Aus der Krise, in die Krise

Foto (C) Markus Zahradnik
Ist die Corona-Krise nur ein Probelauf für die Klimakrise? Und was können wir jetzt tun, um beiden Krisen entgegenzuwirken?
Da sitzen sie, fünf junge Männer, die Masken baumeln unter ihrem Kinn. Eine Frau tritt auf sie zu und schreit energisch: „Sie wissen aber schon, dass Sie in der U-Bahn die Maske aufsetzen müssen?!“ Mürrisch und mit verdrehten Augen werden die Masken über das Gesicht gezogen.

Masken in der U-Bahn als Beitrag zur Bewältigung einer Pandemie, die Österreich und den Rest der Welt in eine tiefe wirtschaftliche und soziale Krise stürzt – diese Masken zu tragen, das ist eigentlich nicht viel verlangt. Wenn man den Gedanken ein wenig weiterspinnt, kann man sich schnell die Frage stellen: Eine Gesellschaft, die es nicht schafft oder teils zu egoistisch ist, Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln aufzusetzen – wird es diese Gesellschaft schaffen, viel komplexere und bedrohlichere Krisen wie die Klimakatastrophe ­abzuwenden?

Eine Gesellschaft, die es nicht schafft oder teils zu egoistisch ist, Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln aufzusetzen – wird es diese Gesellschaft schaffen, viel komplexere und bedrohlichere Krisen wie die Klimakatastrophe ­abzuwenden?

Eine kapitalistische Wirtschaft wird laufend von Krisen getroffen, prophezeite die marxistische Krisentheorie vor mittlerweile 150 Jahren. Und ein kurzer Blick in die Vergangenheit zeigt: Das ist vielleicht gar nicht so falsch. Die vergangene Wirtschafts- und Finanzkrise hat der Kapitalismus sogar definitiv selbst verursacht, da gab es kein Virus, das die Banken befiel. Wenn Krisen also ein fixer Bestandteil unseres alles bestimmenden Systems sind, wirft das eine große Frage auf: Was können wir aus einer Krise für die absehbar nächste Krise lernen?

Klimakrise auf dem Teller serviert

Sehr schnell und dramatisch hat uns die Corona-Krise eine ganze Reihe von Fehlern in unserem kapitalistischen System aufgezeigt. Darunter fällt auch eines der Liebkinder von Herrn und Frau Österreicher*in: das Fleisch. Was den Fleischkonsum angeht, gehört Österreich zu den Europameistern – Österreich liegt auf Platz drei im ­EU-Vergleich. Österreicher*innen essen in ihrem Leben im Durchschnitt 5,9 Tonnen Fleisch.

Die von Deutschland ausgehende Debatte über die prekären Arbeitsbedingungen am Beispiel des Fleischproduzenten Tönnies schwappte schnell auf Österreich über. Auf der einen Seite stehen: Tierfabriken, Tierleid, prekäre und ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Auf der anderen Seite steht der Umweltaspekt: der Wasserverbrauch, die riesigen Mengen an Futtermitteln, die verschlungen werden, und der natürlich bedingte CO2- und Methanausstoß – was Rindviecher wiederkäuen, dann rülpsen und am hinteren Ende herausblasen, verursacht 15-mal mehr Treibhausgase als Gemüse.

Lieber Standards als Preise erhöhen

Eine häufige Forderung lautet, Mindestpreise für Fleisch festzulegen. Tatsächlich hat sich der Preis für Schweinefleisch seit den siebziger Jahren halbiert. Die Annahme ist, dass sich durch einen höheren Fleischpreis, mit dem das Kilo Schnitzelfleisch nicht mehr 2,50 Euro kosten kann, die Produktionsbedingungen verbessern und der Konsum reduziert wird. Die Kritik daran lautet: Es verbessert sich durch Mindestpreise nur der Gewinn der Produzenten, und weniger kaufkräftige Konsument*innen könnten sich kein Schnitzel mehr leisten. Um sicherzugehen, dass sich auch die Produktionsbedingungen verbessern und das Leid der Tiere verringert, wäre es besser, die Mindeststandards für die Produktion zu erhöhen, inklusive eines Verbots von Werkverträgen oder ähnlichen Konstruktionen. Gewinnen würden Arbeiter*innen und Tiere, höhere Preise wären ein automatisches Resultat – und wohl etwas weniger Fleischverzehr, worüber sich die Umwelt freuen würde.

