Sozialversicherungsreform: Baustopp für Spitäler durch Ausgabenbremse

Foto der Außenansicht des Hanusch Krankenhaus
Aufgrund der neuen Bestimmungen müssen die Sozialversicherungsträger und der Hauptverband unter anderem größere Bauvorhaben oder Übersiedelungspläne auf Eis legen und dürfen offene Leitungsfunktionen sowie Ärztestellen lediglich befristet bis Ende 2019 besetzen – so wie die geplante Abteilung für Hämatologie im Hanusch-Krankenhaus. | © Peroutka Guenther/WirtschaftsBlatt/picturedesk.com
Foto (C) Peroutka Guenther / WirtschaftsBlatt / picturedesk.com
Hinter dem bürokratischen Begriff der Ausgabenbremse steckt ein Stopp von Bauvorhaben und dem Ausbau der Primärversorgung zur Entlastung von Spitalsambulanzen. Dabei widerspricht die Ausgabenbremse selbst dem Prinzip der Selbstverwaltung, wodurch sie verfassungswidrig sein dürfte.
Die Kostenbremse, die die Bundesregierung den Sozialversicherungen im Sommer auferlegt hat, ist ein Novum in Österreich in mehrerlei Hinsicht – und fragwürdig in vielerlei Hinsicht. Zwar ist die Maßnahme letztlich nur Übergangsrecht geworden. Sie dürfte jedoch an sich verfassungswidrig sein, weil in den Krankenkassen bisher das Prinzip Selbstverwaltung herrscht – und nicht Staatsverwaltung: Der Staat kann nicht eingreifen, sondern es müssen die dort zuständigen Verantwortlichen die notwendigen Entscheidungen treffen. Eine juristische Kleinigkeit mit großen Auswirkungen bereits jetzt.

Aufgrund der neuen Bestimmungen müssen die Sozialversicherungsträger und der Hauptverband unter anderem größere Bauvorhaben oder Übersiedelungspläne auf Eis legen und dürfen offene Leitungsfunktionen sowie Ärztestellen lediglich befristet bis Ende 2019 besetzen.

Primärversorgung in Gefahr

Durch die Ausgabenbremse gefährdet:

  • Kinderarzt-Zentrum am Wienerberg, Wien
  • Abteilung Hämatologie im Hanusch-Krankenhaus, Wien
  • Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung in Salzburg
  • Primärversorgung und hausärztlicher Notdienst in Niederösterreich

In Wien wurden daher Bauprojekte wie ein neues Kinderarzt-Zentrum am Wienerberg oder die geplante Abteilung für Hämatologie im Hanusch-Krankenhaus in Penzing gestoppt. Betroffen sind aber Projekte in allen Bundesländern. Laut OppositionspolitikerInnen sind der Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung in Salzburg, ein Therapie-Zentrum in Bad Ischl und ein Vertrag mit den Heeresspitälern ebenso in Gefahr wie die Primärversorgung oder der hausärztliche Notdienst in Oberösterreich.

Besonders empörte SPÖ und Grüne, dass die Bestimmungen „in einer Nacht-und-Nebel-Aktion“ in eine Sammelnovelle eingebaut worden waren, die einen ganz anderen Inhalt hatte – die vorrangig der Anpassung zahlreicher Gesetze aus dem Gesundheits- und Sozialbereich an das neue Erwachsenenschutzgesetz (vormals „Sachwalterschaft“) diente. Noch dazu, ohne eine Begutachtung durchgeführt zu haben.

ExpertInnen bezweifeln Einsparungen

Doch die ÖVP-FPÖ-Regierung denkt (ausschließlich?) betriebswirtschaftlich und möchte Bauvorhaben, Ärzte-Leistungen oder Posten-Besetzungen so lange hintanstellen, bis die – noch umstrittenere – Kassen-Fusion unter Dach und Fach ist: Die angekündigte Verschmelzung der 21 Sozialversicherungsträger soll nicht durch kostspielige Beschlüsse in den Kassen konterkariert werden. Schließlich will die Regierung durch die Reform Einsparungen erzielen, welche ExpertInnen jedoch anzweifeln. An Wartezeit für PatientInnen auf Behandlungstermine wie Operationen wird dadurch freilich alles andere als eingespart werden.

