Coverstory: Angriffe auf den Schutzschirm

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  1. Seite 1 - Regierung aufseiten der Industrie
  2. Seite 2 - Die Verfassung schützt die AK
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Die Regierung versucht, die AK als starke Stimme der Beschäftigten zu schwächen. Umso wichtiger sind die bevorstehenden AK-Wahlen, bei denen die ArbeitnehmerInnen der Kammer den Rücken stärken können. In den Wahlbüros laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, damit die Mitglieder von ihrem Wahlrecht auch Gebrauch machen können.

Die Verfassung schützt die AK

Dieses Mal sei die Lage anders. Erneut muss Politikwissenschafter Karlhofer ausholen, um die Hintergründe zu erläutern. Denn um die AK zu schwächen, gibt es zwei Wege: die Kürzung der Kammerumlage, wie sie von Schwarz-Blau Anfang der 2000er-Jahre versucht wurde. Eine andere Variante ist die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft, die auch von den Neos immer wieder in die Debatte eingebracht wird.

Welche Maßnahme die Regierung auch immer plant: Momentan hat sie nicht die nötige Mehrheit, um sie auch in die Tat umzusetzen. Denn seit 2008 sind die Kammern und damit auch die Arbeiterkammer verfassungsrechtlich geschützt. Das bedeutet, dass jegliche Gesetzesänderung nicht mehr nur eine einfache Mehrheit im Parlament braucht. Vielmehr ist dazu eine Zweidrittelmehrheit nötig – und zwar nicht nur im Nationalrat, sondern auch im Bundesrat. Genau das ist der springende Punkt: Solange im Bundesrat die Mehrheitsverhältnisse so bleiben wie bisher, hat die AK wenig zu befürchten.

Nur wäre es kurzsichtig, würde sie sich hier zurücklehnen. Denn alles steht und fällt mit den Ergebnissen der nächsten Landtagswahlen, die eben die Zusammensetzung des Bundesrates verändern können. „Wir haben 2019 eine Landtagswahl in Vorarlberg, 2020 haben wir vier Landtagswahlen, unter anderem in Wien. Und da sind die Neos voraussichtlich auch im Bundesrat vertreten“, so Karlhofer. „Das heißt, sie können Stimmenbringer sein. Es könnte sein, dass das Kalkül der Regierung ist, dass man das alles abwartet.“

Einfach wird es für die Regierung freilich selbst dann nicht werden, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse tatsächlich verändern sollten. Denn auch heute springen die anderen Kammern für die AK in die Bresche. So verweist Karlhofer auf „dezidierte Aussagen“ der Präsidenten aller Kammern in Salzburg. „Das ist nur ein Bundesland, aber es war eben ein Signal.“ Außerdem verweist er auf die Ansagen von allen Wirtschaftskammerpräsidenten, dass man auf die Pflichtmitgliedschaft nicht verzichten könne. „Wir haben in Österreich die Situation, dass gerade die Arbeiterkammer auch gegen den Willen der Wirtschaftskammer unter deren Schutz steht.“ Denn würde man die AK angreifen, würden auch in der Wirtschaftskammer jene Kräfte Rückenwind erfahren, die auch in dieser Kammer die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft anstreben. Daher ist Karlhofer durchaus skeptisch, ob es der Regierung denn wirklich gelingen könnte, „den Status quo in Richtung Asymmetrie gegen die Arbeitnehmerseite zu verändern“.

Insofern ist die bevorstehende AK-Wahl in der Tat eine besonders wichtige Wahl: Geht die Kammer gestärkt aus dem Urnengang, stärkt dies ihre Position gegenüber der Regierung. Und damit hat die Kammer auch bessere Karten, um Maßnahmen zu bekämpfen, die zulasten der Beschäftigten gehen. Freilich ist dafür nicht nur entscheidend, wie viele Beschäftigte ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen. Genauso entscheidend ist, welche Listen gestärkt aus der Wahl hervorgehen: jene, die auch bislang schon eine klare Politik im Sinne der Beschäftigten vertreten haben und klar gegen die Angriffe der Regierung auf den Wohlfahrtsstaat und die Qualität der Arbeitsverhältnisse aufgetreten sind – oder jene, die die Regierungspolitik mittragen.