Die Erhöhung von Mindeststandards könnte der Schlüssel zur Lösung einer Reihe von Problemen sein, bei denen einerseits Menschen ausgebeutet und andererseits die Umwelt extrem belastet wird – beispielsweise auch im Flugverkehr.

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Vor der Corona-Krise dominierte Preisdumping die Branche. Billigflüge kosteten weniger als die Fahrt mit dem Taxi zum Flughafen. Doris Artner-Severin, Referentin der Abteilung Umwelt und Verkehr in der AK Wien, bringt es auf den Punkt: „Allen voran zeigt Ryanair, wie man wirtschaftliche Existenzängste von Beschäftigten instrumentalisiert, um eine Abwärtsspirale von arbeits- und sozialrechtlichen Standards in Gang zu setzen.“

Ob Mindestpreise, Aufschläge oder Gebühren einen Lenkungseffekt in Richtung anderer Verkehrsmittel haben? Bestimmt. Aber verbessern sich dadurch die Arbeitsbedingungen? Dazu braucht es zusätzliche Instrumente. In Österreich könnte ein Branchen-Kollektivvertrag Lohn- und Sozialdumping verhindern. Übrigens nicht nur zum Vorteil der Beschäftigten, sondern auch zum Vorteil der Unternehmen – denn derzeit haben die Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil, die angemessen entlohnen und hohen Wert auf die Qualifikation ihrer Mitarbeiter*innen legen.

Unter Strom

Eine beinahe apokalyptische Schlagzeile lieferte das Energieunternehmen Wien Energie Mitte März: 53 Mitarbeiter*innen begaben sich auf dem Kraftwerksgelände in Isolation, um im Fall des Falles die Strom- und Fernwärmeversorgung sicherzustellen. Ein kleines Corona-Schlaglicht, das uns unsere vollständige Abhängigkeit von Elektrizität vor Augen führte.

Die Klimakrise verlangt von uns nicht nur, die Stromversorgung sicherzustellen, sondern sie auch dramatisch umzustellen. Bis 2030 soll Österreich die Pariser Klimaziele erreichen, das bedeutet eine Versorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Mit 74 Prozent hat Österreich dank der Wasserkraft bereits den höchsten Anteil an erneuerbarem Strom innerhalb der Europäischen Union. Bis 2030 wird sich aber der Stromverbrauch merklich erhöhen – beispielsweise durch Elektroantriebe oder stromgeführte Wärmepumpen. Um die Pariser Ziele zu erreichen, muss Österreich seine bisherige Ökostromproduktion praktisch verdreifachen.

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Gefordert ist hier der Staat, beispielsweise um kleine Photovoltaikanlagen im ländlichen Raum zu fördern. Gleichzeitig muss die Energie nicht nur erzeugt, sondern auch transportiert werden. Das erfordert allein für den Ausbau des Stromnetzes Investitionen von 1,5 Milliarden Euro jährlich. Kosten, die private Haushalte und Gewerbekunden nicht allein über die Stromrechnung tragen ­dürfen.

