Die Doku begleitete drei Jahre lang Idiskut, die damals in einer Volksschule im 10. Wiener Gemeindebezirk arbeitete, sowie ihre Klasse. Die Eltern der porträtierten Schüler:innen kommen aus der Türkei, Tunesien oder Balkan-Ländern. Die Herausforderungen, die durch die Zusammensetzung und die so enge Ressourcenlage in Schulen entstehen, werden im Film konkret angesprochen: Platznot, Lehrer:innenmangel, viele Schüler:innen, die nicht Deutsch als Erstsprache haben. Die Folgen sind eine hohe Belastung für aktive Lehrer:innen, die Kinder, nicht genug fördern können.
Beckermanns Film heimste viel Lob und mehrere Preise ein. Idiskut war in der Folge eine gefragte Person – und ist es bis heute. Immer wieder wird die Pädagogin zu Bildung, „Brennpunktschulen“ und Barrieren für junge Menschen befragt. Die Wiener Wochenzeitung „Falter“ kürte sie gar zum „Menschen des Jahres 2024“. SOS Mitmensch verlieh ihr den Zivilcourage-Preis – für ihr offenes und couragiertes Eintreten für Bildungsgerechtigkeit, so die Menschenrechtsorganisation.
Mehrsprachigkeit als Potenzial
„Ich bin sehr offen, würde ich sagen“, so Idiskut gegenüber Arbeit&Wirtschaft. Das helfe ihr in ihrem Beruf: „Es ist wichtig, dass man für Schüler:innen mit einer anderen Kultur oder Sprache Verständnis hat.“ Idiskut spricht bedacht, verwendet oft Begriffe wie „positiv“ und „bereichernd“. Beim Thema Bildungspolitik verweist sie auf Potenziale. Stichwort viele Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache: „Ich finde, dass wir die Mehrsprachigkeit vor allem in den Ballungsräumen stärker miteinbeziehen sollten“, betont sie. „Mir fehlen in den Schulen die Sprachen, die hier vertreten sind, also etwa Arabisch oder Türkisch“, so die gebürtige Wienerin, deren Eltern aus der türkischen Provinz Kastamonu im Schwarzmeergebiet stammen. „Ideal wäre es, wenn man Muttersprachen-Lehrpersonen – und die gibt es! – mehrere Stunden in der Klasse hätte.“ Nachsatz: „Viele Sprachen werden in der Gesellschaft als negativ betrachtet, das führt zu einer Entmutigung hinsichtlich des Sprachenlernens.“ Es gehe darum, Schüler:innen mit nichtdeutscher Muttersprache genügend Chancen zu geben.

Was benötigen Volksschüler:innen generell, um gut Richtung Zukunft zu starten? „In erster Linie eine gute Beziehungsebene. Kinder brauchen auf jeden Fall Personen, die sie verstehen – nicht nur sprachlich.“ Wie sieht sie die verpflichtenden Deutschförderklassen, in denen seit einigen Jahren Kinder mit „ungenügenden“ Deutschkenntnissen getrennt von den anderen unterrichtet werden? „Davon, wie es derzeit ist, also dass die Kinder separiert werden, halte ich gar nichts.“ Und wie würde sie die Probleme im Bereich Deutschkenntnisse lösen? Die Pädagogin will Kindern auf der einen Seite „Räume geben, um unterschiedliche Sprachen zusammenzubringen“, und dann Deutsch als gemeinsame Sprache fördern. Zudem nehme sie die Eltern mit: „Ich hole vorwiegend Mütter zu mir, um sie dazu zu bringen, die deutsche Sprache mitzulernen. Durch diese Zusammenarbeit mit den Eltern habe ich einen besseren Zugang zum Lernverhalten der Schüler:innen.“
Die Eltern mit ins Boot holen – damit dreht Idiskut an einem entscheidenden Hebel, und das auch aus einem anderen Grund: Eine aktuelle OECD-Studie bestätigt, dass Bildungskarrieren in Österreich stärker vom Bildungshintergrund der Eltern abhängen als anderswo. Laut der neuesten Ausgabe von „Bildung auf einen Blick“ haben junge Erwachsene mit zumindest einem Akademiker:innen-Elternteil aktuell eine fast viermal höhere Chance auf einen Hochschulabschluss als jene mit Eltern, die nur die Pflichtschule abgeschlossen haben. Zwar hat sich die Situation laut Studie seit 2012 etwas verbessert. Aber Österreich steht im Schnitt der OECD-Länder immer noch schlecht da.
Wegbereiter:innen und Vorbilder
Was würde sie auf jeden Fall ändern, wenn sie könnte? „Es sollte unbedingt zwei Lehrpersonen in jeder Volksschulklasse geben, vor allem in der ersten und zweiten Schulstufe.“ Wenn Idiskut das sagt, tut sie das zusätzlich auch als Personalvertreterin in der Lehrergewerkschaft: „Die Kolleg:innen in der Volksschule benötigen mehr Unterstützung pro Standort – nicht nur Lehrer:innen, auch Schulsozialarbeiter:innen oder Schulpsycholog:innen“, betont sie.

