Schichten verlängern sich, weil Personal fehlt. Pausen existieren oft nur am Papier. Und immer wieder gibt es Kundschaft, die Grenzen überschreitet. Eine Befragung der GPA unter 1.513 Mitarbeiter:innen im Einzelhandel zeigt, dass fast die Hälfte der Befragten schon einmal Gewalt am Arbeitsplatz erlebt hat.
Im Rahmen unseres Konsumschwerpunkts hat Arbeit&Wirtschaft mit fünf Beschäftigten aus unterschiedlichen Handelssparten gesprochen. Sie zeichnen ein eindrückliches Bild davon, was es wirklich bedeutet, in solchen Zeiten auf den Verkaufsflächen zu stehen. Um ihnen zu ermöglichen, frei über ihren Berufsalltag zu sprechen, bleiben ihre Identitäten geschützt.

Das Arbeitspensum
„Überstunden mache ich, weil es nie genug Personal gibt.“
„Ich arbeite in einer Drogerie. Es gibt einige Tätigkeiten neben meiner Hauptaufgabe, die Kassa zu bedienen: Ware verräumen – schlichten, schlichten und nochmals schlichten. Wir beginnen eine halbe Stunde vor Ladenöffnung, obwohl wir erst eine Viertelstunde vorher bezahlt werden – aber sonst lässt sich alles nicht rechtzeitig erledigen.“ – E., Drogerie
„Ich arbeite in einem Bekleidungsgeschäft und einen klassischen Tagesablauf gibt es nicht. Ich kümmere mich um Verschiedenes: Die Kleidung muss ins Geschäft kommen, durchgehend gefaltet, geschlichtet und aufgeräumt werden. Gleichzeitig muss man, wenn eine Kundschaft an der Kasse steht, alles stehen und liegen lassen und kassieren. Ich mache oft Überstunden, weil es nie genug Personal gibt.“ – O., Bekleidungsgeschäft
„Ich arbeite in der Feinkost eines Supermarkts und bin für 30 Stunden angestellt, wobei ich immer mehr arbeite. Aber wir kriegen es wenigstens noch ausbezahlt und keinen Zeitausgleich. Flexible Arbeitszeiten werden immer positiv dargestellt, aber das heißt im Zweifelsfall auch, dass man keine festen Arbeitszeiten hat und sich nach den Wünschen der Chefitäten richten muss.“ – D., Feinkost
„Ich arbeite Vollzeit in einem Supermarkt im Lager. Ich kümmere mich vor allem um die Anlieferung von Getränken und schlichte sie in Kühlschränke. Manchmal arbeite ich auch an der Kassa, wenn sonst niemand da ist. Wie viel ich in der Woche arbeite, ist sehr unterschiedlich. Für den Kassaabschluss, das Putzen und Abschließen des Geschäfts sind 15 Minuten vorgesehen. Wenn ich alleine bin, reicht das nicht aus.“ – B., Lebensmitteleinzelhandel
„Ich arbeite in einem Geschäft für Sportartikel und meine Tätigkeit besteht größtenteils aus dem Verkauf und Kundenservice. Dazu kommen Aufräumarbeiten und gelegentlich die Annahme oder Weitergabe von Lieferungen.“ – A., Sportgeschäft
Die Stresslevels
„Ich hatte früher öfter Rückenschmerzen“
„Fehlendes Personal ist bei uns ein riesiges Problem, besonders wenn viele krank sind oder im Urlaub. An manchen Tagen steht dann vielleicht nur eine Person im Geschäft, weil einfach nicht genug Leute da sind. Da ist es dann schlimm. Richtig angenehm fühlt sich das Arbeitspensum aber nie an.“ – O., Bekleidungsgeschäft
„Ich bin oft allein und schlichte Getränke ein. Prinzipiell ist es okay, aber auf Dauer wird es anstrengend. Ich hatte früher öfter Rückenschmerzen wegen der schweren Kisten, die ich tragen muss. Ich muss viel Heben. Besonders stressig ist es, wenn die Tiefkühlware ankommt. Dann sind auf einen Schlag mehrere Lieferungen da und ich muss sie ins Tiefkühlfach einräumen. Da muss man schnell sein.“ – B., Lebensmitteleinzelhandel
„Die Kund:innenwünsche verändern sich. Es macht einen Unterschied, ob alte Omas kommen, die kochen und ein Stück Fleisch kaufen ohne großes Tamtam, oder ob jemand einen Kornspitz mit Käse, zwei Scheiben Schinken plus Gurkerl und Mayo und noch dies und das will. Die einfachen Käufe werden immer weniger, die Weckerl immer mehr. Das ist aber ein irrsinniger Arbeitsaufwand, der von Vorgesetzten absolut unterschätzt wird.“ – D., Feinkost