Mehr Wind- und Sonnenenergie produzieren zudem zwar Stromüberschüsse im Sommer, im Winter fehlt es aber an Energie. „Vorstellbar wäre die Herstellung von künstlichem grünem Gas, also Methan aus Biogas und Wasserstoff. Dieses könnte im Sommer produziert werden und im Winter helfen, die Wärmeversorgung sicherzustellen. Derzeit ist die Herstellung von künstlichem Gas aber weder wirtschaftlich noch technisch ausgereift“, erklärt Josef Thoman, Referent in der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien mit Schwerpunkt Energiepolitik. Um die Überschüsse entsprechend zu speichern, ist also noch eine Menge Forschung notwendig – auch hier ist der Staat gefordert zu fördern.

Mit dem erneuerbaren Strom allein ist die Klimakrise bei Weitem noch nicht abgewendet.

Mit dem erneuerbaren Strom allein ist die Klimakrise bei Weitem noch nicht abgewendet. Ein großer Brocken ist der Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs; genauso wie die thermische Sanierung von privaten Haushalten sowie öffentlichen Gebäuden, Krankenhäusern oder Schulen. Fossile Heizungssysteme müssen ersetzt werden, Sonnen- und Hitzeschutz sollen den Verbrauch von Klimageräten reduzieren. Die Arbeiterkammer fordert deshalb mit dem AK-Klimainvestitionspaket für 2020 bis 2030 eine jährliche Klima-Milliarde.

Jobs, Jobs, Jobs

Klimainvestitionen bringen einen doppelten Vorteil: Einerseits rücken die Klimaziele in Reichweite – ganz abgesehen von der höheren Lebensqualität, die viele Maßnahmen mit sich bringen, Stichwort Hitzeschutz. Andererseits tragen staatliche Investitionen – nicht nur solche in den Klimaschutz, sondern etwa auch in den Sozialstaat, den Wohnbau und die Digitalisierung – dazu bei, dem Konjunktureinbruch entgegenzuwirken.

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Investitionen schaffen schließlich auch Arbeitsplätze. Und die sind dringend notwendig. Klar ist: Der Arbeitsmarkt ist schwer angeschlagen, und es wird – einer drohenden Insolvenzwelle im Herbst sei Dank – noch schlimmer werden. Eine Möglichkeit, den Betroffenen eine Perspektive sowie ein Einkommen zu geben sowie gleichzeitig die Nachfrage zu stützen, sind Jobgarantien.

Klar ist: Der Arbeitsmarkt ist schwer angeschlagen, und es wird – einer drohenden Insolvenzwelle im Herbst sei Dank – noch schlimmer werden. Eine Möglichkeit, den Betroffenen eine Perspektive sowie ein Einkommen zu geben sowie gleichzeitig die Nachfrage zu stützen, sind Jobgarantien.

„Der Staat macht ein bedingungsloses Jobangebot an jeden, der zu einem sozialverträglichen Lohn inklusive Sozialleistungen arbeiten möchte. Die Jobgarantie basiert auf der Grundidee, dass es die Verantwortung des Staates ist, die nötigen Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, wenn der Privatsektor hierzu nicht in der Lage ist“, so Maurice Höfgen und Dirk Ehnts, Ökonomen der Samuel-Pufendorf-Gesellschaft für politische Ökonomie. Die Idee dahinter ist es, Jobs auf Stadt- oder Gemeindeebene zu schaffen, die dem Gemeinwohl dienen – denn „es gibt einen massiven Bedarf an Arbeit, um die öffentliche Daseinsvorsorge auszuweiten oder auch soziale und ökologische Missstände zu korrigieren“, ergänzen die beiden Ökonomen.

Steuern, die steuern

Sowohl der Klimaschutz als auch die Bewältigung der Klimakrise kosten eine Menge Geld – wie viel genau, ist noch nicht seriös abschätzbar. Wie soll das alles bloß bezahlt werden? Ein heiß diskutierter Vorschlag sind CO2-Steuern. Eine CO2-Steuer bewirkt allerdings eher Lenkungs- als Finanzierungseffekte, da sie klimafreundliches Verhalten belohnt und schädliches bestraft. Zudem ist es sozialpolitisch wichtig, CO2-Steuern bei niedrigen Einkommensgruppen zu kompensieren – was allerdings gar nicht vollständig möglich ist, wie der Budgetdienst des Parlaments 2019 aufzeigte: Etwa ein Drittel der Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen wäre durch eine CO2-Steuer auf Heiz- und Treibstoffe finanziell stark belastet.

