Debatte ohne Triple-A

Die ArbeitnehmerInnen in Österreich leisten viel und sind dabei auch noch hoch produktiv. In der Debatte fehlt vor allem die Wertschätzung ihnen gegenüber.
Das wohl Augenscheinlichste an der österreichischen Debatte zum Thema Arbeitszeit ist der Mangel an Wertschätzung gegenüber den ArbeitnehmerInnen. Auf den Punkt gebracht: Es fehlen die zentralen drei „A“: Anerkennung, Abgeltung und Fortschritte bei der Autonomie zur Arbeitszeitgestaltung.

Die Beschäftigten in Österreich arbeiten jetzt schon länger als die meisten anderen in Europa. Im Jahr 2017 etwa kamen Vollzeitbeschäftigte auf durchschnittlich 41,3 Stunden Wochenarbeitszeit. Das sind nach Großbritannien und Zypern die drittlängsten Arbeitszeiten von Vollzeitbeschäftigten. Die ArbeitnehmerInnen in Österreich leisten somit viel – ob am Tag oder in der Nacht, während der klassischen Arbeitswoche oder an den Wochenenden, im Freien oder drinnen, bei Hitze oder bei Kälte. Sie sind dabei auch noch hoch produktiv, wie internationale Vergleichsstudien bestätigen. Das ist alles keine Selbstverständlichkeit – sollte man meinen.

Eigentlich würde man sich erwarten, dass der hohe Arbeitseinsatz der ArbeitnehmreInnen mehr Anerkennung in den Unternehmen erfahren sollte.

Eigentlich würde man sich erwarten, dass dieser hohe Arbeitseinsatz mehr Anerkennung in den Unternehmen erfahren sollte. In den jüngsten Lohn- und Gehaltsrunden haben die Gewerkschaften besonders stark auf die erbrachten Leistungen hingewiesen und auch beachtliche Abschlüsse erzielt. Gleichzeitig ist der Befund zulässig, dass solche Verhandlungen nicht das kompensieren können, was mit 1. September 2018 Gesetz geworden ist: nämlich die Ausweitung der Höchstarbeitszeiten, die einen generellen 12-Stunden-Tag bzw. eine generelle 60-Stunden-Woche ermöglichen. Ist eine Ausweitung der Arbeitszeit nicht eine sonderbare Art des „Danks“ für die geleistete Arbeit von 3,7 Millionen ArbeitnehmerInnen?

Übler Zynismus

Seit Jahresbeginn 2019 liest man nun öfter, dass die Unternehmen von den neuen Höchstarbeitszeiten ohnedies keinen Gebrauch machten. Alles also beim Alten? Von wegen! Der Druck auf die ArbeitnehmerInnen hat noch stärker zugenommen! Neben oft unglaublichen Einzelschicksalen, mit denen sich die Rechtsberatung der Arbeiterkammer beschäftigt, und der Verbreitung von neuen Musterverträgen sind die Versuche von teils großflächigen Anpassungen von Betriebsvereinbarungen auffällig. Die Dunkelziffer der Rechtsverstöße ist logischerweise höher als die Zahl der anhängigen Rechtsfälle. Wer möchte schon in Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit seinen/ihren Arbeitsplatz aufs Spiel setzen und im aufrechten Arbeitsverhältnis den Rechtsweg beschreiten?

Faktum ist: Eine Ausweitung der Arbeitszeiten findet schleichend – aber in bereits sichtbarer Weise – statt. Die gelebte Realität von oft überlangen Arbeitszeiten ist nun im Gegensatz zu früher auch rechtlich gedeckt: Was früher eine Überschreitung der Arbeitszeitgrenze war, ist heute „Normalität“.

Die gelebte Realität von oft überlangen Arbeitszeiten ist nun im Gegensatz zu früher auch rechtlich gedeckt: Was früher eine Überschreitung der Arbeitszeitgrenze war, ist heute „Normalität“.

Nicht minder zynisch ist der Hinweis auf die Freiwilligkeit, wenn es um die Leistung von mehr als 10 Stunden täglich oder mehr als 50 Stunden wöchentlich geht. Bedenkt man die im Arbeitsverhältnis grundsätzlich bestehende persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, ist es mehr als fraglich, wie weit die Freiwilligkeit tatsächlich reichen kann. Mehrmalige Ablehnungen könnten durchaus langfristige Folgen haben, etwa wenn es um Beförderungen oder aber um Rationalisierungsmaßnahmen geht. Da ändert es auch nichts daran, wenn ein Benachteiligungsschutz hinsichtlich Entgelt, Aufstiegsmöglichkeiten und Versetzungen im Gesetz verankert oder die Möglichkeit geschaffen wurde, eine wegen der Ablehnung solcher Überstunden erfolgte Kündigung binnen zwei Wochen bei Gericht anzufechten.

Ungewürdigte Leistung

Abzuwarten bleibt, ob sich wenigstens die Zahlungsmoral der Unternehmen bei Mehr- und Überstunden verbessert. Sie kann auch ein Indikator dafür sein, wie sehr die Leistung der Beschäftigten in diesem Land gewürdigt wird. Gleichzeitig zeigt er aber auch die Machtverhältnisse auf: In heimischen Unternehmen bleibt von den jährlich geleisteten Mehr- und Überstunden (das sind rund 250 Millionen Stunden) etwa jede fünfte unvergütet. Zwischen 40 und 50 Millionen (!) Stunden werden jährlich also weder in Zeit noch in Geld abgegolten. Das entspricht einem Einkommensentfall von rund einer Milliarde Euro pro Jahr bzw. der Gratisarbeit von rund 26.000 Vollzeitbeschäftigten.

