Der Wind weht von rechts

Foto (C) FERENC ISZA / AFP / picturedesk.com
Die ungarische Regierung fördert den Aufstieg parteinaher Unternehmer und setzt auf Auslandskapital in der Export­industrie. Ansonsten ist Fidesz an der (oberen) Mittelklasse orientiert. Der Sparstift wird in der Arbeitslosen­versicherung angesetzt.
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Inhalt

  1. Seite 1 - Sozialpolitische Vorstellungen des Neonationalismus
  2. Seite 2 - Tendenz zu restriktivem Zugang in der Sozialpolitik
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Die Sozialpolitik des Neonationalismus in der EU am Beispiel der Regierungen in Belgien, Ungarn und Polen.
Neonationalistische Rechtsparteien haben in der letzten Zeit viel publizistische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren. Weniger gilt das für ihre Sozialpolitik – und das, obwohl neonationalistische Parteien programmatisch sozialpolitischen Fragen einige Bedeutung beimessen und auch in ihrer Regierungspraxis auf diesem Feld Akzente gesetzt haben.

Unterschiedliche Regierungspraktiken

Diese gibt sehr gut Aufschluss über die sozialpolitischen Vorstellungen des Neonationalismus – mehr als die bloßen programmatischen Stellungnahmen, die oftmals anderes versprechen, als dann in der Praxis umgesetzt wird. Sehr gut lässt sich dies an drei Ländern beobachten, in denen neonationalistische Kräfte eine prägende Rolle spielen: In Belgien drückt die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) als flämisch-nationalistische Formation der Regierung stark ihren Stempel auf. Diese Partei ist stark neoliberal orientiert. In Ungarn zeigt die Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban eine Mischung aus neoliberalen und nationalkonservativen Elementen, während die polnische Prawo i Sprawiedłiwość (PiS) stark nationalkonservativ geprägt ist.

In Belgien regiert eine Koalition aus Christdemokraten, Liberalen und der flämisch-nationalistischen N-VA. Das Land weist eine stark sozialpartnerschaftliche Prägung auf, wobei die N-VA nicht mit dem System der Sozialpartnerschaft verflochten ist. Die Partei fällt durch besonders gewerkschaftskritische Positionen auf. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik orientiert sie sich stark an den Forderungen des flämischen Unternehmerverbandes VOKA.

Bislang hat die belgische Koalition den institutionellen Kern der sozialpartnerschaftlichen Institutionen nicht angegriffen, sie hat allerdings neoliberale Tendenzen deutlich vertieft. Zu den zentralen Forderungen von VOKA hatte die Flexibilisierung der Arbeitszeit gehört. Während 2003 noch eine Arbeitszeitverkürzung auf eine 38-Stunden-Woche eingeführt worden war, ermöglicht das neue Arbeitszeitgesetz eine Erhöhung der Arbeitszeit. Die Obergrenzen wurden auf neun Stunden pro Tag und 45 Stunden in der Woche erhöht, der Durchrechnungszeitraum verlängert.

Bei der Arbeitslosenversicherung hatte bereits die Vorgängerregierung unter dem sozialistischen Premier Elio di Rupo, eine strukturelle Verschlechterung vorgenommen, beispielsweise wurde das Arbeitslosengeld degressiv gestaltet. Die aktuelle Regierung unter Premier Charles Michel hat weitere Verschärfungen vorgenommen, besonders wurde der Druck auf ältere Arbeitslose verschärft.

Eine weitere sozialpolitische Priorität hatten die Pensionen: Das Pensionsantrittsalter wird bis zum Jahr 2030 schrittweise von 65 auf 67 Jahre erhöht, der Zugang zur Frühpensionierung wurde erschwert. Die Bedingungen für die Anerkennung von Zeiten, in denen nicht gearbeitet worden ist, wurden verschärft.

Wohlfahrt für die Wohlhabenden: Mit diesen Worten charakterisiert die ungarische Sozialstaatsexpertin Dorottya Szikra die Sozialpolitik der seit 2010 amtierenden Fidesz-Regierungen. Wirtschaftspolitisch fördert die Regierung einerseits den Aufstieg parteinaher Unternehmer etwa in Banken, Medien oder Bauwirtschaft. Anderseits setzt sie auf Auslandskapital in der Exportindustrie. Ansonsten ist Fidesz an der (oberen) Mittelklasse orientiert.

Aus der Transformation sind die ungarischen Gewerkschaften geschwächt hervorgegangen. Das System der sozialpartnerschaftlichen Organisationen war bereits in den Jahren bis 2010 nicht besonders stark. Die Fidesz-Regierungen haben es mehrfach umgebaut, verwässert und geschwächt. Zudem haben sie die Arbeitsbeziehungen – einschließlich der Arbeitszeitregelungen – massiv zulasten der ArbeitnehmerInnen flexibilisiert. Die Arbeitsbedingungen für Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene wurden deutlich verschlechtert.

Problematische Kürzungen

Besonders starke Einschnitte nahm die Regierung in der Arbeitslosenversicherung vor: Die maximale Bezugsdauer für Arbeitslosengeld wurde von neun auf drei Monate reduziert – dies ist die kürzeste Bezugsdauer in der EU. Gleichzeitig wurde die Gewährung von Sozialhilfe an die Beteiligung an öffentlichen Arbeitsprogrammen geknüpft. Diese wurden stark forciert. Als eine Brücke für die Rückkehr in den Arbeitsmarkt erwiesen sich diese Arbeitsprogramme allerdings nicht. Diverse Initiativen entwickelte die Fidesz-Regierung zur Kriminalisierung von Obdachlosen.

Bei den Pensionen machte die Regierung die teilweise in der Vergangenheit erfolgte Privatisierung der Pensionsversicherung wieder rückgängig. Zwar wurde dadurch die Abhängigkeit von den Kapitalmärkten gemindert, die Hauptmotivation dafür war aber budgetär. Frühpensionen wurden stark gekürzt, zahlreiche Personen mit Berufsunfähigkeitspensionen wurden in das schlecht dotierte Sozialhilfesystem und das System öffentlicher Arbeiten gedrängt.

Entsprechend ihrer nationalkonservativen Orientierung baute die Fidesz-Regierung die Familienpolitik aus. Hier führte sie Steuererleichterungen ein, die vor allem auf besser Verdienende ausgerichtet sind. Trotz der ultrakonservativen Orientierung bei Genderfragen hat die Fidesz-Regierung ein Karenzmodell entwickelt, das zumindest gut verdienende Frauen nicht von einer relativ frühen Rückkehr an den Arbeitsplatz abhält.

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