AMS-Zugang: Jugendliche mit Behinderung erhalten mehr Chancen am Arbeitsmarkt

Ein junger Mann mit einer gelben Warnweste arbeitet an einem technischen Gerät. Er hat das Downsyndrom. Es ist ein Symbolbild für Jugendliche mit Behinderung, die jetzt Zugang zum AMS haben.
Für mehr Inklusion: Ab 2024 sollen junge Menschen nicht mehr vorzeitig als „arbeitsunfähig“ erklärt werden können. | © AdobeStock/Halfpoint
Mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt: Der Zugang zum Arbeitsmarktservice (AMS) soll endlich jungen Menschen mit Behinderung ermöglicht werden – ein Meilenstein im Bereich des Behindertenrechts, doch weitere Herausforderungen stehen noch bevor.

Für Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung soll es endlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt geben. Wie das gelingen soll? Die Überprüfung der Arbeitsfähigkeit soll ab dem Jahr 2024 nicht mehr direkt nach der Schule, sondern erst mit 25 Jahren erfolgen. Wenn Jugendliche mit Behinderung nach der Schulpflicht eine Lehre beginnen wollen und sich dafür beim Arbeitsmarktservice (AMS) melden, ist das AMS laut aktuell gültiger Rechtslage dazu verpflichtet, die Arbeitsfähigkeit durch die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) prüfen zu lassen. Wird eine fehlende Arbeitsfähigkeit festgestellt, dann stehen der Person keine AMS-Leistungen zu und sie hat kaum Chancen, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Mit der Neuregelung wird das endlich geändert und Jugendlichen der Bezug von Arbeitslosengeld sowie der Zugang zu Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen möglich gemacht.

Jugendliche mit Behinderung auszuschließen, ist schlicht diskriminierend

Die Neuregelung soll schwerwiegende Nachteile abbauen, um die Inklusion von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt endlich voranzutreiben. „Aus unserer Sicht war die bisherige Situation, dass Jugendliche und junge Erwachsene mit der Einstufung als arbeitsunfähig nie eine Chance auf Maßnahmen und Angebote des Sozialministeriums und AMS erhalten haben, eines der Hindernisse, um Inklusion stattfinden zu lassen“, sagt Manuela Scheffel, stellvertretende Leiterin des Chancen Nutzen Büros im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB). Die momentan gültige Regelung widerspricht nämlich der UN-Behindertenrechtskonvention, die ebenfalls von Österreich ratifiziert wurde. Es handelt sich dabei nämlich um ein rein medizinisches Modell, das viele Komponenten außen vor lässt: „Besondere Fähigkeiten, Stärken und Vorlieben der Menschen mit Behinderung werden nicht beachtet“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz. Die Volksanwaltschaft begrüßt daher die Neuregelung.

Der EuGh stärkt für Menschen mit Behinderung den Kündigungsschutz.
Noch benachteiligt der Arbeitsmarkt Menschen mit Behinderung. | © Adobe Stock/pressmaster

Ebenfalls begrüßenswert sieht der Österreichische Behindertenrat (ÖBR), dass die Änderung die Zugangshürden zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt senkt. „Es war ein wichtiger und erforderlicher Schritt, weil es schlichtweg diskriminierend war, Jugendliche aufgrund ihrer Behinderungen von den Unterstützungsangeboten des AMS auszuschließen“, so Markus Neuherz, ÖBR-Vizepräsident und Generalsekretär der Lebenshilfe. Wenn eine Person von der PVA als arbeitsunfähig erklärt wird, ist nicht nur der Weg zum regulären Arbeitsmarkt kaum möglich, sondern die Person ist auf Behindertenwerkstätten angewiesen, in denen sie nur ein Taschengeld für ihre Arbeit bekommt und nicht sozial- und pensionsversichert ist. „Obwohl die Werkstätten fixe Arbeitszeiten vorschreiben, schwere Arbeit verlangen und diese in vielen Fällen gewinnbringend vermarkten. Die Neuregelung war daher überfällig“, bekräftigt Achitz noch ein weiteres Mal die Dringlichkeit.

