Befürchtungen bewahrheitet

(C) Michael Mazohl / ÖGB-Verlag

Inhalt

  1. Seite 1 - Das neue AZG wirft noch mehr Probleme auf
  2. Seite 2 - Konflikte und Prozesse
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Schon vor dem 12-Stunden-Tag beschäftigten Probleme mit der Arbeitszeit die Beratungsstellen in Arbeiterkammern und Gewerkschaften.
Wer schon einmal in der AK vorbeigeschaut hat, weiß: Es ist immer etwas los. Vor allem die Rechtsberatung wird vielfach nachgefragt. Aus dem Berufsleben lohnabhängig beschäftigter Menschen ist sie schon längst nicht mehr wegzudenken. Dabei gibt es sie noch gar nicht so lange. 1992 wurde sie als Teil des AK-Gesetzes eingeführt. In Paragraf 7 heißt es: „Die Arbeiterkammern haben kammerzugehörige Arbeitnehmer in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten zu beraten und ihnen insbesondere Rechtsschutz durch gerichtliche Vertretung in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Maßgabe eines von der Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer zu beschließenden Rahmen-Regulativs zu gewähren.“

Einer, der am Aufbau des Rechtsschutzes der Arbeiterkammer direkt beteiligt war, ist Hans Trenner. Inzwischen ist er Leiter des Bereichs Beratung, in dem die Abteilung für Arbeitsrecht angesiedelt ist. „Früher haben hauptsächlich Angestellte gegen ihre Arbeitgeber Klage geführt“, erinnert er sich. „Heute sind es meistens ArbeiterInnen. Das Bau- und das Gastgewerbe führen das Branchenranking bei den Klagen an. In den allermeisten Fällen geht es um nicht ausbezahlte Löhne.“ Hier zeige sich, wie nötig der Rechtsschutz der Arbeiterkammer sei. „Wir prozessieren weitgehend am unteren Rand des Arbeitsmarktes.

Mehr Probleme

Für jene, die sich selber nicht helfen können, sind wir dringend notwendig“, so Trenner. Ein wichtiges Thema dabei ist die Arbeitszeit. Schon bevor der 12-Stunden-Tag beschlossen wurde, gab es hier nämlich Probleme. Mit dem neuen Gesetz haben sie zugenommen.

Schon bevor der 12-Stunden-Tag beschlossen wurde, gab es Probleme. Mit dem neuen Gesetz haben sie zugenommen.

Fehlende Arbeitsstunden

Wenn Einzelpersonen klagen, dann oft nach Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses. Aus Niederösterreich kommt das Beispiel eines Bauarbeiters, dem nach seiner Kündigung plötzlich 71 Arbeitsstunden auf seiner Endabrechnung fehlten. Die AK Niederösterreich forschte nach und konnte erreichen, dass dem betroffenen Arbeiter 2.800 Euro nachgezahlt wurden.

Die 2016 erschienene Broschüre „Schwarzbuch Arbeitswelt“ der Arbeiterkammer Oberösterreich gibt Einblick in die von Arbeitgebern angewandten Dreistigkeiten lange vor Einführung des 12-Stunden-Tages. Die systematische Nichtbezahlung von geleisteten Überstunden zieht sich durch die gesamte Broschüre. Hier nur ein Beispiel: In Ried hatte ein Angestellter eine Überstundenpauschale mit seinem Arbeitgeber vereinbart, die 40 Stunden abdeckte. Tatsächlich leistete er in sieben Monaten 158 Überstunden über die Pauschale hinaus. Die AK intervenierte, der Unternehmer schloss mit dem Mitarbeiter einen Vergleich und zahlte rund 3.000 Euro nach.

Es ist nicht nur die Arbeiterkammer, die sich um den Rechtsschutz der Lohnabhängigen kümmert. Auch Gewerkschaften und Betriebsräte spielen eine wichtige Rolle.

Es ist nicht nur die Arbeiterkammer, die sich um den Rechtsschutz der Lohnabhängigen kümmert. Auch Gewerkschaften und Betriebsräte spielen eine wichtige Rolle. Das kann sich nicht nur auf Individuen, sondern auch auf ganze Belegschaften positiv auswirken. Ein gutes Beispiel dafür kann Christa Valenta von der Rechtsschutzabteilung der Gewerkschaft GPA-djp geben. Als Gewerkschaftsjuristin hat sie den Betriebsrat der Firma Vaillant betreut.

Vaillant ist bekanntlich ein Gasthermenhersteller. Die Wartung dieser Gasthermen wird von firmeneigenen TechnikerInnen erledigt. Diese haben keinen festen Arbeitsplatz. Sie fahren mit von der Firma über Nacht bestückten Autos frühmorgens von zu Hause los zu ihrem ersten Auftrag. Nach dem letzten Termin des Tages fahren sie wieder nach Hause. Ihre Aufträge bekommen die TechnikerInnen auf ihre Arbeitslaptops eingespielt. Dort wird auch die Route festgelegt und vorgegeben, die sie im Laufe des Tages zu bewältigen haben.

Konfliktursache

Hier liegt auch die Ursache des Konflikts: „Die Firma hat die Strecke vom Wohnort der TechnikerInnen zum ersten Auftrag des Tages sowie die Strecke vom letzten Auftrag des Tages zurück zum Wohnort nicht als Arbeitszeit angesehen“, sagt Christa Valenta. „Der Betriebsrat hat beschlossen, dagegen zu klagen, die Gewerkschaft hat ihn dabei unterstützt.

