Die Zukunft einer Absichtserklärung

Inhalt

  1. Seite 1 - Kritik an der europäischen Säule sozialer Rechte
  2. Seite 2 - Kampagne „Social Rights First!“
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Das soziale Europa steckt in den Kinderschuhen. Gewerkschaften fordern konkrete und vor allem verbindliche soziale Ziele.

Unter Zugzwang gebracht

Nachdem die Kommission im März 2016 einen Entwurf der europäischen Säule sozialer Rechte vorgelegt hatte, startete sie eine öffentliche Konsultation über die zwanzig Punkte darin. Jede/r EuropäerIn konnte sich bis Ende 2016 daran beteiligen. Mehr als 16.500 Online-Antworten und an die 200 Positionspapiere gingen ein. Grund für diese hohe Zahl aktiver Rückmeldungen war die Kampagne „Social Rights First!“, die das ÖGB-Europabüro, die AK Europa und der Europäische Gewerkschaftsbund ins Leben gerufen hatten. Mehr als 15.500 Menschen beteiligten sich daran. Die Kampagne war so konzipiert, dass TeilnehmerInnen über ein Online-Formular Vorschläge einreichten. „Damit haben wir die Kommission schon etwas unter Zugzwang gebracht“, sagt Oliver Röpke.

Regierungen am Zug

Die im April 2017 präsentierte europäische Säule sozialer Rechte, in welche die Ergebnisse der Konsultation eingearbeitet wurden, besteht erneut aus 20 Punkten in drei Kategorien: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang; faire Arbeitsbedingungen; Sozialschutz und soziale Inklusion. Der Großteil der Punkte betrifft den Arbeitsmarkt. Zudem sind Themen wie das Recht auf Wohnraum und die Hilfe für Wohnungslose enthalten, der Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser- und Energieversorgung, Verkehr und digitale Kommunikation, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen, das Recht auf Langzeitpflege und auf ein Mindesteinkommen.

Die Umsetzung der Ziele, die vielen EuropäerInnen Vorteile bringen würde, ist eine Herausforderung. Oliver Röpke nennt einen Grund: „Viele Regierungen aus den sogenannten neuen Mitgliedstaaten in Ost- und Mitteleuropa wollen ihren Wettbewerbsvorteil aus niedrigen Löhnen, Lohn-, Sozial- und Steuerdumping weiterführen. Eine starke soziale Säule würde sie stören.“ Eine Bremse ortet Röpke auch in der Spaltung innerhalb der Kommission: So steht ein Teil hinter Juncker und der Säule, ein anderer ist zurückhaltend oder dagegen. Auch die Gewerkschaften sehen die soziale Säule nicht nur positiv. Röpke nennt ein Beispiel: „Es braucht zwar kräftige Lohnerhöhungen in den neuen Mitgliedstaaten, damit sich das Lohngefälle endlich annähert, aber wir haben mit Eingriffen der EU-Kommission schlechte Erfahrungen gemacht. Lohnpolitik sollen die Sozialpartner in den Ländern machen.“

Säule versus Fortschrittsprotokoll

Deutschland, Schweden und Österreich fordern einen „europäischen Pakt für sozialen Fortschritt“ und haben schon 2014 die Dreiländerinitiative für ein soziales Fortschrittsprotokoll ins Leben gerufen. Es enthält zehn Ziele, etwa Migration und Integration menschlich zu gestalten, den sozialen Dialog auszubauen, starke ArbeitnehmerInnenrechte zu sichern und gegen Steuerbetrug und -hinterziehung zu kämpfen.

Die zehn Punkte sind laut Röpke „wesentlich besser als die 20 Vorschläge der Europäischen Kommission“ und könnten „die Blaupause für eine soziale Säule sein“. In einem Dokument dazu, welches die Allianz im November 2016 veröffentlicht hat, ist zu lesen: „Die EU befindet sich in einer fundamentalen Krise. Die europäische Solidarität ist in Gefahr.“ Viele Menschen hätten „das Vertrauen in die Fähigkeit der Politik verloren, Wohlstand für alle zu schaffen. Die soziale Spaltung wird größer.“ Zwar erhole sie sich von der Wirtschaftskrise, doch trotz leichter Verbesserungen am Arbeitsmarkt und bei sozialen Bedingungen seien die Folgen der Krise weitreichend.

Sondergipfel im November

Wie geht es weiter? Jean-Claude Juncker und Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven kündigten für 17. November einen Sozialgipfel für faire Arbeitsplätze und Wachstum in Göteborg an. Oliver Röpke erwartet, dass sich die EU-Staats- und Regierungschefs dort zur sozialen Säule bekennen. Juncker hat den Wunsch geäußert, dass die Säule noch vor Jahresende auf höchster politischer Ebene angenommen wird. Wie viel oder wenig am Gipfel weitergehen und ob er zu verbindlicheren Vereinbarungen führen wird, ist spannend – und aus Sicht vieler KritikerInnen fraglich.

Linktipps:
Website der EU-Kommission zur europäischen Säule sozialer Rechte:
tinyurl.com/y8ncjb7f
Stellungnahme des ÖGB zur europäischen Säule sozialer Rechte, Dezember 2016:
tinyurl.com/yabdt27n
Europäischer Pakt für sozialen Fortschritt:
tinyurl.com/ycnag4eg

Von
Alexandra Rotter
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/17.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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