublich, aber wahr: Energiekonzerne können Staaten verklagen, wenn sie mit ihrer Energiepolitik unzufrieden sind. Empfinden Energiekonzerne staatliche Klimaziele, Energiepreisdeckel und Übergewinnsteuern als umsatzschädlich, können sie laut Energiecharta-Vertrag Staaten belangen. Bereits 157 Streitfälle sind es, die Energiekonzerne gegen Staaten geführt haben, und rund 45 Milliarden Euro wurden Konzernen und Investor:innen zugesprochen. Nicht umsonst wollen deshalb immer mehr Staaten aus dem Vertrag aussteigen. Doch die Bundesregierung zögert – auf Kosten der Steuerzahler:innen.

Energiecharta-Vertrag: Kritische Schiedsgerichte

Der ECV ist ein internationales Abkommen, das 1994 unterzeichnet wurde und seit 1998 als rechtsverbindlicher Vertrag seine Gültigkeit hat. 1991 entstand der Vertrag als politische Absichtserklärung in der Folge des Kalten Kriegs. Ziel war es, die Energiesektoren der Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Osteuropas in die europäischen und globalen Märkte zu integrieren. Mit dem ECV wird der Schutz von Auslandsinvestitionen durch Energiekonzerne geregelt und nichtdiskriminierenden Bedingungen für den Handel mit Energiematerialien, -produkten und energiebezogener Ausrüstung sollen garantiert werden.

Der Energiecharta-Vertrag sieht zudem ein Regelwerk für Streitigkeiten von Konzernen mit den Staaten und Energie-Konflikte zwischen den Staaten vor. Äußerst kritisch zu betrachten sind die internationalen, privaten Schiedsgerichte: Den Energiekonzernen wird durch die Schiedgerichte die Möglichkeit eingeräumt, Staaten zu verklagen. Und genau diese Möglichkeiten nutzen sie.

Klagen gegen den Umweltschutz

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall verklagte beispielsweise Deutschland aufgrund des Atomausstiegsgesetzes nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima. Vattenfall betrieb in Deutschland zwei Atomkraftwerke (Brunsbüttel und Krümmel, Anm.) und war an einem beteiligt (Brokdorf, Anm.). Die Genehmigung für einen weiteren Betrieb ließ die Bundesrepublik für die zwei AKWs erlöschen und für das AKW, an dem der Konzern beteiligt war, legte Deutschland eine Laufzeitbegrenzung fest. Das erzürnte den schwedischen Energiekonzern so sehr, dass er eine Klage einreichte. Im März 2021 endete diese Klage schließlich mit einem Vergleich, der die deutschen Steuerzahler:innen 1.425 Milliarden Euro kostete.

Bild von einer Anlage für fossile Energie. Rauch kommt aus einem Kamin.
Umweltschutz sollte oberste Priorität sein, doch der Energiecharta-Vertrag macht ihn nicht leichter. | © Adobestock/thieury

„Konzerne haben beispielsweise gegen den Atomausstieg, Kohleausstieg, Verbot von Öl- und Erdölbohrungen aus Umweltschutzgründen geklagt“, sagt Angela Pfister, Ökonomin in der volkswirtschaftlichen Abteilung des ÖGB. Auch Italien wurde verklagt: Das Land weigerte sich, dem britischen Ölunternehmen Rockhopper, Ölbohrungen im Ombrina-Mare-Feld in der Adria zu erlauben. „Das italienische Parlament hatte neue Öl- und Gasförderungen in Küstennähe aus Sorge um die Umwelt, wegen hoher Erdbebenrisiken und einer großen Ablehnung aus der Bevölkerung 2016 verboten“, erklärt Pfister die Situation. Im Sommer 2023 haben die Schiedsrichter zugunsten des Konzerns entschieden. Dieser bekam mehr als 190 Millionen Euro plus Zinsen zugesprochen.

Bundesregierung prüft den Ausstieg

Besonders motiviert waren Konzerne in der Periode 2013 – 2016, es häuften sich die jährlichen Klagefälle. Allein im Jahr 2015 gab es beispielsweise 30 neue Klagen gegen Länder, die den ECV ratifiziert haben. „Investitionsschutzverträge mit einer Sonderjustiz für Konzerne wurde als Geschäftsmodell für Anwaltskanzleien entdeckt“ meint Pfister zu diesem Anstieg an Fällen. Manche Länder wurden sehr häufig zur Zielscheibe der Konzerne. Speziell Spanien wurde mit einer Vielzahl von Klagen überhäuft und verlor davon mehr als die Hälfte. „Internationale Investor:innen haben 51 Streitfälle gegen Spanien anhängig gemacht, 32 sind bereits abgeschlossen, in 23 Fällen hat der:die Investor:in gewonnen“, sagt Sarah Bruckner, Referentin für Europarecht in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien.