Durch die diversen Vorgaben des Ausgabendeckels werde „in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernbereich der Autonomie von Selbstverwaltungskörpern“ eingegriffen.

Durch die diversen Vorgaben des Ausgabendeckels werde „in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernbereich der Autonomie von Selbstverwaltungskörpern“ eingegriffen. Längst gestartete Projekte und Reformen, wie beispielsweise der Ausbau der Primärversorgungszentren zur Entlastung der Spitalsambulanzen, werden durch die Reform grundsätzlich infrage gestellt.

Etwa das in Wien geplante Kinderarztzentrum am Wienerberg gehört aus Sicht der Krankenkassen zu den ureigenen Aufgaben und Entscheidungen der Kassen als Selbstverwaltungskörper und hat gar nichts mit der Kassenfusion zu tun. Verantwortlich sind die gewählten FunktionärInnen der Sozialpartner, sprich: VertreterInnen von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. Deshalb hatten nicht nur die SPÖ und Gebietskrankenkassen auch aus den ÖVP-dominierten Bundesländern Tirol und Niederösterreich, sondern selbst der aus dem ÖVP-Wirtschaftsbund stammende Vorsitzende im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, Alexander Biach, eine Klage wegen Verfassungswidrigkeit in Aussicht gestellt.

Angriff auf die Sozialversicherten

Es sei denn, die Regierungsparteien würden die im Juli beschlossene Ausgabenbremse möglichst rasch wieder außer Kraft setzen. Der Gesetzesentwurf enthält denn auch ein politisches Zugeständnis: Die Regierung plant die „Ausgabenbremse“ mit April 2019 wieder abzuschaffen, weil dann die Kassenreform in Umsetzung sein soll.

Das wirklich Problematische ist, dass die Sozialversicherungen der Zukunft nicht mehr funktionieren können und dass man ihr Leistungsrecht auf diesem Niveau halten will, anstatt es weiterzuentwickeln. 

Alois Stöger, ehemaliger Gesundheitsminister

„Das wirklich Problematische ist“, gibt der frühere SPÖ-Gesundheitsminister Alois Stöger zu bedenken, „dass die Sozialversicherungen der Zukunft nicht mehr funktionieren können und dass man ihr Leistungsrecht auf diesem Niveau halten will, anstatt es weiterzuentwickeln. Das macht man in der Art und Weise, indem man einen gesamtösterreichischen Vertrag vorschreibt. Wenn der nicht zustande kommt, bleibt der heutige Leistungsvertrag bestehen und neue medizinische Leistungen werden nicht berücksichtigt. Neue medizinische Leistungen werden zur Privatleistung. Und das ist in Wirklichkeit der große Angriff auf die Sozialversicherten, das strukturelle Nicht-Weiterentwicklung der Krankenversicherung. Man könnte das so vergleichen: Ich darf mir nur ein neues Auto kaufen, das vor 2018 gebaut wurde, und im Jahr 2030 wird dieses Auto ein uraltes Vehikel sein“, so Stöger im Interview mit der Online-Ausgabe der Arbeit & Wirtschaft.

Über den/die Autor:in

Heike Hausensteiner

Heike Hausensteiner ist seit ihrer Schulzeit Anhängerin der Aufklärung. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie im Burgenland, studierte sie Sprach- und Europawissenschaften in Paris, Mailand, Wien und Krems/Donau. Als politische Redakteurin begann sie ihre journalistische Laufbahn 1996 bei der "Wiener Zeitung", wo sie u.a. auch das Europa-Ressort gründete. Nach einjähriger Baby-Karenz machte sie sich 2006 selbstständig und arbeitet seither als freie Journalistin für Zeitungen, Magazine und Online-Medien in Österreich und Deutschland sowie als Autorin (u.a. "Im Maschinenraum Europas. Die österreichische Sozialdemokratie im Europäischen Parlament", 2013) und Moderatorin. Sie lebt mit ihrer Familie und 2 Katzen in Wien.

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