Arbeitszeit in Anekdoten

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  1. Seite 1 - Wer bestimmt, wann wie viel gearbeitet werden soll?
  2. Seite 2 - Soziales Leben in Gefahr
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Hundert Jahre nach Einführung des Achtstundentages wollen manche die Zeit zurückdrehen. Doch was bringen Arbeitszeiten bis zu zwölf Stunden?

Soziales Leben in Gefahr

Doch auch der soziale Aspekt ist nicht zu vernachlässigen. Wenn Beschäftigte regelmäßig und kurzfristig zu überlanger Arbeitszeit herangezogen werden, dann fällt es ihnen immer schwerer, ihr soziales Leben zu organisieren. Sie können sich schwerer unter der Arbeitswoche mit FreundInnen verabreden oder sie müssen die Treffen öfter kurzfristig absagen. Auch die Folgen für das Familienleben sind verheerend. Immer seltener kommen Eltern und Kinder zum Abendessen zusammen, weil ein Elternteil schon wieder länger – und dann noch länger – arbeiten muss.

Das eröffnet ein weiteres Problemfeld. Wer kann dem Arbeitgeber zwölf Stunden am Tag zur Verfügung stehen? Oder anders gefragt: Wer wird als leistungsbereiter empfunden, wenn es Beschäftigte gibt, die dazu eher bereit sind als andere? In der Regel werden Männer eher die Möglichkeit haben, es sich auch kurzfristig einzurichten, einen überlangen Arbeitstag zu leisten. Das liegt klarerweise nicht an ihrer größeren Leistungsbereitschaft, sondern an den gesellschaftlichen Gegebenheiten. In der Regel haben Frauen den größten Teil der unbezahlten reproduktiven Arbeit des Haushalts, der Kindererziehung und der Pflege naher Angehöriger zu leisten. Mit der generellen Ausweitung der Höchstarbeitsgrenzen macht man es Frauen noch schwerer, den Ansprüchen der Wirtschaft an Flexibilität und Einsetzbarkeit gerecht zu werden.

Gerne wird – vor allem vonseiten der Industrie – betont, dass es bei der Ausweitung der Arbeitszeit zu keiner Reduktion von Zuschlägen kommen soll. Es soll nur mehr gearbeitet werden dürfen. Angeblich geht es nicht darum, weniger zu zahlen. „Die Botschaft hör’ ich wohl“, beginnt sich Goethes Faust in mir zu melden, „allein mir fehlt der Glaube.“ Denn die Forderung nach genereller Ausweitung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden steht ja nicht allein da. Sie ist Teil eines ganzen Pakets von Wünschen der Industrie, und in diesem Paket befindet sich auch die Forderung nach längeren Durchrechnungszeiten.

Keine Zuschläge

Das bedeutet, dass Überstundenzuschläge nicht sofort fällig werden, sondern erst dann, wenn die Arbeitszeit innerhalb eines gewissen Zeitraums im Durchschnitt bestimmte Grenzen überschreitet. Je länger dieser Zeitraum ist, desto eher lassen sich längere Arbeitszeiten durch Freizeit wieder ausgleichen. Und so wird heute die generelle Ausweitung der Höchstarbeitszeit gefordert, um morgen die Zuschläge über den Umweg der Durchrechnung zu streichen.

Erst zu unflexibel, dann zu teuer

Heute sagen sie „Es ist so unflexibel“ und morgen sagen sie „Es ist so teuer“. In diesem Fall ist das leicht zu durchschauen. Aber was wäre mit unserem Installateur, wenn nun wirklich zwölf Stunden auch kurzfristig ohne Strafdrohung generell möglich wären? Wären damit die Probleme gelöst? Der Soziologe Jörg Flecker hat die Arbeitszeitgrenzen öfters mit Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr verglichen. Sind 50 km/h erlaubt, dann fahren viele 60. Bei 70 km/h sind es dann 80 – es gibt immer Überschreitungen. Wenn zehn Stunden erlaubt sind, dann werden es manchmal zwölf. Wenn zwölf Stunden erlaubt sind, dann werden auch diese überschritten.

Was uns zu unserem Beispiel zurückbringt. Denn was wäre nun, wenn die Therme auch nach zwölf Stunden Arbeit nicht wieder funktionstüchtig zusammengebaut wäre?

Von
Martin Müller
ÖGB-Sozialpolitik

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/18.

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