Kürzer arbeiten nach der Kurzarbeit?

Kurzarbeit hat in der COVID-Krise geholfen, viele Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten und Know-how in den Betrieben zu halten.
Foto (C) Markus Zahradnik
Welche Anstöße braucht es, damit die Corona-Kurzarbeit zu einem Umdenken über Arbeitszeiten führt? Wir haben AK-Experten gefragt, inwiefern Corona zur Rutsche für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung werden kann.
Der Begriff Kurzarbeit leitet sich nicht vom Bundeskanzler gleichen Namens ab, obwohl der das Konzept stark propagiert hat, sondern weil es darum geht, kürzer, also weniger Stunden, zu arbeiten. Sie hat in der COVID-Krise geholfen, viele Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten und Know-how in den Betrieben zu halten. Simon Theurl, Referent in der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien und Vorstandsmitglied des Beirats für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen, sagt: „Die Grundidee der Kurzarbeit ist es, vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Beschäftigung zu sichern, indem durch staatliche Subventionen die Arbeitszeit verkürzt wird. Das ist in der aktuellen COVID-Krise gelungen.“

So viele Menschen wie heuer waren in Österreich noch nie in Kurzarbeit – selbst in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 war sie nicht annähernd so nachgefragt. Damals waren zur Spitzenzeit rund 35.000 Arbeitnehmer*innen in Kurzarbeit. „Diese Zahl entsprach zum Teil den täglichen Zuwachsraten im März und April 2020“, erklärt Dennis Tamesberger, Referent für Arbeitsmarktpolitik in der Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der AK Oberösterreich. Zum Höhepunkt der Corona-Krise wurde für fast 1,4 Millionen Arbeitnehmer*innen Kurzarbeit beantragt. Zwar haben sie nicht alle genutzt, dennoch sei die Inanspruchnahme enorm gewesen.

Phase eins war noch Wilder Westen – da hat die Bundesregierung etwa Überförderungen der Betriebe hingenommen.

Gernot Mitter, Arbeitsmarktpolitikexperte der AK Wien

2008/09 waren vor allem große Unternehmen und Industriebetriebe betroffen, während jetzt quer durch alle Branchen Kurzarbeit in Anspruch genommen wurde und wird. Die meisten Personen, die sich in Phase eins in Kurzarbeit befanden, waren in den Branchen Herstellung von Waren, gefolgt von Handel, Bau und Verkehr sowie Lagerei tätig. Rund ein Drittel der in Beherbergung und Gastronomie Beschäftigten war im Sommer in Kurzarbeit, wo es aber auch zu den meisten Kündigungen kam. Auch vom Budget her hat die Kurzarbeit seit März eine interessante Entwicklung genommen. Tamesberger dazu: „Ich kann mich noch an die ersten Tage des ersten Lockdowns erinnern, als das Kurzarbeitsbudget mit einer Milliarde vereinbart wurde und ich mutig eine Verdoppelung forderte. Mittlerweile sind zwölf Milliarden veranschlagt.“

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Weniger akute Panik

Dennoch glaubt Tamesberger nicht, dass die Zahlen so hoch wie im Frühjahr werden: „Es ist davon auszugehen, dass die Zunahme nicht so stark sein wird wie beim ersten Lockdown, weil der Lockdown für die Betriebe jetzt vorhersehbarer war und weniger akute Panik vorherrscht.“ Es sei auch zu erwarten, dass manchen Betrieben der Lockdown-Umsatzersatz als schneller Weg zum Geld bzw. zu mehr Geld erscheint: Kurzarbeitsbeihilfe deckt nur die Personalkosten ab und ist an strenge Auflagen geknüpft. So muss etwa der Beschäftigungsstand auch nach der Kurzarbeit einen Monat lang gehalten werden, während beim Umsatzersatz nur Arbeitgeberkündigungen im November 2020 ausgeschlossen sind. Tamesberger: „Das heißt, Unternehmer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einvernehmlichen Auflösungen drängen oder ab 1. Dezember kündigen, können trotz hohen Umsatzersatzes und staatlicher Förderungen den Personalstand senken.“ Die große Unbekannte sei jetzt die Frage, ob es bei internationalen Lieferketten zu Engpässen kommen wird: „Wenn dies der Fall ist, könnten auch wieder mehr Betriebe Kurzarbeit benötigen.“ Auch die Frage, inwieweit Wintertourismus möglich ist, wird beeinflussen, wie stark Kurzarbeit in Phase drei in Anspruch genommen wird.

