Soziale Demokratie: Wie die Republik entstand

Inhalt

  1. Seite 1 - Führende Rolle der GewerkschafterInnen in der „österreichischen Revolution“ 1918
  2. Seite 2 - Sozialpolitischen Offensive als Grundlage für Ausbau des österreichischen Sozialstaats
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Die Gewerkschaft spielte bei der Gründung der Republik 1918 eine große Rolle. Ihr Ziel war die "soziale Demokratie".

Sie mischten ganz bewusst in der Politik mit, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Denn München und Ungarn waren zu Räterepubliken geworden, die den Kapitalismus als Gesellschafts- und Wirtschaftssystem sofort beseitigen wollten. Die Profiteure einer unkontrollierten Marktwirtschaft fürchteten ein Überschwappen dieser Revolution auf Österreich und betrachteten Zugeständnisse bei arbeits- und sozialrechtlichen Eingriffen in die Marktfreiheit und in ihre „Herrenrechte“ als das kleinere Übel.

Anton Hueber, der leitende Sekretär der freigewerkschaftlichen Kommission, beschrieb die Rolle, welche die Gewerkschaften in der Epoche des demokratischen Aufbruchs für sich sahen so: „Mit der Vergangenheit müssen wir brechen und müssen den Weg gehen, der uns durch die Entwicklung gewiesen ist, um endlich mit Hilfe der gewerkschaftlichen Organisation zur wirtschaftlichen Demokratie zu gelangen. Wir haben uns nicht organisiert, um bloß höhere Löhne zu bekommen, unsere Arbeit muss einem höheren Ziel dienen.“

Volle Gleichberechtigung

Noch während des Krieges hatte Hueber zusammen mit Karl Renner als Mitglied des „Ausschusses für Kriegs- und Übergangswirtschaft“ im kaiserlichen Handelsministerium die Errichtung einer „Paritätischen Industriekommission“ durchgesetzt.

Diese sollte die industrielle Abrüstung und den wirtschaftlichen Aufbau der Nachkriegszeit vorbereiten und steuern. In dieser Kommission verhandelten „die freien Kampforganisationen der Arbeiter und Industriellen“, also die Vertreter der Industriellenvereinigung und der Gewerkschaftskommissionen, in voller Gleichberechtigung. Die schon lange bestehenden gesetzlichen Interessenvertretungen der Unternehmer, die Handelskammern, waren nicht eingebunden, weil es die Arbeiterkammern als ihr Gegenstück noch nicht gab und damit eine gleichberechtigte Verhandlungsposition beider Seiten nicht gewahrt gewesen wäre. Die Kommission bereitete zum Beispiel die Einführung der Arbeitslosenunterstützung und des Achtstundentags vor. Sie sorgte so dafür, dass man sich in den Unternehmen auch an die neuen Gesetze hielt.

Revolutionäres Arbeitsrecht

Der Achtstundentag war eine der ersten Forderungen der Gewerkschaftsbewegung, die Arbeitslosenversicherung ein neuer Weg, aber für ihre Ausformung spielten Erfahrungen aus der gewerkschaftlichen Arbeitslosenunterstützung eine wichtige Rolle. Die beiden Gesetze waren Teil der sozialpolitischen Offensive, die 1918 bis 1920 vom Hanusch-Ministerium ausging und die Grundlage für den Ausbau des österreichischen Sozialstaats nach 1945 legte. Etliche der Sozialgesetze – wie das Krankenversicherungsgesetz – gab es schon in der Monarchie, sie wurden jetzt modernisiert und galten endlich für fast alle ArbeitnehmerInnen.

Als „revolutionär“ kann das neue kollektive Arbeitsrecht bezeichnet werden: Rechtsverbindlichkeit von Kollektivverträgen, Betriebsräte als gewählte Belegschaftsvertretung und Arbeiterkammern mit dem Recht auf Selbstverwaltung, das bisher nur den Unternehmern zugestanden worden war.

Anhänger der „Marktfreiheit“ bekämpften diese Mitbestimmungsrechte schon bald als „sozialen Schutt“. Sie fanden ab 1921 in den rechten Koalitionsregierungen Verbündete, die das Experiment „soziale Demokratie“ vorläufig stoppen konnten. Ein rigoroses Sparprogramm vernichtete den gerade beginnenden Aufschwung.

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Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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