„Während der Weihnachtsfeiertage kann ich mir eigentlich nie freinehmen. Besonders dann ist es stressig und ich muss dann quasi immer arbeiten.“ – B., Lebensmitteleinzelhandel

„Ich habe nur zwei Hände.“
„Die Arbeit ist grundsätzlich machbar, aber schon stressig. Besonders bei Schlechtwetter kommen viele Kund:innen, oder manchmal auch im Sommer, wenn es über 30 Grad hat, suchen die Leute wohl auch wegen der Klimaanlage unsere Filiale auf. Aber auch rund um die Weihnachtsfeiertage oder Black Friday ist es sehr anstrengend. Dann sind Überstunden fast unvermeidlich.“ – A., Sportgeschäft
„Bei uns geht es sich zeitlich gut aus, weil wir ein eingespieltes und auch pragmatisch arbeitendes Team sind. Am frühen Abend beginnt das Putzen, alle Geräte, Schneidmaschinen, der Fleischwolf, müssen bis Ladenschluss sauber sein, daneben bedienen wir. Da kommen keine externen Putzkräfte, das machen die Mitarbeiter:innen. Ich bin inzwischen auch an dem Punkt angelangt, an dem ich es aushalte, wenn Kund:innen ein paar Sekunden warten müssen, wenn ich gerade andere Arbeiten erledigen muss. Früher hat mich das nervös gemacht – aber ich habe nur zwei Hände.
Weihnachten ist vom Kundenandrang her die stressigste Zeit. Dann werden auch Überstunden aufgebaut und mehr Mitarbeiter:innen eingeteilt. Im Dezember haben wir praktisch eine inoffizielle Urlaubssperre.“ – D., Feinkost
Pausen
„Oft bleibt mir keine Zeit für Pausen“
„Ich bin oft einen halben Tag allein im Geschäft. Offiziell darf ich aufs WC, doch ich fühle mich unwohl, wenn ich die Kassa aus den Augen lassen muss, um zwei Räume weiter auf die Toilette zu gehen. Wenn etwas gestohlen wird, bin ich verantwortlich. Wenn viele Leute da sind, etwa bei Aktionswochen, mache ich auch keine wirkliche Mittagspause. Dann gehe ich nur kurz essen und danach sofort wieder an die Arbeit. Ich will meine Kolleg:innen nicht alleine lassen.“ – O., Bekleidungsgeschäft
„Oft schaffe ich es nicht Pause zu machen, einfach weil zwischen dem Beraten von Kund:innen, dem ganzen Verräumen von Ware oder dem Regaleschlichten keine Zeit bleibt. Wer raucht, darf kurz raus, muss dafür aber ‚stechen’. WC-Pausen sind unproblematisch.“ – E., Drogerie
„Wir können problemlos Toilettenpausen einhalten. Es ist aber schon vorgekommen, dass so viel los war, dass man nicht zum Trinken kam. Dementsprechend musst du dann eh nicht auf die Toilette. Es kam vor, dass ich dann echt dehydriert zu Hause ankam und mir nur dachte: „Okay, das war ein richtig verrückter Tag!“ Abseits davon sind die Pausen aber normal geregelt.“ – A., Sportgeschäft

Die Kund:innen
„Ich habe schon zweimal rassistische Übergriffe erlebt“
„Am Anfang war ich den Wartenden an der Kassa zu langsam, und sie forderten gleich: ‚Zweite Kassa, bitte!‘ Es gibt gute Leute, aber auch schlimme. Manche Kund:innen sind rassistisch. Zweimal habe ich schon Übergriffe erlebt. Ich bin ruhig geblieben, habe nicht darauf reagiert. Die Vorfälle beschäftigen mich aber bis heute.“ – B., Lebensmitteleinzelhandel
„Es gibt auch ältere Frauen, die dann drei Minuten an der Theke stehe und plaudern möchten, aber die finde ich okay, solange hinter ihnen nicht zehn Leute stehen und warten. Da höre ich mir schon auch gern die Familiengeschichte an. Das gehört auch zu unserem Beruf. Und so bildet man eine Stammkundschaft.“ – D., Feinkost
„Manche suchen regelrecht Streit“
„Kund:innenkontakt ist einer der Gründe, warum ich mich überhaupt für den Beruf entschieden habe. Positive Rückmeldungen freuen mich einfach. Kritik der Kund:innen trifft mich, etwa wenn man hört, man ist zu langsam, obwohl man sich eh schon so anstrengt. Manche suchen regelrecht Streit. Abseits davon wird oft nicht zurückgegrüßt, man wird nicht so behandelt, wie man sollte, und in manchen Situationen kaum wahrgenommen. Eine Kollegin musste deswegen oft weinen und hat schließlich gekündigt.“ – E., Drogerie
