Dorthin gehen, wo es brennt

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Die begründete Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg führt immer mehr Arbeitnehmer:innen ins Lager der Populist:innen. Was bedeutet dieser Trend für unsere Demokratie? Nichts Gutes. Der Soziologe Klaus Dörre analysiert, wie Politik und Gewerkschaften gegensteuern können.

Der Wandel berge die Angst vor einem Statusverlust. Um diesem entgegenzuwirken, brauche es, so Klaus Dörre, eine gesellschaftliche Aufwertung der Arbeitnehmer:innenschaft selbst sowie zukunftsträchtiger Berufe.

Auf wen spielt er damit an?

Damit spielt er persönlich etwa auf die Anhänger:innen der Klimabewegung an, die aus seiner Sicht die bildungsmäßig Privilegierten sind und sich auch so verhalten, als würden sie in der gesellschaftlichen Hierarchie höher stehen – und sie sind es ja auch. Er lehnt zutiefst ab, dass diese über sein Leben urteilen und ihm Vorschriften machen. Er sieht also nicht die radikalen Rechten als Gegner:innen, sondern es sind in erster Linie die Klimabewegung und ihre politischen Parteien.

Was hat das zur Folge?

Der zitierte Vertrauensmann ist Mitglied der IG Metall und wählt nicht AfD. Aber in der Belegschaft, die weiter von der gewerkschaftlichen Interessenrepräsentation entfernt ist, liegt der Fall anders. Die AfD liegt in Thüringen in Umfragen bei 28 Prozent und war bei den zurückliegenden Landtagswahlen mit 37 Prozent bei betriebsaktiven Arbeiter:innen stärkste Arbeiter:innenpartei. Und ja, es ist dieser Mechanismus. Es ist die Mischung aus sozialem Protest, aus Protest gegen den Mittelklasse-Bias, der sich als ideologische Beherrschung in den Augen der Arbeiter:innen präsentiert. Diese Vorbehalte gegen den Transformationspfad greift die Rechte auf. Und es gibt für sie viel Spielraum, diese Probleme inhaltlich zu besetzen, die eigentlich klassische Anliegen von Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innenbewegungen sein müssten.

Geht es auch anders?

Ja, wie ein gutes Beispiel zeigt: Der jetzige Betriebsratsvorsitzende im VW-Werk Kassel, Carsten Büchling, und seine Kollegen vertreten eine knallharte klimaorientierte Position und rechnen immer vor, dass ein Geschäftsmodell, das darauf basiert, dass jedes Jahr siebzig Millionen neue PKWs in den Weltmarkt geschoben werden, und das darauf beruht, mit hochpreisigen, sprit- und stromfressenden Karossen und SUVs Geld zu verdienen, weder ökologisch noch sozial nachhaltig ist. Und trotz dieser klaren Ansagen und obwohl erhebliche Teile der Belegschaft diese Position nicht teilen, werden diese Betriebsräte mit weit über 90 Prozent der Stimmen gewählt.

Die Wahrheit ist Arbeiter:innen zumutbar. Das heißt, man darf nicht um den heißen Brei herumreden.

Klaus Dörre, Soziologe

Was bedeutet der mögliche Verlust des Arbeitsplatzes für die Akzeptanz der Transformation sowie die gesellschaftlichen Auswirkungen?

Der entscheidende Punkt dabei ist, dass die Personen, die um ihren Job bangen, sich nicht vor der Arbeitslosigkeit fürchten, sondern vor dem Statusverlust. Das ist, speziell in Deutschland, eine sehr begründete Befürchtung. Denn verlieren diese Beschäftigten ihren Arbeitsplatz in der Automobilbranche oder der Chemieindustrie, dann bleibt oftmals als einzige Perspektive, eine Dienstleistungstätigkeit anzunehmen. Das ist teils gleichbedeutend mit einer Lohn- und Gehaltseinbuße um mehr als ein Drittel und einer Arbeit, die in der gesellschaftlichen Anerkennungspyramide noch weiter unten steht als das, was sie jetzt gerade machen.

Wie kann man der Angst vor Statusverlust entgegenwirken?

