Coverstory: Die ignorierte Lücke

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Der Arbeitsmarkt ist deutlich dynamischer geworden, und er hat sich seit der Krise nicht mehr so gut erholt wie vorher. Es gibt immer mehr kurzfristige Arbeits­verhältnisse, aus unterschied­lichsten Gründen: weil sich Branchen verändern, weil sich die Wirtschaft verändert, aber auch weil Arbeit­geber ihre Risiken immer mehr auf die Öffentlichkeit und auf das Arbeitslosen­versicherungs­system auslagern, so AK-Arbeitsmarktexpertin Silvia Hofbauer.

Inhalt

  1. Seite 1 - Türkis-blaue Kürzungen beim AMS
  2. Seite 2 - Falsche Unterstellungen: Menschen wollen arbeiten!
  3. Seite 3 - Abschaffung der Notstandshilfe
  4. Seite 4 - Aktion 20.000
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Die Arbeitsmarktpläne der neuen Regierung nehmen immer konkretere Formen an. Ausgerechnet bei jenen, die es jetzt schon schwer haben, Arbeit zu finden, soll gekürzt werden. Warum das Rezept der Regierung, den Druck zu erhöhen, völlig am Problem vorbeigeht.
Wenn man Silvia Hofbauer dieser Tage auf die Pläne der neuen Regierung in Sachen Arbeitsmarktpolitik anspricht, ist es mit der von der AK-Expertin sonst gepflegten Sachlichkeit vorbei. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für all jene Menschen, die es am Arbeitsmarkt schwer haben“, ärgert sie sich. Erst kurz zuvor waren konkretere Informationen bekannt worden, wo Türkis-Blau beim AMS zu kürzen gedenkt. Die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik etwa sollen um 600 Millionen Euro sinken, das ist fast ein Drittel des bisherigen Budgets von 1,94 Milliarden Euro. Gekürzt werden soll ausgerechnet bei Maßnahmen für ältere Langzeitarbeitslose, Jugendliche und Flüchtlinge. „Man lässt Jugendliche im Regen stehen, man lässt Flüchtlinge allein“, so Hofbauer und mahnt: „Wenn man sich jetzt nicht um die Integration von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt kümmert, haben wir in einigen Jahren große Probleme.“

Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist nur ein Bereich, in dem Türkis-Blau kürzen bzw. ansetzen will. In einem unterscheidet sie sich von den vorherigen Regierungen, nämlich in ihrem Zugang zum Thema Arbeitslosigkeit. Dieser ist klassisch neoliberal: Das Individuum ist schuld an der hohen Arbeitslosigkeit, Arbeitslose wollen nicht arbeiten. Ganz so hart klingt es freilich nicht, was im Regierungsprogramm steht. Da ist von „rascher Vermittlung Arbeitsloser“ die Rede, von „Beschäftigungsanreizen“ sowie davon, dass „Inaktivitätsfallen“ beseitigt werden müssten. Es fallen die Worte „Mitwirkung“ und „Teilhabe“. Hinter diesen so harmlos scheinenden Worten steckt eine Politik, die insbesondere auf Disziplinierung setzt. Doch ist dies wirklich dazu geeignet, das von der Regierung selbst gesteckte Ziel zu erreichen, nämlich die „tatsächliche und effektive Senkung der Arbeitslosigkeit“?

Eine wesentliche Tatsache ignoriert dieser Zugang. „Wir haben nach wie vor eine beträchtliche Lücke, wenn wir die offenen Stellen mit der Zahl der Arbeitslosen vergleichen“, hält AK-Expertin Hofbauer fest. Im Jänner 2018 etwa waren rund 379.000 Menschen beim AMS als arbeitslos vorgemerkt. Diesen standen gerade einmal rund 59.000 offene Stellen gegenüber. Dabei gibt es momentan für Arbeitsmarkt-ExpertInnen sogar zur Abwechslung einmal Grund zur Freude. „Stärkster Arbeitslosenrückgang im Jänner seit 30 Jahren“, verkündete das AMS Mitte Februar.

Auch WIFO-Experte Helmut Mahringer ist vorsichtig positiv: „Die Konjunktursituation ist jetzt, nach einer langen Flaute, in der es kein oder ein sehr geringes Wachstum gab, wieder besser. Darauf haben wir lange gewartet.“ Das große Aber ist die lange problematische Entwicklung am Arbeitsmarkt seit der Krise 2008, die ihre Spuren hinterlassen hat. „Sie hat zu einer Verfestigung von Arbeitsmarktproblemen geführt, weil ein hoher Stand an Menschen aufgebaut wurde, die länger in Arbeitslosigkeit sind, zudem sind mehr Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Situation hat sich dadurch verschärft“, so Mahringer. Besonders betroffen: ältere Arbeitslose, Geringqualifizierte und Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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