Das schlechte Volk?

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Warum wenden sich immer mehr Menschen populis­tischen Parteien zu? Für ­Walter Ötsch ist die ­lang­fristige Ursache die Transfor­mation des Kapitalismus zum Finanz­kapitalismus. Dazu kommen kurzfristige Anlässe wie die ­Flücht­- lingszuwanderung oder Terrorattentate.

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Populismus ist Schimpfwort wie Kampfbegriff. Dabei stammt er sprachlich, wie auch die Demokratie, vom Volk ab. Ist er dennoch per se abzulehnen?
Ist jede/r zweite amerikanische WählerIn ein/e IdiotIn? Ist rund ein Drittel des österreichischen Wahlvolks unvernünftig? Oder warum fallen sie auf PopulistInnen herein und lassen sich mit marktschreierischen Phrasen, vereinfachenden Schuldzuweisungen und ausgrenzenden Ideen verführen? Immer mehr Menschen schenken populistischen Parteien ihre Stimme oder populistischen Parolen ihr Ohr. Kann es sein, dass so viele Menschen nicht sehen, wie sie rhetorisch verschaukelt werden? Populismus erlebt eine Hochblüte, nicht nur von rechts in Form von Trump, Le Pen, Wilders, Orbán oder Strache. Auch auf linker Seite werden etwa dem Labour-Parteichef Jeremy Corbyn, der spanischen Podemos oder der griechischen Syriza populistische Tendenzen unterstellt. Und hat hierzulande Peter Pilz keine Berührungspunkte mit Populismus?

Abbild der Gesellschaft

Der belgische Historiker und Archäologe David Van Reybrouck hält Populismus nicht per se für schlecht. In seinem Essay „Für einen anderen Populismus“ spricht er sich für mehr, aber „besseren“ Populismus aus. Populismus sei keine Krankheit, sondern Symptom eines tiefer liegenden Problems. Große Bevölkerungsteile, vor allem Geringqualifizierte, seien in der Politik nicht mehr repräsentiert. Es herrsche eine „Diplomdemokratie“: In Parlamenten und Regierungen sitzen vor allem Menschen mit akademischen Abschlüssen, welche die Interessen von Geringqualifizierten zu wenig vertreten würden. Van Reybrouck zeigt auf, dass die Politik noch vor einigen Jahrzehnten ein besseres Abbild der Gesellschaft war. Das hält er für wichtig, damit alle Schichten sich an politischen Entscheidungen beteiligen anstatt zu NichtwählerInnen zu werden oder sich PopulistInnen zuzuwenden, die ihnen offenbar am glaubwürdigsten versprechen, sich für ihre Interessen einzusetzen.
Für den Ökonomen und Kulturhistoriker Walter Ötsch ist es verständlich, dass sich so viele Menschen PopulistInnen zuwenden. Er sieht dafür lang- und mittelfristige Ursachen sowie kurzfristige Auslöser. Die langfristige Ursache sei die Transformation des Kapitalismus zum Finanzkapitalismus. Diese führe dazu, „dass die Angst vieler Menschen ganz langsam wächst, weil sie keine Zukunftschancen für sich oder ihre Kinder sehen und fürchten, in der Pension zu verarmen“. Mittelfristig habe die Krise 2008/09 einen Beitrag zum Erstarken des Populismus geleistet (siehe auch Interview mit Walter Ötsch). Dazu kommen kurzfristige Anlässe wie die Flüchtlingszuwanderung oder Terrorattentate. Ötsch: „Die Menschen, die Angst haben, fühlen sich von populistischen Politikern verstanden und denken: Endlich spricht einer mein Unbehagen an.“

Populismus vs. Demokratie

Der Begriff Populismus leitet sich vom Volk ab bzw. vom lateinischen „populus“. Wenn PolitikerInnen etwas tun oder sagen, was dem Volk zugute kommt, was soll denn daran schlecht sein? Und warum ist die Demokratie, die sprachlich ebenfalls vom Volk kommt, gut? Kurz gesagt: weil der demokratische Volksbegriff etwas anderes meint als der populistische. Während in einer Demokratie alle StaatsbürgerInnen das Volk bilden, meinen PopulistInnen nur einen Teil der BürgerInnen, wenn sie vom Volk sprechen. Nicht nur das: Sie spielen diesen gegen einen anderen aus. „Das Volk“ oder „der kleine Mann“ steht auf einer, „die Elite“, „die EU“ oder „die Migranten“ auf der anderen Seite. So erklärt sich auch manch populistische Äußerung, auf die Walter Ötsch verweist, wie etwa jene von AfD-Politiker Björn Höcke, der Sigmar Gabriel einen „Volksverderber“ nannte, oder jene von Alexander Gauland, der nach der Bundestagswahl sagte: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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