Coverstory: HeldInnen und Schurken

Inhalt

  1. Seite 1 - AK unter Beschuss
  2. Seite 2 - Mehr als eine Interessenvertretung
  3. Seite 3 - Gegenmacht zu Machtnetzwerken
  4. Seite 4 - Dreieck der Akteure
  5. Auf einer Seite lesen >
Es ist keine große Überraschung, dass die Arbeiterkammer einer aggressiven rechts-ultrarechten Regierung ein Dorn im Auge ist. Schließlich ist sie nicht nur eine wichtige Anlaufstelle für ArbeiterInnen und Angestellte bei einer breiten Palette von Problemen. Sie ist zugleich die einzige Institution, die den Propagandanetzwerken des großen Geldes etwas entgegensetzen kann. Wird sie geschwächt, kann einfacher ausgebeutet und noch viel mehr Schaden angerichtet werden.

Fragwürdiges Argumentarium

Aber das ist natürlich längst nicht alles. Als Zulage haben sie sich in den vergangenen dreißig Jahren ein schönes ideologisches Argumentarium zurechtgelegt: Staatliche und öffentlich-rechtliche Institutionen seien ein Übel, wird da getrommelt. Die fragwürdigen Begründungen: Diese würden den Wettbewerb hemmen, notwendige Reformen ver­hindern, auf gesetzlichen Arbeitnehme­rInnenrechten beharren und damit die Flexibilität behindern, die angeblich die Quelle allen Fortschritts sei. Und außerdem seien Institutionen wie die Arbeiterkammer oder auch die Gewerkschaften natürlich bürokratisch oder sonst wie rückwärtsgewandt. Blockierer! Reformverhinderer! Und wie die leeren Phrasen alle lauten.

Diese Deregulierungsideologie hat sich in den vergangenen dreißig Jahren flächendeckend durchgesetzt. Allein mit der Wirklichkeit hat sie nicht viel zu tun. Dass Österreich ökonomisch und technologisch so gut dasteht und auch eine gut ausgebildete Bevölkerung aufweist, ist gerade auf das sozialpartnerschaftliche Institutionengeflecht und damit auch auf Organisationen wie die Arbeiterkammer zurückzuführen. Tatsächlich gibt es ja, entgegen landläufiger Meinung, eine ganze Bibliothek international vergleichender Forschung, die den Schluss nahelegt, dass korporatistisch geprägte Länder nicht erstarren, wie gerne behauptet wird. Ganz im Gegenteil, sie schneiden vielmehr besser ab als Länder, in denen eher der Konflikt regiert. Sogar Gewerkschaften, die, wie die österreichischen, auf Verhandlungslösungen und Konsens setzen, erzielen auf lange Sicht bessere Lohnentwicklungen für die Beschäftigten als Gewerkschaften, die streiklustig sind.

Korporatistische Länder sind, grob gesprochen, solche, in denen organisierte Verbände sich Macht teilen und viele Konflikte am Verhandlungstisch lösen. Es sind also jene, in denen nicht der reine individualistische Kampf, jeder gegen jeden, herrscht; in denen nicht das Prinzip „hire and fire“ regiert; in denen die Lohnfindung nicht im Betrieb stattfindet und auch nicht in regelmäßigen Arbeitskämpfen. Vielmehr sind es jene, in denen viel am grünen Tisch erledigt wird und in denen es dafür stabile Organisationen gibt. Je mehr solche Verbände, umso korporatistischer.

Wie eine Wundertüte

Immer wieder werden in internationalen Studien verschiedene Ländertypen verglichen. Länder, die eine besonders ausgeprägte korporatistische Struktur haben wie Österreich oder die Niederlande; Länder, die kaum solche Strukturen aufweisen, von den USA bis Griechenland; und Länder, die dazwischenliegen wie Deutschland oder Portugal. In den Ländern mit korporatistischer Sozialpartnerschaft liegt die Arbeitslosenquote unter dem Durchschnitt, die Reallohnzuwächse darüber, die Niedriglohnsegmente sind kleiner, das Wirtschaftswachstum und die Produktivität liegen über dem Durchschnitt. Und auch die Ungleichheit ist, zumindest bei den Einkommen, geringer (neben der Einkommens- und der Lohnungleichheit gibt es ja auch noch die Vermögensungleichheit). Also, noch einmal kurz: Arbeitslosigkeit niedrig, Löhne eher hoch, Wachstum und Produktivität ebenso. Eine Wundertüte gewissermaßen.

Daraus folgt aber etwas Wichtiges: Institutionen, die ArbeitnehmerInneninteressen stärken, sind daher nicht nur als „Interessenvertretung“ wichtig, also aus Gerechtigkeitsgründen. Vielmehr haben sie auch eine allgemein positive Wirkung: Sie ermöglichten erst die Entstehung einer breiten Mittelschicht und garantieren, dass diese Mittelschicht nicht erodiert. Sie stabilisieren die Löhne und damit die Konsumnachfrage, und tragen zum Produktivitätswachstum bei, weil das Management von Unternehmen schwerer auf Lohndumping als „Erfolgsstrategie“ setzen kann.

Foto (C) Michael Mazohl
… eine Antwort wäre: Solche Institutionen versperren der Kapitalseite den einfachen Weg zum Erfolg – nämlich den Weg der krassen Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die alles mit sich machen lassen müssen.
Und sie sind eine Gegenmacht, derer man sich gerne entledigen würde …

Wichtige Gegenmacht

Das wirft freilich die Frage auf, warum die VertreterInnen des Big Business und deren Marionetten – mögen die Sturz, Krache oder sonst wie heißen – so gegen Institutionen wie die Arbeiterkammer sind. Denn wenn eher auf Ausgleich und starke Interessenvertretungen basierende Länder als Ganzes erfolgreicher sind als weniger korporatistische Länder, dann haben ja alle davon Vorteile, logischerweise auch die Unternehmen.

Eine Antwort wäre: Solche Institutionen versperren der Kapitalseite den einfachen Weg zum Erfolg – nämlich den Weg der krassen Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die alles mit sich machen lassen müssen. Und sie sind eine Gegenmacht, derer man sich gerne entledigen würde – weil es einfach bequemer ist, schalten und walten zu können, wie man mag. Ökonomisch mächtige und privilegierte Gruppen haben ein recht simples Ziel: „So viel Geld wie möglich anzuhäufen und ihre Macht so wenig wie möglich einschränken zu müssen“, so der Star-Ökonom James K. ­Galbraith.

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Über den/die Autor:in

Robert Misik

Robert Misik ist Journalist, Ausstellungsmacher und Buchautor. Jüngste Buchveröffentlichung: "Die falschen Freunde der einfachen Leute" (Suhrkamp-Verlag, 2020). Er kuratierte die Ausstellung "Arbeit ist unsichtbar" am Museum Arbeitswelt in Steyr. Für seine publizistische Tätigkeit ist er mit dem Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnet, 2019 erhielt er den Preis für Wirtschaftspublizistik der John Maynard Keynes Gesellschaft.

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