Mobilisierung für die AK

Politikwissenschafter Karlhofer hält es durchaus für möglich, dass die AK die Mobilisierung zustande bringt. Erneut wirft er einen Blick zurück auf die Erfahrungen der ersten VP-FP-Koalitionen. Denn bei den AK-Wahlen im Jahr 2004 hatte die schwarz-blaue Regierungspo­litik schon Konturen angenommen, die negativen Folgen für die Beschäftigten waren deutlich geworden – und entsprechend stieg die Wahlbeteiligung. „Da sieht man schon, dass ArbeitnehmerInnen dann erkennen: Hier geschieht etwas, wo ich nicht passiv bleiben will, sondern wo ich per Stimmzettel meine Position mitteilen möchte“, so Karlhofer.

Vorsicht ist geboten, denn Wahlbeteiligungen wie bei Kommunal-, landesweiten oder bundesweiten Wahlen sind in den Interessenvertretungen nur schwer zu erreichen. Dies ist auch bei anderen Selbstverwaltungskörperschaften ähnlich, sei es in der Wirtschaftskammer oder in der ÖH. Dazu kommen die Veränderungen in der Arbeitswelt: „Es gibt vier Millionen ArbeitnehmerInnen in Österreich. Viele davon arbeiten halbtags oder haben prekäre Arbeitsverhältnisse. Viele sind durch die hohe Fluktuation in manchen Branchen fast nicht erfassbar, und viele von ihnen sind auch nicht interessiert an einer Interessenvertretung“, erläutert Karlhofer. Dennoch bleibt er dabei: „Wir wissen aus Erfahrung: Wenn es Spitz auf Knopf steht, dann steigt die Wahlbeteiligung.“

Öffentliche Diskussion umgangen

Momentan scheint viel dafür zu sprechen, denn auch Maßnahmen wie die Kürzung der Mindestsicherung stoßen keineswegs auf die Zustimmung aller Beschäftigten. Karlhofer ist zudem der Meinung, dass auch das „Reizwort 12-Stunden-Tag“ zur Mobilisierung beitragen kann. Denn so schnell gerate eine so weitreichende Maßnahme nun einmal nicht in Vergessenheit. Dabei sorgt nicht nur die Maßnahme selbst beim Politikwissenschafter für Ärger, immerhin sei der 8-Stunden-Tag, der 1919 beschlossen worden war, eine „der bahnbrechendsten Errungenschaften der Modernisierung überhaupt bzw. der Neuaufstellung der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen“.

Allerdings ärgert Karlhofer nicht nur die Tatsache, dass diese nun von der Regierung unterlaufen wird. Er stößt sich auch an der Art und Weise, wie dies geschah: in der Form eines Initiativantrags. Denn dadurch wurde nicht nur Begutachtungsrecht völlig ausgehebelt, sondern es wurden auch wichtige Diskussionen in der Öffentlichkeit und in den parlamentarischen Ausschüssen umgangen – was offensichtlich auch die Absicht der Regierung war. Denn im Alltag des österreichischen Parlamentarismus ist der Initiativantrag zwar ein gängiges Instrument. Allerdings werde auf ihn normalerweise bei Fragen zurückgegriffen, „bei denen an sich bereits Konsens besteht und kein weiterer Diskussionsbedarf gesehen wird. Allerdings bei dermaßen essenziellen Fragen wie dem 12-Stunden-Tag, also der Ausdehnung der Arbeitszeit: Das ist an sich ein Systembruch.“

Man könnte also durchaus sagen, dass die AK Rückenwind hat. Darauf verlassen will man sich in Kammern und Gewerkschaften freilich nicht. Die Arbeit in den Wahlbüros läuft bereits auf Hochtouren, denn man will alles unternehmen, um allen ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit zu geben, auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen zu können. „Wir sind die starke Stimme der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und die Nähe zu unseren Mitgliedern ist uns sehr wichtig“, betont AK-Präsidentin Renate Anderl und appelliert an die WählerInnen: „Die AK ist der Schutzschirm für die Beschäftigten – spannen Sie ihn auf und gehen Sie zur AK-Wahl!“

Von
Sonja Fercher

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/18.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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