Am (europäischen) Prüfstand

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Immer mehr Länder in Europa versuchen, den negativen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt mit gesetzlichen Mindestlöhnen entgegenzuwirken.

Mindestlohn als Wahlkampfthema

Für Falk ist das nicht nachvollziehbar: „Wenn ein neues Gesetz in Kraft tritt, muss allen klargemacht werden, dass es auch sanktioniert wird.“ Das sei auch im Interesse der ehrlichen Unternehmen. Falk nennt das Gaststättengewerbe als Branche, in der viele Verstöße festgestellt werden: „Da sind viele Minijobber unterwegs. Dennoch sind die Kontrollen um 17 Prozent eingebrochen. Das ist ein Skandal!“ Auch in der Baubranche seien die Kontrollen um 19 Prozent gesunken. Falk fordert, dass bei der für die Prüfungen verantwortlichen Zollbehörde die Kontrollstellen mittelfristig auf 10.000 aufgestockt werden.

Außerdem kritisiert die Gewerkschafterin Ausnahmen vom Mindestlohn. So dürfen Langzeiterwerbslose in den ersten sechs Monaten nach dem Antritt einer neuen Beschäftigung vom Mindestlohn ausgeschlossen werden. Auch Jugendliche unter 18 Jahren ohne Berufsausbildung und PraktikantInnen-Gruppen seien ausgenommen. „Die Ausnahmen müssen weg, die Kontrollen müssen besser werden und der Mindestlohn stärker steigen“, fordert Falk. Auch sie hält den Mindestlohn für zu gering: „Jetzt sind wir bei 8,84 Euro und jeder weiß, dass man, wenn man sein Leben lang nur auf diesem Niveau verdient, im Rentenalter auf Sozialhilfe angewiesen ist.“

Falk verzeichnet aber auch positive Trends. Viele Chefs seien dazu übergegangen, auch die Gehälter der Lohngruppen über dem Mindestlohn anzuheben. Im Osten sei der Sprung gewaltiger, da dort das Lohnniveau niedriger gewesen sei. Der gesetzliche Mindestlohn zeitigte auch auf wirtschaftlicher Ebene positive Effekte: Das BIP sei im Jahr 2016 um 1,9 Prozent gestiegen, davon fallen 1,1 Prozent auf den privaten Konsum. „Wir gehen davon aus, dass der Mindestlohn hier eine Rolle gespielt hat.“ Außerdem sei die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten gestiegen, im Westen um 4,7 Prozent, im Osten um 4,2.

In Frankreich ist der Mindestlohn Thema im Präsidentschaftswahlkampf. Benoît Hamon, Kandidat der Parti Socialiste (PS), möchte ihn anheben. Konkurrentin Marine Le Pen vom rechten Front National (FN) hat nun ebenfalls das linke Projekt Mindestlohn für sich als Wahlkampfthema entdeckt und fordert eine Erhöhung. Gemessen an Stundenlöhnen in Euro belegte Frankreich 2015 laut dem aktuellen WSI-Mindestlohnbericht den zweiten Platz. Langjähriger Spitzenreiter ist Luxemburg mit 11,12 Euro. „Hätte man in Luxemburg keinen Mindestlohn, würde der ganze Apparat zusammenbrechen. Es gäbe eine Lohndumpingwelle“, erläutert Schulten den Hintergrund. Generell seien die Mindestlöhne in Europa moderat gestiegen. Niedrige Preise führten zu einem Reallohnzuwachs. Ausnahme ist Griechenland, das die Mindestlöhne nicht anheben darf. Das Land untersteht der Troika, die bereits im Jahr 2012 eine Kürzung der Mindestlöhne um 20 Prozent beschloss und der Regierung Erhöhungen ohne vorherige Genehmigung verbot. „Dass die Troika gegen eine Erhöhung war, ist eine Katastrophe. In keinem anderen Land ging das Lohnniveau so in den Keller“, kritisiert Schulten. Die negativen Folgen: „Wir sehen die klassischen Auswirkungen einer Deflationsspirale. Das behindert einen Aufstieg aus der Krise.“ Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Austerität seien unterschätzt worden und haben die binnenwirtschaftliche Entwicklung abgewürgt. „Eine Erhöhung des Mindestlohns wäre ein Element, um dem entgegenzuwirken. Die Lohnentwicklung ist aber insgesamt negativ“, so Schulten.

Erhöhung um 130 Prozent

Einen anderen Weg habe die Ukraine eingeschlagen, wo der Mindestlohn um 130 Prozent angehoben wurde. Das hat mehrere Ursachen: Erstens war der Mindestlohn davor sehr niedrig. Zweitens lag die Inflation im Jahr 2015 bei 50, im Jahr 2016 bei 22 Prozent. Dadurch relativiere sich die Erhöhung, es bleibe aber etwas für die Menschen übrig, so Schulten. Es sei erkannt worden, dass für die Masse der Beschäftigten eine Notwendigkeit bestehe. Ein Allheilmittel kann der Mindestlohn jedoch nicht sein, wie DGB- Expertin Claudia Falk betont: „Er ist ein Mosaikstein auf dem geordneten Arbeitsmarkt und kann nicht alle Entwicklungen prekärer Beschäftigungen ausmerzen.“ Die Gewerkschaft wolle nach wie vor Tarife verhandeln, das bleibe zentral. Doch der Arbeitsmarkt hält weitere Herausforderungen für die ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften bereit: „Der Mindestlohn kann nicht ersetzen, dass es eine Ausdehnung von Leiharbeit, Werkverträgen und Minijobs gibt. Das muss an anderen Stellen geregelt werden.“

Linktipps
Living Wage Foundation:
www.livingwage.org.uk
Informationsplattform des IAB:
infosys.iab.de/infoplattform

Von
Sandra Knopp und Udo Seelhofer
Freie JournalistInnen

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/17.

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