Etwa ein Drittel der Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen wäre durch eine CO2-Steuer auf Heiz- und Treibstoffe finanziell stark belastet.

Ausgerechnet diese ärmste Einkommensgruppe trägt statistisch betrachtet einen relativ kleinen Teil zur schlechten CO2-Bilanz bei. Den mit Abstand höchsten Anteil, nämlich beinahe die Hälfte des CO2-Verbrauchs, verursachen die zehn Prozent der reichsten Haushalte. Ein Umstand, der auch nicht gerade gegen Erbschafts- und Vermögenssteuern spricht.

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Soziale Ausgewogenheit

Es gibt also eine Reihe von Ansätzen, und noch viel mehr als hier vorgestellt, die sowohl der Corona- als auch der Klimakrise gegensteuern. Unter dem Strich darf eines nicht passieren: dass wie nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 wieder die Arbeitnehmer*innen praktisch allein zur Kasse gebeten werden. Auch wenn man ein Virus nicht an der Krisenfinanzierung beteiligen kann, wie man die Banken beteiligen und später den Finanzmarkt regulieren hätte können, so gibt es doch Player, die mehr zur Verantwortung gezogen werden sollten. Superreiche Haushalte wurden bereits genannt, aber auch mit Unternehmen, die ihre Gewinne in Steuersümpfe verschieben, sollte anders verfahren werden.

Alle Maßnahmen verbindet, dass sie nur zu einem Teil von der Selbstverantwortung abhängig sind. Denn das einleitende Beispiel mit der Maske zeigt: Krisen brauchen einen Mix aus Selbst- und Fremdverantwortung – und jede Menge Lehren, die aus ihnen gezogen werden. Denn im Kapitalismus ist eines sicher: die nächste Krise. Ob ein System, das periodisch Krisen produziert, das richtige ist – das ist eine andere Geschichte.

Drei Lehren aus der Krise

Wir müssen jetzt einen sozial-ökologischen Umbau wagen, der ökologische Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt und für eine gerechtere Verteilung von Wohlstand sorgt.

  1.  Investitionen 
    Die Pandemie hat uns die Bedeutung des Gesundheitswesens erneut bewusst gemacht – und des Sozialstaats im Allgemeinen. Investitionen in die Daseinsvorsorge, aber auch in Digitalisierung, erneuerbare Energien sowie den Klimaschutz federn den Konjunktureinbruch ab, sorgen für neue Jobs, damit für Nachfrage und vor allem: Sie erhöhen unser aller Lebensqualität.
  2.  Verteilung 
    Eine besonders harte Debatte muss mit den und über die Vermögenden geführt werden, die zur Finanzierung der Krisenkosten und der öffentlichen Aufgaben allgemein keinen fairen Beitrag leisten wollen. Die Superreichen sind es auch, die den höchsten Ausstoß an CO2 zu verantworten haben. An der Forderung einer befristeten Vermögensabgabe, einer Vermögenssteuer sowie einer Besteuerung von Erbschaften führt kein Weg aus der Krise vorbei.
  3.  Mindeststandards 
    Ob Fleischindustrie, Flugindustrie, Paketzustellung oder 24-Stunden-Pflege – die Corona-Krise hat ein Schlaglicht auf eine Reihe von Missständen geworfen, die dringend repariert werden müssen. ­Werkverträge und andere prekäre und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse müssen zurückgedrängt werden. Höhere Mindeststandards von der Produktion bis zum Arbeitnehmer*innenschutz verbessern die Situation der Beschäftigten, heben die Qualität und sorgen für Kostenwahrheit statt Dumpingpreisen und -löhnen.

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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