Digitalisierung und KI: Wer bleibt, wer geht?

Ein Roboter und ein Mann sitzen nebeneinander auf Stühlen und warten auf eine Besprechung. Der Roboter hat einen Aktenkoffer auf seinen Knien abgelegt. Der Mann schaut auf seine Armbanduhr. Symbolbild für KI und ihre Rolle in der Arbeitswelt.
Im Bewerbungsverfahren gegen die KI? Künstliche Intelligenz wird unsere Arbeitswelt tiefgreifend verändern. | © Adobestock/stokkete
Immer mehr Beschäftigte sorgen sich, dass Künstliche Intelligenz ihnen den Job wegnimmt. Sind die Ängste begründet? Oder birgt die technische Innovation mehr Chancen als gedacht?
Die Reaktionen auf technische Innovationen ist seit den 1950er Jahren immer recht ähnlich: Arbeitnehmer:innen fürchten um ihre Jobs und die Qualität der Arbeit. Und auch dieses Mal in Zeiten großer technischer Umwälzung und der Digitalisierung stellt sich die große Frage: Wer wird durch KI in seinem Job besser, und wer verliert ihn?

Die Erfahrung zeigt hier: Automatisierung ist kein Nullsummenspiel. Im Laufe der Geschichte wurden immer wieder neue Technologien eingeführt, von denen man erwartete, dass sie zu erheblicher Arbeitslosigkeit führen würden, doch langfristig sind die Beschäftigungsquoten relativ stabil geblieben – was freilich nicht heißt, dass das so bleiben muss.

Die KI wird den Rohrbruch nicht reparieren

In den Handwerksberufen stellt sich das Thema kaum, zumal die Robotik der KI hinterherhinkt, und zwar enorm. Dahinter steckt das sogenannte Moravecsche Paradox: Im Gegensatz zu traditionellen Annahmen ist für hochrangiges menschliches Denken relativ wenig Berechnung nötig, sensomotorische Fähigkeiten erfordern hingegen enorme Rechenressourcen. Der Installateur wird sich von der KI also vielleicht ein paar hilfreiche Tipps geben lassen, aber den Rohrbruch reparieren kann sie nicht.

Eine Studie der internationalen Unternehmensberatung McKinsey bestätigt das. Demnach wird die Nachfrage nach bürounterstützenden Arbeitsplätzen wie etwa Finanz- und IT-Fachkräften oder Verwaltungsassistent:innen bis 2030 um 20 Prozent zurückgehen, während die Nachfrage nach handwerklich-körperlicher Arbeit etwa in Bereichen wie Maschineninstallation und -reparatur voraussichtlich um sechs Prozent steigen wird.

Bedroht KI Wissensarbeiter:innen?

Zurück an den Schreibtisch. Was bedeutet das nun für die Wissensarbeiter:innen? Denn sie sind es, die von den neuen Rationalisierungspotenzialen primär betroffen sind. Es zeigen sich grundsätzlich zwei Wege: die Unterstützung bei ungeliebten repetitiven Arbeiten oder die Dequalifizierung der menschlichen Arbeit durch Standardisierung und Automatisierung – bis der Job letztlich entfällt.

Der Installateur wird sich
von der KI vielleicht ein paar Tipps
geben lassen, aber den Rohrbruch
reparieren kann sie nicht.

„Wissensarbeiter:innen müssen umdenken“, betont Hilda Tellioğlu, assoziierte Professorin an der Technischen Universität Wien und Expertin für Change-Management. Zuerst die gute Nachricht: So viele langweilige Arbeiten können ChatGPT und andere KI-Anwendungen jetzt erledigen: E-Mails vorauswählen, den Kalender optimieren, sogar Papers und Berichte können sie lesen und zusammenfassen. „Ich verbringe ohnehin viel zu viel Arbeitszeit mit Tätigkeiten, die ich nicht verrichten möchte oder für die ich überqualifiziert bin. Wenn ich mir viele dieser ungeliebten Arbeiten erspare, dann kann ich mehr denken und meine Fähigkeiten weiterentwickeln. Kurz: Ich kann auf meinem Gebiet besser werden und spannende Wissenschaft betreiben“, sagt Tellioğlu.

Innovation in Schüben durch KI

Weitergedacht, entfallen damit viele administrative und Assistenztätigkeiten. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Vielleicht braucht eine Uni irgendwann nur noch Professor:innen – und von ihnen deutlich weniger als heute, zumal sie ja, von den zeitraubenden Routinearbeiten befreit, deutlich produktiver sind.

Porträtfoto von Fridolin Herkommer. Für ihn wird sich die Arbeitswelt durch Künstliche Intelligenz massiv verändern.
Wenn Routinetätigkeiten wegfallen, verdichtet sich die Arbeit. Das sei bei einer Arbeitswoche von 40 Stunden nicht leistbar, so AK-Digitalexperte Fridolin Herkommer. | © Markus Zahradnik

Tatsache ist: Arbeitswelt und Jobs werden sich verändern. Fallen allerdings Routinetätigkeiten weg, verdichtet sich die Arbeit. Es bleiben dann nur die anstrengenden Aufgaben über. „Das ist über 40 Stunden pro Woche nicht leistbar“, sagt Fridolin Herkommer, Experte für Arbeit im digitalen Wandel der Arbeiterkammer Wien. Fazit: Die zu erwartenden Produktivitätsgewinne müssten in Form von Zeit und Geld ausgeglichen werden. Die Forderung von AK und ÖGB nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich kommt da zum richtigen Zeitpunkt.

Die Arbeitswelt wird mit KI eine andere sein. Allerdings, da sind sich die Expert:innen einig, passiert das nicht über Nacht. „Es wird uns nicht überrollen, weil Menschen und Unternehmen träge sind“, betont die Professorin. Innovation kommt in Schüben daher. „Doch dann gibt es auch wieder eine Zeit der Implementierung. Und bis das in den Tagesablauf integriert ist, wird es noch dauern“, so Herkommer.

„Ihr braucht mich schon, weil …‘“

Es bleibt also noch ein wenig Zeit, sich mit dem Neuen zu beschäftigen. Man wird sich zunächst überlegen, wie man den eigenen Arbeitsplatz mithilfe der neuen KI-Systeme gestalten kann. Dabei geht es nicht um die Weiterentwicklung im Sinne von Technik, sondern um die Weiterentwicklung des eigenen Jobs. Und auch wenn’s vielleicht wehtut: Welchen Teil meiner Tätigkeiten kann ich damit automatisieren?

Zugleich stellt man sich selbst als Mensch mit all seinen Qualitäten und Fähigkeiten in den Mittelpunkt der Analyse. Man sollte sich fragen: Was kann ich besonders gut, was kann nur ich, wo liegen meine Kompetenzen und auch meine stärksten Soft Skills? Tellioğlu: „Das sollte jede:r für sich beantworten können, damit nicht eines Tages jemand kommt und sagt, dass man nicht mehr gebraucht wird. Dann kann man nämlich sagen: ‚Ihr braucht mich schon, weil …‘“

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