Die Einführung des 12-Stunden-Tages bzw. der 60-Stunden-Woche geht völlig an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen vorbei: Laut Statistik Austria (2018) wollten sieben von zehn Beschäftigten, dass ihre Arbeitszeit im Wesentlichen so bleibt, wie es vor der neuen Rechtslage war. Vom Rest wollten doppelt so viele ihre Arbeitszeit reduzieren, als sie andere erhöhen wollten. Die neue Gesetzeslage fährt also über die Wünsche der Menschen drüber und erhöht den Druck am Arbeitsplatz noch mehr.

Die Einführung des 12-Stunden-Tages bzw. der 60-Stunden-Woche geht völlig an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen vorbei.

Das Einzige, was dieses 12-Stunden-Tag-Gesetz wirklich schafft: Es verschärft die bestehenden Schieflagen bei der bezahlten und unbezahlten Arbeitszeit zwischen den Geschlechtern. Frauen werden noch häufiger in die ZuverdienerInnen-Rolle gedrängt und tragen weiter die Hauptlast der unbezahlten Arbeit im Familienkontext. Statt die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern, wird ein traditionelles Familienbild durch die verschärften Realitäten der Arbeitswelt einzementiert.

Während leichte Fortschritte bei der flächendeckenden, qualitativ hochwertigen und v. a. leistbaren Bereitstellung von sozialen Diensten wie Kinderbetreuung oder Pflege irgendwie vorstellbar sind, ist aus heutiger Sicht kein breiter Paradigmenwechsel in Richtung einer gleichstellungsorientierten Gesellschaftspolitik abzusehen.

Anstatt sich den Wünschen der Wirtschaft nach noch mehr Flexibilität ständig zu beugen, wäre es dringend geboten, den ArbeitnehmerInnen mehr Autonomie hinsichtlich der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten zuzuerkennen – Stichwort Zeitsouveränität. Dies betrifft einerseits klassische Arbeitszeitmodelle, etwa einen Rechtsanspruch auf die – oft diskutierte, aber definitiv so nicht (!) umgesetzte – 4-Tage-Woche. Ebenso trifft es auf klassische Sabbatical-Modelle zu, die eine lebensphasen­orientierte Auszeitmöglichkeit schaffen können. Es bräuchte auch adäquate Lösungen, wenn es um die Konsumation von angesparten Zeitguthaben geht, die nur im Einvernehmen und oftmals nicht zu jenen Zeiten verbraucht werden können, in denen sie notwendig wären.

Anstatt sich den Wünschen der Wirtschaft nach noch mehr Flexibilität ständig zu beugen, wäre es dringend geboten, den ArbeitnehmerInnen mehr Autonomie hinsichtlich der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten zuzuerkennen.

Die Menschen haben es verdient, Arbeitsbedingungen vorzufinden, die geeignet sind, ihre Gesundheit nicht zu gefährden. Ganz in diesem Sinne wurde rund um die Einführung des 12-Stunden-Tag-Gesetzes massiv Kritik geäußert, denn arbeitswissenschaftlich ist anerkannt, dass überlange Arbeitszeiten ohne ausreichende Erholungsmöglichkeiten schlichtweg krank machen.

Laut Erhebungen der EU-Agentur Eurofound (2016) kommen auf Basis der wesentlichen Kollektivvertragsregelungen die Beschäftigten in Österreich auf jährlich 1.738 Arbeitsstunden (durchschnittliche kollektivvertragliche Normalarbeitszeit abzüglich Urlaub und Feiertagen). Beim Exportweltmeister Deutschland sind es nur 1.681 Stunden. Damit haben die Deutschen umgerechnet eine Urlaubswoche (zu 40 Stunden) und zwei freie Tage (zu acht Stunden) mehr. In wirtschaftlich ähnlich hoch entwickelten Ländern wie Schweden werden 74 Stunden weniger im Jahr gearbeitet, was einer zusätzlichen Urlaubswoche und vier freien Tagen mehr entspricht. In Dänemark wird um 103 Stunden weniger gearbeitet – das sind sogar zwei Urlaubswochen und zwei freie Tage mehr.

Kurzum: In Schweden, Dänemark und Deutschland – alle sehr wettbewerbsfähige Volkswirtschaften – wird über das Jahr kürzer gearbeitet als in Österreich. Der wirtschaftliche Spielraum hierzulande für einen erleichterten Zugang zu einer sechsten Urlaubswoche ist also längst da. Nicht zu vergessen: Er wird tagtäglich von den Beschäftigten selbst (!) erarbeitet.

Einzig sinnvolle Alternative

Man kann es zuspitzen: Das 12-Stunden-Tag-Gesetz muss weg! Innovative Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung wären die einzig sinnvolle Alternative. Wer in der Arbeitszeitdebatte nicht einmal über Anerkennung, Abgeltung von geleisteter Arbeit und mehr Autonomie reden möchte, der/die hat schlichtweg kein Triple-A verdient!

Eurofound-Studie:
tinyurl.com/y3evwcgl

Von
Adi Buxbaum und Christian Dunst

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/19.

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