Österreich hat den Energiecharta-Vertrag bereits 1994 unterzeichnet und ist seit beinahe 30 Jahren Vertragspartner. Im November 2022 kündigte die Bundesregierung jedoch an, den Ausstieg aus dem Vertrag prüfen zu wollen und es Ländern wie Frankreich, Deutschland und Polen gleichzutun, die bereits fixe Ausstiegsdaten im Dezember 2023 bekanntgegeben hatten. Italien hat den Vertrag bereits 2016 verlassen. „Die Ankündigung der Bundesregierung erfolgte, nachdem letztes Jahr einige EU-Staaten den Vertrag verlassen haben. Seit der Ankündigung der Regierung ist aber nichts passiert. Es fehlt auch eine breite öffentliche Debatte zu dem Thema, der ECV ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt“, so Bruckner.

Weshalb zögert Österreich bei dem Ausstieg, obwohl der Vertrag kaum einen Vorteil für die Staaten bringt? Österreich will anscheinend immer noch die Modernisierung des Vertrags, obwohl diese bereits gescheitert ist. „Die 53 Vertragsparteien haben über die Modernisierung verhandelt und im Juni 2022 eine Grundsatzvereinbarung erzielt. Im November hätte die Modernisierung beschlossen werden sollen. Dazu kam es jedoch nicht, weil die erforderliche Mehrheit auf EU-Ebene nicht zustande kam“, so Bruckner.

Scharfe Kritik

Mit der Modernisierung des Vertrags würde sich an der grundlegenden Problematik der Konzernklagen nichts ändern. Es wäre sogar eine Zunahme an Streitfällen zu befürchten, weil zusätzliche Energieträger geschützt wären. „Ein Unterschied zwischen dem ‚alten‘ und dem ‚modernisierten Vertrag besteht in der Frage, welche Investitionen geschützt sind. Im modernisierten Vertrag wären neue fossile Investitionen in der EU ab August 2023 nicht mehr geschützt. Für bestehende fossile Investitionen würde der Schutz in der EU nach zehn Jahren auslaufen. Das ändert aber nichts daran, dass auch der modernisierte ECV nicht vereinbar ist mit den Pariser Klimazielen“, erklärt Bruckner.

Der Vertrag wird daher von ÖGB, der Arbeiterkammer, Greenpeace, Global 2000 und der Plattform Anders Handeln als Klimakiller-Vertrag bezeichnet und scharf kritisiert. Ein Ausstieg ist laut der Allianz längst überfällig. Deshalb wird auch eine Zustimmung zum reformierten Vertrag strikt abgelehnt. „Der reformierte Vertrag steht der Energiewende diametral entgegen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundenen explodierenden Energiepreise führen uns eindrücklich vor Augen, dass wir unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern besser heute als morgen beenden“, meint Pfister vom ÖGB.

„Die Rechnung zahlen die Bürger:innen mit öffentlichem Steuergeld“

Der aktuell vorliegende Entwurf hätte zur Folge, dass fossile Investitionen bis weit in die 2030er-Jahre geschützt würden. „Die Konzerne, die die Klimakrise mitverursacht haben, können Staaten weiterhin in Milliardenhöhe klagen, wenn sie ihre zukünftigen Gewinne gefährdet sehen. Die Rechnung zahlen die Bürger:innen mit öffentlichem Steuergeld, das wir dringend für Investitionen in die Energiewende benötigen“, bekräftigt Pfister.

Der Energiecharta-Vertrag sieht weiters keine verbindlichen Regeln für die Schadensberechnung vor. Konzerne können daher mehr von einem Staat einklagen, als sie ursprünglich investiert haben. „Die Höhe der Entschädigung, geht oft weit über die getätigte Investition hinaus“, so Bruckner. Ein Ausstieg aus dem Vertrag wäre für Österreich jederzeit möglich. Fünf Monate nach Beginn der Prüfung eines Ausstiegs durch die Bundesregierung ist noch keine Entscheidung bekannt gegeben worden. Überfällig wäre sie längst.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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