Es war kein leichter Kampf. Der Prozess zog sich über drei Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof. Im Juli 2018 fällte der schließlich sein Urteil: Die Wegzeiten müssen als Arbeitszeit anerkannt werden. Das Urteil hat eine europarechtliche Komponente. Schon 2015 hatte der Europäische Gerichtshof in einem Verfahren gegen eine Sicherheitsfirma ähnlich geurteilt wie jetzt der OGH.

Die Vaillant-MitarbeiterInnen können sich freuen: „Jetzt kriegen die TechnikerInnen Nachzahlungen für die letzten drei Jahre. Da geht es für viele um Tausende Euro.“ Auch sonst sei das Ergebnis gewerkschaftspolitisch wichtig: „Durch die Einführung des 12-Stunden-Tages ist es noch wichtiger, dass die Wegzeiten als Arbeitszeit gelten“, sagt Christa Valenta. „Das Urteil hat diese Position verfestigt.“

Wichtige Signalwirkung

Urteile wie jenes bei Vaillant können Signalwirkung haben. „In vielen Branchen gibt es MitarbeiterInnen, für die ähnliche Arbeitsbedingungen zutreffen wie bei Vaillant. Etwa bei PharmareferentInnen oder im Sozialbereich“, so Valenta. „Zum Beispiel sollte dieses Urteil auch auf mobile Heimpflegekräfte angewendet werden.“ Betriebsratskörperschaften hätten nun bessere Chancen, echte Verbesserungen in dieser Frage zu erreichen. Aber auch einzelne Beschäftigte sollten sich ermutigt fühlen, meint die GPA-Expertin. Immerhin: Einige Unternehmen hätten bereits eingelenkt.

Gute Nachrichten im Bereich der Arbeitszeiten sind wichtig für alle lohnabhängig Beschäftigten.

Gute Nachrichten im Bereich der Arbeitszeiten sind wichtig für alle lohnabhängig Beschäftigten. Denn spätestens seit Einführung sowohl des neuen Arbeitszeitgesetzes als auch des Arbeitsruhegesetzes durch die schwarz-blaue Bundesregierung handelt es sich hier um ein zunehmend umkämpftes Gebiet. So berichtet die Gewerkschaft Bau-Holz (GBH) von zunehmenden Fällen, in denen die Freiwilligkeit in Wahrheit Zwang war.

Einen besonders krassen Fall meldet die Gewerkschaft aus Salzburg. Dort habe ein Unternehmen mit 400 MitarbeiterInnen begonnen, unter dem Vorwand der neuen Gesetzeslage individuelle Vereinbarungen zur Wochenend- und Feiertagsarbeit abzuschließen. „Es handelt sich hier de facto um einen Blankoscheck für Wochenendarbeit“, so der-Gewerkschafter Josef Muchitsch. „Wir werden diesen Fall ganz besonders stark prüfen.“

Fälle wie dieser würden sich immer mehr häufen. Die Ursache sei immer gleich. „Die Regierung hat die Betriebsvereinbarungen und die Betriebsräte bei der Arbeitszeit ausgehebelt“, so Muchitsch. Doch wo es keine Betriebsvereinbarungen mehr gibt, droht eine Individualisierung der Belegschaft. „Bei Einzelvereinbarungen halten sich viele Unternehmen nicht an das Gesetz“, sagt der Gewerkschafter. „Im Gegenteil, es werden immer mehr ArbeitnehmerInnen zu Blanko-Unterschriften von nicht gesetzeskonformen Arbeitszeitvereinbarungen gezwungen.“

Viele ArbeitnehmerInnen scheuen die direkte Konfrontation: Sie haben Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren.

Ohne kollektive Vereinbarungen bleibe oft nur der Weg der direkten Konfrontation. „Das trauen sich viele ArbeitnehmerInnen im aufrechten Arbeitsverhältnis verständlicherweise aber nicht. Sie haben Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren.“ Diese Beobachtung wird auch von der Arbeiterkammer geteilt. Wie auch bei Kündigungsfällen konstatiert AK-Experte Hans Trenner, dass nur eine sehr kleine Zahl von Beschäftigten sich über die AK gegen zu lange Arbeitszeiten zu wehren versucht. In Deutschland sei die Zahl deshalb höher, weil es dort ein arbeitnehmerInnenfreundlicheres Kündigungsrecht gebe.

Retusche hilft wenig

„Unsere Befürchtungen bezüglich der vorliegenden Gesetzesnovellen zu Arbeitszeit und Arbeitsruhe haben sich schneller und drastischer bewahrheitet, als wir dachten“, sagt Muchitsch. Hier reicht die Beratung allein nicht mehr. „Retusche hilft da wenig. Weg mit der neuen Arbeitszeitregelung und alles neu verhandeln ist das Einzige, das Sinn macht“, hält der Gewerkschaftschef fest.

Mehr Informationen:
www.arbeiterkammer.at/arbeitszeit
ÖGB-Mitgliederservice:
www.mitgliederservice.at
Gewerkschaft Bau-Holz:
www.bau-holz.at

Von
Christian Bunke

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/19.

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