Unternehmer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einvernehmlichen Auflösungen drängen oder ab 1. Dezember kündigen, können trotz hohen Umsatzersatzes und staatlicher Förderungen den Personalstand senken.

Dennis Tamesberger, Arbeitsmarktexperte der AK Oberösterreich

Im Großen und Ganzen sind die AK-Experten mit der Kurzarbeit zufrieden, wenngleich es zunächst Schwierigkeiten gab. Gernot Mitter, Arbeitsmarktpolitikexperte der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien, sagt: „Phase eins war noch Wilder Westen – da hat die Bundesregierung etwa Überförderungen der Betriebe hingenommen. Die AK hat viele Hinweise auf missbräuchliche Inanspruchnahme der Kurzarbeit durch Unternehmen erhalten.“ Diese Anfangsprobleme wurden in den darauffolgenden Phasen zwei und drei, also ab Juli 2020, weitgehend abgebaut. Insbesondere in Phase drei ab Oktober 2020 konnten viele arbeitsrechtlichen Verbesserungen, etwa die Berücksichtigung von Kollektivvertragserhöhungen, die Ermöglichung von Ausbildungen während der Kurzarbeit oder die pauschale Abgeltung von Trinkgeldern, durchgesetzt werden.

Jugendarbeitslosigkeit in Grenzen

Wichtig sei auch gewesen, dass Lehrlinge während der Kurzarbeit ausgebildet werden können. Besonders viele Jugendliche waren, ebenso wie Migrant*innen, in Kurzarbeit: Im April waren rund 145.000 junge Menschen betroffen, von denen ein Drittel unter 19 Jahre alt war. Im Juni waren es noch immer rund 43.000 und davon 11.000 unter 19. Das war aus Sicht von Dennis Tamesberger die wichtigste Maßnahme, um die steigende Jugendarbeitslosigkeit in Grenzen zu halten. Nach Geschlechtern scheinen die Unterschiede gering: 29 Prozent aller unselbstständig beschäftigten Männer und 28 Prozent aller unselbstständig beschäftigten Frauen waren in Kurzarbeit. Gernot Mitter zieht eine vorläufige Bilanz zur COVID-Kurzarbeit: „Die Kurzarbeit hat die Explosion der Arbeitslosigkeit deutlich reduziert und volkswirtschaftlich eine große Rolle gespielt, sodass wir so etwas wie eine Zwischenkonjunktur im Sommer erlebt haben.“

Am Ende des Tages haben sich die Kapitalinteressen durchgesetzt. Maßnahmen zur Verhinderung von Mitnahmeeffekten wurden unzureichend aufgenommen.

Simon Theurl, Arbeitsmarktexperte der AK Wien

Simon Theurl findet, dass es nach dem ersten Lockdown wichtig war, dass Kurzarbeit einfach und schnell in Anspruch genommen werden konnte, damit Unternehmen Beschäftigte behalten. Dies habe als Signal der Sicherheit funktioniert. Doch er äußert auch Kritik an der aktuellen Regelung: „Am Ende des Tages haben sich die Kapitalinteressen durchgesetzt. Maßnahmen zur Verhinderung von Mitnahmeeffekten wurden unzureichend aufgenommen.“ Vor allem wäre es aus seiner Sicht wichtig, Unternehmen, die Kurzarbeit in Anspruch nehmen, zu verpflichten, den Beschäftigungsstand lange über den Förderzeitraum hinaus zu halten und sich in Höhe der Gewinne an den Kosten zu beteiligen. Das findet auch Dennis Tamesberger: „Es gibt einige Länder, die bei der Behaltefrist, also dem Aufrechthalten des Beschäftigungsstandes nach der Kurzarbeit, wesentlich strenger sind als Österreich, zum Beispiel Bulgarien, Frankreich und Litauen, wo das Kündigungsverbot zweimal so lang ist wie die Dauer der Kurzarbeit.“

