Anfangs haben wir gedacht, es wird ein schwierigeres Jahr“, sagt Erwin Schleindl. „Aber dass es so schnell so schlimm wird – damit hat niemand gerechnet.“ Schleindl ist Betriebsrat beim Motorradhersteller KTM im oberösterreichischen Mattighofen. „Wir hatten ein Rekordjahr nach dem anderen – und dann, auf einmal: Kurzarbeit, Insolvenzverfahren, Zukunft ungewiss.“ Seit dem 1. Mai gilt für die Arbeiter:innen und Angestellten des Unternehmens zum zweiten Mal eine 30-Stunden-Woche. Schon im November des Vorjahres meldete KTM Insolvenz an – rund 3.500 Beschäftigte waren betroffen.

Die Produktion stand für drei Monate still, ehe sie ab dem 17. März schrittweise wieder anlief – ermöglicht durch Finanzhilfen des KTM-Partners Bajaj. Im Herbst 2024 habe es noch geheißen, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens stabilisiere sich. Dann kam alles anders. „Es war eine harte Zeit. Ich habe Schicht für Schicht informiert, Überstunden gemacht, abends noch telefoniert – die Leute hatten viele Fragen, viele Sorgen“, erzählt Schleindl. Dass überhaupt noch Weihnachtsgeld kam, sei nur dem Insolvenz-Entgelt-Fonds zu verdanken: „Da haben die Leute gemerkt, dass es gut ist, die Lohnnebenkosten nicht zu senken“ – eine Forderung, die neben Unternehmerverbänden auch Peter Pierer selbst, bis Jänner 2025 Vorstandsvorsitzender der KTM AG, gestellt hatte. „Aber aus den Lohnnebenkosten wird auch der Insolvenz-Entgelt-Fond gespeist“, sagt Schleindl.
Der lange Weg
Im Februar hatten die KTM-Gläubiger:innen einem Sanierungsplan zugestimmt, der eine Rückzahlung von 30 Prozent der anerkannten Forderungen von über zwei Milliarden Euro vorsah. Nach Wochen des Zitterns stand Ende Mai fest, dass die rund 600 Millionen Euro beim Sanierungsverwalter auch wirklich hinterlegt werden konnten. Die Mittel dafür kamen durch Unterstützung des indischen Partners Bajaj Auto und eine Kapitalerhöhung zustande. Bajaj, seit 2007 an KTM beteiligt, stellte für die Sanierung insgesamt 800 Millionen Euro zur Verfügung.
Wie konnte es zu alldem kommen? „Man hat lange Zeit weiterproduziert, obwohl die Nachfrage schon zurückgegangen war. Die Händler haben die Motorräder vertraglich verpflichtet trotzdem abnehmen müssen, manche haben sogar eigene Hallen gebaut, um die ganze Ware unterzubringen. Irgendwann kollabiert das halt.“ Auch der Einstieg in den E-Bike-Markt 2017 sei überstürzt gewesen: „Da sind Managementfehler passiert – und jetzt zahlen wir die Zeche“, sagt Schleindl.
Mit der Insolvenz von KTM stehen 3.600 Beschäftigte vor einer ungewissen Zukunft – ihre Jobs und Löhne stehen auf der Kippe. Susanne Haslinger, Leiterin der Grundlagenabteilung der PRO-GE, erklärt in ihrem Kommentar, warum die Insolvenz alles andere als überraschend kam. 👇
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 4. Dezember 2024 um 15:51
Wirtschaftspolitik mit Weitblick
Der Betriebsrat mahnt: „Das darf sich nicht wiederholen. Man darf solche Krisen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten austragen.“ Was er sich wünsche? „Eine Wirtschaftspolitik mit Weitblick. Wenn man zum Beispiel über zu hohe Energiepreise klagt, dann sollte man in Photovoltaik, Wärmepumpen etc. investieren. Förderungen gab’s genug. Aber gemacht wurde zu wenig.“ Erwin Schleindl bemüht sich, trotz der Unternehmenskrise nach vorne zu blicken. „Ich will nicht jammern, denn in jeder Krise steckt auch die Chance, aus Fehlern zu lernen und es in Zukunft besser zu machen.“