„Manche Kund:innen schauen auf mich herab und behandeln mich unangenehm und unhöflich.“ – A., Sportgeschäft
„Grundsätzlich sind die Leute normal und verträglich, es gibt auch liebe Stammkundschaft, aber es sind Ausreißer dabei. Das geht bis hin zu Leuten, die sich überhaupt nicht mehr einkriegen, weil sie sich so aufregen. Diese Ausraster nehmen zu, aber man merkt, dass es nicht um die Ware oder den Supermarkt oder die Mitarbeiter:innen geht, sondern die müssen irgendwo explodieren, Dampf ablassen.“ – D., Feinkost
Kontrolle
„Viele entwickeln das Gefühl, ständig beobachtet zu werden“
„Es heißt oft, wir dürften während der Arbeit nicht miteinander sprechen. Wer ständig ermahnt wird, beginnt an sich zu zweifeln. Ich betreue die Kundschaft gut, halte Gespräche kurz und frage mich, warum ein Wort unter Kolleg:innen tabu sein soll, während der Chef selbst mit Mitarbeiter:innen eine Viertelstunde lang tratscht. Das drückt dauerhaft auf die Stimmung im Team. Viele Kolleg:innen entwickeln eine Art stille Alarmbereitschaft und das Gefühl, ständig beobachtet zu werden. Da zähle ich mich selbst auch dazu.“ – A., Sportgeschäft
„Einmal im Monat kommt ein versteckter Einkäufer und kontrolliert meine Arbeit. Besonders in stressigen Situationen ist das schwierig. Ich habe bisher immer ‚bestanden‘, ein Kollege von mir aber nicht. Er wurde dann vom Chef ermahnt.“ – B., Lebensmitteleinzelhandel
„Einmal pro Quartal kommt ein Mysteryshopper, das bereitet mir mittlerweile keine Sorgen mehr, am Anfang schon, da ist das ungewohnt. Es gibt ein paar Dinge, die er dann kontrolliert: Ist die Filiale und das Arbeitsoutfit sauber? Er schaut darauf, ob man Aktivverkauf betreibt, nach der Kundenkarte fragt und ob man freundlich ist. Wenn es eine Frage zu Shampoo gibt, soll man fragen, ob ein Conditioner dazu passt.“ – E., Drogerie
Wer verhandelt was? Wer blockiert? 🤔
Mit unserem Newsticker zur Herbstlohnrunde bist du bei den KV-Verhandlungen immer auf dem neuesten Stand. 👇
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 24. November 2025 um 11:00
Zufriedenheit
„Ich wünsche mir mehr Verständnis“
„Ich bin vor fünf Jahren nach Österreich gekommen und bin dankbar für meinen Job, aber mir fehlen die Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Der soziale Austausch im Job gibt mir persönlich nicht so viel, und ich spüre die körperliche Belastung.“ – B., Lebensmitteleinzelhandel
„Ich wünsche mir Verständnis. Im Sommer hatten wir starken Personalmangel und viele Aufgaben blieben liegen. Dann wurde gefragt: ‚Warum ist das nicht erledigt? Was ist da los?‘ Und ich würde mehr Stunden brauchen, damit sich alles ausgeht. Trotzdem sehe ich mich weiter in diesem Job. Die Zusammenarbeit im Team ist gut und ein großer Teil unserer Kundschaft begegnet mir respektvoll. Einige Stammkund:innen bringen zu Weihnachten sogar Kekse. Dennoch treffe ich immer wieder Menschen, die mir den Alltag schwer machen.“ – O., Bekleidungsgeschäft
„Mehr Bezahlung wäre wünschenswert“
„Ich will auf lange Sicht nicht im Handel arbeiten, aber für meine Kolleg:innen wünsche ich mir bessere Arbeitsbedingungen: Zum Beispiel eine längere Pause von 40 statt 30 Minuten, mehr Sitzgelegenheiten oder die Möglichkeit zwischendurch, die Füße hochzulagern. Den ganzen Tag auf den Beinen zu sein, ist wirklich anstrengend. Mehr Bezahlung wäre wünschenswert.“ – A., Sportgeschäft
„Ich würde mir wünschen, mehr sitzen zu können und etwas mehr Respekt von Kundschaft und Vorgesetzten zu bekommen. Im Team läuft es super. Meine Hausärztin sagt, die Bewegung sei gar nicht so schlecht, sie hält fit. Trotzdem ist es manchmal einfach zu viel Arbeit.“ – E., Drogerie