Von der Kurzarbeit zur staatlich geförderte Arbeitszeitverkürzung

Für Gernot Mitter ist es an der Zeit, das Momentum zu nutzen, um das Thema Arbeitszeitverkürzung, das durch die Kurzarbeitswelle so aktuell ist, unabhängig von der aktuellen Krise auf den Tisch zu bringen: „Wir müssen uns innerhalb der Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer klar werden, wie wir es mit der Kurzarbeit weiter halten. Darin liegt eine Möglichkeit, in eine Arbeitszeitverkürzung einzusteigen.“ Seine AK-Kollegen Simon Theurl und Dennis Tamesberger sowie Jürgen Figerl, volkswirtschaftlicher Referent in der Abteilung Wirtschaftspolitik in der Arbeiterkammer Niederösterreich, haben dazu einen konkreten Vorschlag für ein staatlich gefördertes Arbeitszeitverkürzungsmodell ausgearbeitet, der auf den Erfahrungen mit der Corona-Kurzarbeit aufbaut. Die Idee ist, dass Unternehmen die Arbeitsstunden von Beschäftigten reduzieren und zum Ausgleich eine arbeitslose Person im Ausmaß der reduzierten Stunden einstellen.

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Die AK-Experten rechnen im A&W-Blogbeitrag „Arbeitszeitverkürzung ist sinnvoll und finanzierbar“ eine mögliche Variante vor: Die Arbeitszeit von je vier Personen in einem Unternehmen könnte um 20 Prozent reduziert werden, beispielsweise von 40 auf 32 Stunden. Dafür würde eine zuvor arbeitslose Person eingestellt, die im Ausmaß der durch die Reduktion gewonnenen Arbeitszeit, also in diesem Fall für 32 Stunden, beschäftigt werden müsste. So müssten 200.000 Beschäftigte ihre Arbeitszeit reduzieren, um 50.000 Arbeitslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Für diese Maßnahme würden die Unternehmen dem AK-Vorschlag zufolge einmalig und höchstens zwei Jahre lang eine staatliche Arbeitszeitverkürzungs-Beihilfe erhalten, und zwar gestaffelt nach Einkommen. Bei Bruttoeinkommen bis zu 1.700 Euro sollte demnach die Bruttoersatzrate 100 Prozent betragen, bei der nächsten Einkommensstufe bis 2.400 Euro 95 Prozent und bis 5.370 Euro 90 Prozent. Für höhere Einkommen sollte es keine Förderung geben. Sozialversicherungsbeiträge und sonstige Lohnnebenkosten würden in derselben Höhe wie zuvor weitergezahlt. Ausgaben wie Arbeitslosengeld und Versicherungsbeiträge sollten für die Arbeitszeitverkürzung verwendet werden. Die staatlichen Steuer- und Abgabeneinnahmen würden daher in diesem Modell steigen.

Was die Finanzierung betrifft, so sind die AK-Experten nach ihrer Rechnung überzeugt, dass hier überschaubare Kosten anfallen würden. Bei einer angenommenen Eingliederung von 50.000 Erwerbsarbeitslosen und einer Arbeitszeitverkürzung von 200.000 Beschäftigten um 20 Prozent, so errechneten die AK-Experten, würden die Nettokosten für den Staat, also die Bruttokosten minus der Rückflüsse an den öffentlichen Sektor, je nach Höhe der Einkommen zwischen 51 Millionen und 1,2 Milliarden Euro liegen. So würden die Nettokosten zum Beispiel bei 285 Millionen Euro liegen, wenn man davon ausgeht, dass 120.000 Beschäftigte mit 1.700 Euro Bruttoeinkommen, 50.000 mit einem Einkommen von 2.400 Euro brutto und 30.000 mit 5.370 Euro brutto ihre Arbeitszeit um je 20 Prozent reduzieren und dafür 50.000 Arbeitslose wieder eingestellt würden.