140 Prozent mehr Arbeitslosigkeit

Was aber ist mit Menschen, die älter als 25 Jahre sind? Laut geltender Behindertenrechtskonvention ist Österreich verpflichtet, Menschen mit Behinderungen umfassende Unterstützungsleistungen zur Erlangung einer erwerbssichernden Arbeit in einem inklusiven Arbeitsmarkt anzubieten. „Wichtig wäre eine regelmäßige Einschätzung der Arbeitsfähigkeit, sowie die Möglichkeit auf Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu nutzen, um den Status der Arbeitsunfähigkeit wieder entfernen zu können, und damit die Personen auch in der Arbeitswelt wieder zu inkludieren“, meint Scheffel. Die Volksanwaltschaft fordert darum den vollen Zugang zum Arbeitsmarkt, auch für Personen über 25 Jahren. „Besonders relevant ist für diese Gruppe, dass ihre Arbeit mit vollem Sozialversicherungsschutz verbunden ist. In den Behindertenwerkstätten haben sie keine volle Sozialversicherung“, so Achitz.

Wichtig wäre eine regelmäßige Einschätzung der Arbeitsfähigkeit,
um den Status der Arbeitsunfähigkeit wieder entfernen zu können,
und damit die Personen auch in der Arbeitswelt wieder zu inkludieren.

Manuela Scheffel, stellvertretende Leiterin des Chancen Nutzen Büros im ÖGB

Im Zeitraum der Jahre 2007 bis 2017 ist der Anteil von Menschen mit Behinderung ohne Arbeit um fast 140 Prozent gestiegen, wie dem Sonderbericht „Keine Chance auf Arbeit: Menschen mit Behinderung“ der Volksanwaltschaft aus dem Jahr 2019 zu entnehmen ist. In Zahlen sind das 7.500 Personen mehr. Ein Trend, der auch in der vergangenen Jahren angehalten hat. „Ja, dieser Trend hat sich fortgesetzt, wobei die Datenlage unübersichtlich ist. Gesicherte Daten gibt es eigentlich nur über Personen, die dem ‚Kreis der begünstigten Behinderten‘ angehören. Also Personen mit einem Grad der Behinderung von mehr als 50 Prozent. Bei dieser Gruppe haben wir aktuell eine Beschäftigungsquote von 50 Prozent“, sagt Scheffel.

Fehlendes Miteinander durch frühes Separieren

Das Chancen Nutzen Büro fordert daher für eine Verbesserung der Situation drei Dinge: „Es braucht eine Chance auf ordentliche Bildung, sowie Aus- und Weiterbildung, Sensibilisierung, aber auch Offenheit der Arbeitgeber und der Wirtschaft und mehr Fördermaßnahmen und Druck auf Wirtschaft von Regierungsseite“, zählt Scheffel die Punkte auf. Ein anderes Problem, das Menschen mit Behinderung den Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert, ist der oftmals mangelnde Zugang zum Bildungssystem. Das österreichische Bildungssystem separiert nämlich früh und Kinder und Jugendliche mit Behinderung bekommen dadurch oft nicht jene Bildung, die Menschen ohne Behinderung erhalten. Getrennte Klassen und Schulen bedeuten zudem ein fehlendes Miteinander, das Menschen mit Behinderung gesellschaftlich ausschließt.

Dieses Problem zieht sich bis in die Arbeitswelt durch und erschwert die Inklusion von Arbeitskolleg:innen mit Behinderung. ÖBR-Vizepräsident Neuherz plädiert daher für ein inklusives Bildungssystem mit durchgehendem Bildungspfad, das bereits im Kindergartenalter ansetzt. „Unter einem durchgehenden Bildungspfad ist zu verstehen, dass Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam dieselben Kleinkindgruppen bzw. Kinderkrippen, dieselben Kindergärten, Volksschulen, Mittelschulen, berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen sowie Universitäten besuchen können und Kinder mit Behinderungen die hierfür notwendige Unterstützung bekommen“, so Neuherz.  Der AMS-Zugang für Jugendliche mit Behinderung kann zukünftig für etwas mehr Gerechtigkeit sorgen und doch ist es noch ein weiter Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft. Umso wichtiger ist es, die Forderungen von ÖGB, der Volksanwaltschaft und dem Österreichischen Behindertenrat zu hören und endlich umzusetzen.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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