Es braucht Sicherheitsgarantien für diejenigen, die in der Transformation von Statusverlust bedroht sind. Dafür ist es aus meiner Sicht notwendig, eine sehr ehrliche politische Kommunikation zu führen. Einerseits muss klar gesagt werden, dass wir diesen Wandel brauchen und es nicht möglich ist, am Bestehenden festzuhalten, und dass wir andererseits jenen, für die es schwierig werden könnte, Sicherheitsgarantien bieten müssen. Und es braucht einen ganzen Komplex an strategisch-politischen Überlegungen, um der Abwärtsspirale keine zusätzliche Dynamik zu verleihen und diese ungewollt voranzutreiben – so etwa durch die gesellschaftliche Aufwertung der Arbeitnehmer:innenschaft und zukunftsträchtiger Berufe, etwa aller bildenden, erziehenden und pflegenden Tätigkeiten, also der sozialen Dienstleistungstätigkeiten sowie des Handwerks, ohne das Sonnenkollektoren nicht aufs Dach kommen.

Also man muss im Gespräch bleiben, Andockpunkte finden. Geht das in der aktuellen Situation noch?

Selbstverständlich gibt es Gruppen, die ein geschlossenes Weltbild haben und mit denen man kaum noch reden kann. Jedoch trifft das für einen erheblichen Teil der Wähler:innen rechter Parteien (noch) nicht zu. Daher muss man genau hinschauen, wo Andockpunkte sind, wieder Präsenz zeigen, dorthin gehen, wo es brennt, wo es wehtut, sich nicht zurückziehen und nur unter seinesgleichen kommunizieren.

Es braucht wieder mehr Diskursfähigkeit?

Klar. Erstens glaube ich, dass man denen, die in den Betrieben Multiplikator:innen sind, den Rücken durch entsprechende Qualifizierungen stärken und sie dabei unterstützen muss, diese Auseinandersetzung im betrieblichen Alltag überhaupt zu führen. Zweitens muss man auf ihr Wissen hören – so sagten uns etwa viele Betriebsräte bei Opel Eisenach: „Das Wort Transformation könnt ihr nicht benutzen, darunter können sich die Kolleg:innen nichts vorstellen. Das müsst ihr konkreter machen.“ Und drittens: Die Wahrheit ist Arbeiter:innen zumutbar. Das heißt, man darf nicht um den heißen Brei herumreden.

Es braucht eine Leitidee, die den Multiplikator:innen den Rücken stärkt. Denn den gewerkschaftlichen Alltagskampf hält man nicht durch, wenn man nicht der Überzeugung ist, dass man auch für eine bessere Gesellschaft streitet.

Klaus Dörre, Soziologe

Beschäftigte bei der Deutschen Post, mit einem nicht so tollen Lohn für 22 Wochenstunden, sagten uns: „Wir sind bereit, im Sinne der Ökologisierung etwa auf das Auto zu verzichten, wenn das wirklich beim Klimaschutz hilft.“ Sie wollen aber nicht, dass um etwas herumgeredet wird, sondern dass klare Ansagen gemacht werden. Das ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Punkt. Das müssen aus meiner Sicht auch Gewerkschaften tun. Sie dürfen nicht der spontanen Tendenz nachgeben, dass man die Transformation auf die lange Bank schieben kann, sondern es muss eine Mischung sein, die darin besteht, die Sorgen sehr ernst zu nehmen und Lösungen anzubieten, aber auch klar auf den Wandel zu drängen.

Was braucht es dazu?

Aus meiner Sicht muss eine positive Vorstellung für die künftige Gesellschaft angeboten werden. Denn – und ich spitze jetzt einmal zu: Gesellschaften, die über keine positive Zukunftsvorstellungen verfügen, sind auf Dauer nicht überlebensfähig. Es geht nicht, Politik nur mit Dystopien zu machen. Davon profitiert nur die radikale Rechte.

Das bedeutet konkret?

Nach 1945 war der Liberalismus tot. Dann hat es langsam kleine Zirkel von Liberalen gegeben – die Chicago School, die Wiener Schule –, die sich bemühten, Liberalismus neu zu buchstabieren: Neoliberalismus. Es hat nicht lange gedauert, und ab der Mitte der 1970er-Jahre wurde die Denkschule hegemonial und galt über politische Grenzen hinweg. Ich denke, dass der Kampf um die Regulationskraft politischer Philosophien für die Zukunft, aber auch schon für die Gegenwart wichtig ist. Es braucht eine Leitidee, die den Multiplikator:innen den Rücken stärkt. Denn den gewerkschaftlichen Alltagskampf hält man nicht durch, wenn man nicht der Überzeugung ist, dass man auch für eine bessere Gesellschaft streitet. Dafür – und das wird immer unterschätzt – braucht es politische Bildung und Qualifizierung und, ein ganz wichtiger Punkt: Es braucht Glaubwürdigkeit. Denn Parteien wie die FPÖ profitieren von der Krise der Politik allgemein. Dem muss man eine Politik entgegensetzen, in der die Repräsentant:innen tun, was sie sagen.

Danke für das Gespräch!

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