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Vorhandene Mittel nutzen

Abgesehen von dieser Idee gibt es schon jetzt Möglichkeiten der Arbeitszeitreduktion, wie zum Beispiel Altersteilzeit oder das Solidaritätsprämienmodell, ebenfalls eine Form der staatlich finanzierten Arbeitszeitverkürzung. Simon Theurl sagt: „Ich appelliere, auf vorhandene Mittel wie das Solidaritätsprämienmodell zuzugreifen.“ Es herrsche der Glaube, dass dieses Instrument „nur von der Voest genutzt werden kann“, doch jedes Unternehmen könne das tun. Theurl hat junge Betriebsrät*innen getroffen, die das Solidaritätsprämienmodell nicht einmal kannten. Gernot Mitter bedauert ebenfalls, dass es viel zu wenig genutzt wird: „Es lebt dann, wenn es vom Betriebsrat gewollt wird.“ Jedenfalls brauche es jetzt einen Schub von der Gewerkschaftsbasis, die sagen müsse: „Nach der Kurzarbeit wollen wir weiter in die Arbeitszeitverkürzung gehen!“ Dann könne das Momentum, das jetzt da ist, kanalisiert und in politische Wirkung verwandelt werden.

Drei Fragen zum Thema Kurzarbeit und Arbeitszeitverkürzung

Wie viel Arbeit braucht der Mensch, um zufrieden zu sein?
Es ist nachgewiesen, dass Arbeitszeitverkürzung zu einer höheren Lebenszufriedenheit und damit auch aus Sicht der Unternehmen produktiveren und glücklicheren Mitarbeiter*innen führt. Es gab 2019 eine bahnbrechende Studie der Universität Cambridge, die gezeigt hat, dass man für die psychische Gesundheit und Lebenszufriedenheit nur acht Arbeitsstunden pro Woche braucht. Wer mehr arbeitet, so haben Daiga Kamerāde, Brendan Burchell und andere Forscher*innen mit der Studie gezeigt, verbessert sein Wohlbefinden nicht weiter.

Inwiefern soll die Corona-Kurzarbeit dazu führen, Arbeitszeiten generell zu verkürzen?
Ein dringendes Problem ist derzeit Arbeitslosigkeit. Allein die Langzeitarbeitslosigkeit ist besorgniserregend: Wir haben mehr als 120.000 Langzeitbeschäftigungslose, also viermal so viele wie 2008. Auch ihr Anteil an den Arbeitslosen insgesamt ist deutlich gestiegen. Wir haben also akuten Handlungsbedarf, Jobs zu schaffen. Dafür braucht es ein zweites Konjunkturpaket, Jobgarantien für Langzeitarbeitslose, aber auch eine bessere Verteilung der Arbeitszeit.

Was können wir konkret aus der Corona-Kurzarbeit für die Zukunft mitnehmen?
Die Erfahrungen haben gezeigt, dass Kurzarbeit ein sinnvolles Instrument ist, um vorübergehend Arbeitslosigkeit zu verhindern und Beschäftigung zu sichern. Wir haben gesehen, dass Arbeitszeitverkürzung funktioniert und für den Staat leistbar ist. Aber Menschen müssen es sich leisten können, ihre Arbeitszeit zu verkürzen, und das ist bei Geringverdienenden oft nicht der Fall. Daher fordern die Gewerkschaften auch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.

Dennis Tamesberger, Arbeitsmarktexperte, zu Kurzarbeit und Arbeitszeitverkürzung

Dennis Tamesberger ist Referent für Arbeitsmarktpolitik in der Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der AK Oberösterreich und hat sich intensiv mit Kurzarbeit beschäftigt.

Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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