Was sie noch fordert? „Eine Ausbildung, die viel Erfahrung in der Praxis bietet – und natürlich nach dem aktuellen Gehaltsabschluss mehr Geld für diese so wichtige Arbeit.“ Aus Idiskuts Sicht sind zudem die Erwartungen an den Beruf zu hoch. Der Bedarf an Lehrer:innen ist groß. Warum also soll sich, gerade in der derzeitigen Lage, das jemand antun? Allerdings: „Lehrer:innen verändern die Zukunft, indem sie Kinder auf ihrem Bildungsweg fair begleiten, ihnen Chancen geben und an sie glauben. Wir sind Wegbereiter:innen, Vorbilder.“
Idiskuts eigene Eltern sind als „Gastarbeiter:innen“ nach Österreich gekommen. Der Vater ist gelernter Taschenmacher, designte und produzierte Taschen. Die Mutter arbeitete als Elementarpädagogin. Dadurch bekam die junge Ilkay Einblick in den Kindergarten. Die Mutter empfahl ihr früh, später einen pädagogischen Beruf zu ergreifen. Idiskuts eigener Traum war das lange nicht: „Ich dachte mir: ‚Nein, sicher nicht! Das ist ja voll anstrengend!‘“ Als sie im Rahmen der Pädagogischen Hochschule in einer Schule hospitierte, war die Sache dann aber klar. Sie wollte Lehrerin werden: „Es hat mir so gut gefallen!“
Lehrer:innen verändern die Zukunft,
indem sie Kinder auf ihrem Bildungsweg
fair begleiten, ihnen Chancen geben
und an sie glauben.
Ilkay Idiskut, Volksschullehrerin
Idiskut engagiert sich heute für die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter:innen in der Personalvertretung. In dieser Funktion versteht sie sich sehr stark als verbindendes Glied, damit der Schulalltag für alle, nicht zuletzt die Arbeitnehmer:innen, besser funktioniert: „Zu einer Schule gehören Personen mit unterschiedlichsten Aufgaben, sie besteht nicht nur aus Lehrer:innen, Schüler:innen und Direktor:innen. Ihre Zusammenarbeit sollte eine Symbiose sein.“
Teamplayerin Idiskut? „Ja, sie ist definitiv generell eine, die gerne andere unterstützt“, so eine langjährige Freundin von ihr. „Wenn man Hilfe braucht und sie um zwei Uhr in der Nacht anruft, ist sie für einen da.“
Ein Blick in die Politik
Auf Bezirksebene hat Idiskut bereits in die Politik hineingeschnuppert. Könnte sie dort, in der Politik, oder auf der strategischen Seite der Bildungspolitik noch mehr bewegen? Die langjährige Freundin grübelt. Idiskut sei authentisch und verfüge immer über eine gute Präsenz: „Wenn sie wo anwesend ist, dann registriert das jeder.“ Von beidem würde sie in anderen Funktionen sicherlich profitieren. Aber eigentlich, so glaubt sie ganz persönlich, sei Idiskut als Lehrerin und Gewerkschafterin genau am richtigen Fleck.
Idiskut selbst reagiert auf die Frage, ob eine Politkarriere etwas für sie wäre, ebenso skeptisch: „Also ich habe zwar bei den diesjährigen Bezirksvertretungswahlen in Wien kandidiert (für die SPÖ, Anm. d. Red.). Aber ich würde im Bildungsbereich viel verändern wollen, wenn ich in der Politik wäre. Ich befürchte, dass ich diese Veränderungen nicht umsetzen könnte, weil sie vielen zu weit gehen würden“, so Idiskut nachdenklich. „Zudem stellt sich die Frage, ob einem dann zugehört würde. Ich habe selbst Migrationshintergrund …“ Auf der einen Seite dazugehören, auf der anderen nie ganz von der Gesellschaft akzeptiert werden. Diese schwierige Lage kenne Idiskut aus ihrer Familie, schon ihren Eltern sei es als Gastarbeiter:innen so gegangen.
Rote Linie Ressentiments
Generell gäbe es hierzulande eine fehlende Offenheit gegenüber Zugewanderten. Befeuert würden diese Ressentiments durch die Medienberichterstattung, die – etwa bei der Nennung der Herkunftsländer bei Kriminellen – ganze Communitys stigmatisiere und die Gesellschaft spalte: „Das erkenne ich zum Beispiel, wenn ich einen Ausflug mit der Klasse mache und im Autobus Menschen meinen Schüler:innen den Platz neben sich nicht geben wollen, obwohl nur eine Tasche draufliegt“, so Idiskut. „Vermutlich“, ergänzt sie, „weil die Kinder nicht in das Schema der anderen Passagier:innen passen.“
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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 29. Oktober 2025 um 14:13
Da verliere sie, selbst Mutter eines Zweijährigen, ihre Gelassenheit: „Wenn man auf Kinder losgeht, macht mich das sehr grantig. Kinder haben sich ihre Eltern und ihre Sprache nicht ausgesucht. Wenn man deshalb mit ihnen den Konflikt sucht, dann habe ich dafür kein Verständnis!“ Kurz verdunkelt sich Idiskuts Miene. Es dauert aber nicht lang, und ihre Balance ist zurück. Die Mission Gerechtigkeit geht weiter.