Bedingungsloses Grundeinkommen: Von Revo- und Evolutionen

(C) Markus Zahradnik
Das Bedingungslose Grundeinkommen ist für viele Menschen die große Vision des Sozialstaates. Für andere ist es dessen Untergang. Eine kritische Auseinandersetzung.
Geld ist gleichbedeutend mit Freiheit und Selbstbestimmung, mit weniger Stress und einem gesünderen Leben. Die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ist es, all das jedem zu ermöglichen, der eine bestimmte Zeit in einem Land lebt. Unabhängig von Vermögen, Beruf, Alter, Nationalität oder Lebenswandel. Und das ganz unbürokratisch.

Es gibt viele Konzepte zum BGE. Barbara Prainsack, Politikwissenschafterin und Autorin des Buches „Vom Wert des Menschen“, tritt für ein Modell ein, bei dem jedem Menschen in einem Land rund 1.200 Euro pro Monat ausgezahlt werden, während grundlegende Leistungen des Sozialstaates allerdings erhalten bleiben.

Butterbrot statt Peitsche

Sie vergleicht das BGE mit einem Butterbrot. Der Sozialstaat ist das Brot – der öffentliche Verkehr, das Gesundheits- und Bildungssystem. Das BGE die Butter – Geld, das den Empfänger*innen mehr Selbstbestimmung gibt. „Wir geben heute schon Menschen bedingungslos Leistungen. Das Bedingungslose Grundeinkommen würde nur das Tabu brechen, dass man Menschen bedingungslos Geld gibt“, beschreibt sie den notwendigen Umdenkprozess. „Meinen eigenen Ansatz würde ich als solidarisch einordnen. Und zwar als einen Ansatz, der sich nicht als Alternative zum Sozialstaat versteht.“

In diesem Punkt ist sie sich mit Norman Wagner einig. Wagner ist Referent für Sozialstaatsfragen in der Abteilung Sozialpolitik bei der Arbeiterkammer Wien und steht dem BGE eher kritisch gegenüber, sagt aber auch: „Wenn Sie ein Bedingungsloses Grundeinkommen wollen, das zu einer Verbesserung der aktuellen Situation führt, dann muss es eine Ergänzung zum Sozialstaat sein.“ Wagner hält den klassischen Sozialstaat allerdings für die geeignetere Lösung, um die Herausforderungen der Zukunft anzugehen. Mit Blick auf das von Prainsack befürwortete Modell gibt er zu bedenken: „Ich will gar nicht sagen, dass wir uns das nicht leisten können, sondern die Frage stellen, ob es nicht zielführender wäre, mit dem Geld die Schwächen des Sozialstaates anzugehen: wie Verbesserungen in der Langzeitpflege, den Ausbau der Kinderbetreuung oder bessere Leistungen in der Krankenversicherung. Das sind zielgerichtete Dinge, die sinnvoller sind, als jedem einfach nur Geld in die Hand zu drücken.“

Resilienter Sozialstaat

Denn auf der einen Seite hat der Sozialstaat gerade in der Corona-Krise bewiesen, dass er in der Lage ist, massive Probleme zu lösen und die Lasten dabei fair zu verteilen. Doch sind auch Schwachstellen offenkundig geworden: die Bezahlung der Pflegekräfte etwa oder die enorme Bedeutung einer funktionierenden Kinderbetreuung. Diese Punkte sind Befürworter*innen des Sozialstaates durchaus bewusst, ein BGE würde ihrer Meinung nach weniger helfen als angenommen. „Die Ressourcen, die wir dort benötigen, fehlen, wenn wir das Geld stattdessen für ein BGE mit der Gießkanne einsetzen. Der Sozialstaat leistet weit mehr als eine bedarfsunabhängige Geldleistung“, heißt es in einem Positionspapier der Arbeiterkammer, an dem auch Norman Wagner mitgeschrieben hat.

Ich denke, dass ein Bedingungsloses
Grundeinkommen wenig zur Gleichstellung
von Mann und Frau beiträgt, sondern
die bestehenden Strukturen eher
verfestigen würde. 

Norman Wagner, Arbeiterkammer Wien

Prainsack sieht das anders: „Ich glaube, dass das BGE den Sozialstaat sozialer macht, nicht aushöhlt. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen könnte für einen starken Sozialstaat sogar notwendig werden.“ Zwar werde das BGE kein Problem zur Gänze lösen, deren Auswirkungen aber deutlich mildern.

Hintergrund sei die unbürokratische Hilfe, die ein BGE verspricht. „Bei einem BGE, das man nicht immer neu beantragen muss, gibt es weniger Löcher im System. Wir wissen, dass viele Menschen Hilfen, die ihnen zustehen würden, gar nicht beantragen, weil es zu kompliziert oder zu demütigend erscheint“, erläutert Prainsack. Zusätzlich habe sich der Sozialstaat an vielen Stellen zu einem Gängelungsinstrument entwickelt.

Sozialstaat auf Kompromisskurs

Ein Punkt, bei dem auch Wagner Handlungsbedarf beim Sozialstaat sieht. So sei die Idee, eine Leistung zu haben, die nicht weiter gekürzt werden könne, egal ob man arbeite oder nicht, durchaus interessant. Das Geld dürfe es allerdings nicht für alle geben. „Ein Kompromiss zwischen Grundeinkommen und Sozialstaat ist mit der Frage der Sanktionierung verbunden. Entschärft man Sanktionen für Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, geht das in Richtung Grundeinkommen“, glaubt Wagner.

Eher keinen gemeinsamen Nenner gibt es bei der Frage der Geschlechtergerechtigkeit. „Ich denke, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen wenig zur Gleichstellung von Mann und Frau beiträgt, sondern die bestehenden Strukturen eher verfestigen würde“, so die Position von Wagner. Schließlich könne ein BGE als finanzielle Anerkennung der Care-Arbeit interpretiert werden. „Es geht nicht darum, mehr Geldleistungen zu schaffen, sondern darum, den Frauen – und es sind meistens Frauen – möglichst viel der Care-Arbeit abzunehmen. Was sie auch brauchen, ist eine Mentalitätsänderung. Und da bin ich nicht sicher, ob das Bedingungslose Grundeinkommen das besser lösen kann als der Sozialstaat“, begründet er.

Prainsack sieht diese Thematik anders. „Das Bedingungslose Grundeinkommen wäre für die Frauen als Gruppe mehr gut als schlecht. Frauen sind mehr armutsgefährdet und armutsbetroffen. Das Problem der Altersarmut bei Frauen wäre mit einem Schlag weg.“

Zukunftsvision

In Zukunft könnte das BGE eine bedeutende Rolle im Arbeitskampf spielen, glaubt Prainsack. „Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist keine Alternative zu einer Erwerbsarbeit, keine Stilllegungsprämie. Aber wir wollen uns nicht ausbeuten lassen. Und wir wollen nicht unter extremem Druck arbeiten, der uns krank macht.“ Unternehmen müssten zwangsweise die Arbeitsbedingungen verbessern, wenn Arbeitnehmer*innen alternativ ein BGE zur Auswahl hätten.

In bisherigen Modellversuchen konnte vor allem eine Gruppe profitieren, erläutert Prainsack: „Manche jungen Menschen bleiben länger in der Ausbildung. Wenn es Ausbildungsmöglichkeiten gibt, dann kann das Bedingungslose Grundeinkommen ein großer Katalysator für Umschulungen und Ausbildungen werden.“ Auch könne eine Arbeitszeitverkürzung – immerhin eine Kernforderung der Arbeiterkammer – leichter umgesetzt werden.

Wagner ist allerdings skeptisch. Der Sozialstaat sei natürlich komplex und habe Verbesserungspotenzial. Aber: „Die Leute, bei denen Arbeiter*inneninteressen im Vordergrund stehen, suchen nach einer Vision. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist für viele die Hoffnung. Ich persönlich bin nach 17 Jahren in diesem Bereich skeptisch bei einfachen Lösungen.“

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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