Als Softwarefirma aufgewacht

Foto (C) ÖGB-Verlag | Michael Mazohl

Inhalt

  1. Seite 1 - Professionalisierung
  2. Seite 2 - Mitbestimmung als Erfolgsfaktor
  3. Auf einer Seite lesen >
Die Anforderungen an Aufsichtsräte haben sich enorm verändert. Für Betriebsräte bedeutet dies neue Herausforderungen.
„Man geht als Industriebetrieb zu Bett und wacht am nächsten Morgen als Softwarefirma auf.“ Mit dieser Beschreibung bringt es Jeffrey Immelt, der ehemalige CEO von General Electric, auf den Punkt: Digitalisierung, Globalisierung und neue rechtliche Rahmenbedingungen haben die Anforderungen an Aufsichtsräte enorm verändert. Aus vielen mittelständischen Unternehmen sind in den letzten Jahren global ausgerichtete Konzerne geworden, die sich nun in einem Umfeld von komplexen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bewähren müssen. Die Beurteilung von komplexen internationalen Verträgen, unterschiedlichen rechtlichen Standards, die Einschätzung teilweise volatiler wirtschaftlicher Rahmenbedingungen oder die Anwendung von nur schwer verständlichen internationalen Rechnungslegungsstandards sind mittlerweile alltägliche Themen in den Aufsichtsräten geworden. Dies stellt auch BetriebsrätInnen, die in den Aufsichtsräten vertreten sind, vor neue Herausforderungen.

Gesellschaftsrechtliche und steuerliche Konstrukte führen zu schwer nachvollziehbaren Kapitalflüssen und Beherrschungs- und Einflussstrukturen zwischen Konzerngesellschaften. Der Aufsichtsrat hat diese zu überwachen und mit den immer komplexer werdenden Compliance- und Kapitalmarktregeln klarzukommen. ArbeitnehmervertreterInnen wiederum sind mit kaum überschaubaren „Big Data“-Beständen konfrontiert, die über sämtliche Arbeitsprozesse auf Unternehmensebene hinweg gesammelt werden – und die Beschäftigten damit völlig transparent werden lassen. Zusätzlich sind Betriebsräte permanent mit Umstrukturierungsaktivitäten wie Outsourcing, Ausgliederungen, Projekten zur Arbeitszeitflexibilisierung und nicht zuletzt der immer stärker fortschreitenden internationalen Arbeitsteilung konfrontiert.

Professionalisierung

Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat basiert auf den Regelungen des Arbeitsverfassungsrechtes und ist international – aber auch auf europäischer Ebene – keine Selbstverständlichkeit. Von konservativer bzw. neoliberaler Seite wird immer wieder versucht, die Mitbestimmung zurückzubauen. Vor allem in Konzernen unter angelsächsischem Einfluss werden Betriebsräte im Aufsichtsrat als „Fremdkörper“ empfunden. Auf EU-Ebene soll in den nächsten Monaten das Gesellschaftsrecht flexibilisiert werden, Spaltungen sollen erleichtert werden, Konzerne sollen ihren Sitz – unabhängig vom tatsächlichen Standort des Headquarters – innerhalb der EU frei wählen können. Damit wäre auch die Gefahr verbunden, dass die Mitbestimmung unter die Räder gerät und der Konzernsitz in jenem Land gewählt wird, in dem es die geringsten Mitbestimmungspflichten gibt.

Einhergehend mit den veränderten Rahmenbedingungen zeichnet sich seit Jahren ein Trend Richtung stärkerer Professionalisierung des Aufsichtsrats ab. Deutlich erkennbar ist dies etwa bei kapitalmarktorientierten Unternehmen sowie Unternehmen im Finance-Bereich. Compliance-Regelungen sowie Aus- und Weiterbildungsverpflichtungen für die Mandatare wurden etwa unter dem Stichwort „Fit and proper“ in den letzten Jahren verschärft. Unter bestimmten Umständen müssen sogar Kompetenzüberprüfungen bei der Finanzmarktaufsicht bewältigt werden. Dies ist gerade für ArbeitnehmervertreterInnen eine Herausforderung, werden sie doch auf Basis einer Wahl (Betriebsratswahl) und anschließender Delegierung durch das Gremium in den Aufsichtsrat entsandt und nicht aufgrund ihres ExpertInnenwissens. Herausforderung wird trotzdem sein, sich entsprechendes Wissen und Know-how anzueignen, um die Funktion im Aufsichtsrat mit der notwendigen Verantwortung ausüben zu können. Hintergrund der Professionalisierung ist auch die zunehmende Sorge, bei nicht sorgfältiger Arbeit zur Haftung herangezogen zu werden. In Österreich hat der ÖGB dieser Sorge Rechnung getragen und die Haftungssummen im Rahmen der Versicherung für Betriebsräte im Aufsichtsrat deutlich erhöht.

Anderer Umgang mit Risiko

Verändert hat sich in den letzten Jahren auch der Umgang mit Risiko. Die zunehmende Komplexität macht es schwer, sorgfältige und verlässliche Risikoeinschätzungen vorzunehmen. Als Entscheidungsgrundlage ist der Vorstand und mittelbar damit auch das Überwachungsorgan Aufsichtsrat oft von mathematischen oder statistischen Modellen abhängig. Risiko ist Teil jedes unternehmerischen Handelns, aber wie erkennt das Überwachungsorgan Aufsichtsrat, dass vorgelegte Risikoeinschätzungen mangelhaft bzw. nicht verlässlich sind? Auf juristischer Ebene wird hier seit 2016 die „Business Judgement Rule“ als Maßstab herangezogen. Ihr Ziel ist es, die Haftung der Organe bei ihren Entscheidungen auf ein vernünftiges Maß einzuschränken. In der Praxis geht es wohl darum, relevante Fragestellungen zu identifizieren und entsprechende Informationen vom Vorstand zu verlangen sowie diese auf ihre Plausibilität zu überprüfen. BetriebsrätInnen im Aufsichtsrat können hier oft mit fundiertem internem Wissen über innerbetriebliche Schwachstellen, aber auch über potenzielle Chancen punkten. Voraussetzung dafür ist neben Sachverstand und relevanten Grundkenntnissen auch, dass genügend Zeit für den Aufsichtsratsjob aufgebracht wird und die Sitzungen sorgfältig vorbereitet werden.

Chance für BetriebsrätInnen

Teil der Professionalisierung ist auch der zunehmende Anspruch an Diversität. Erstmals wird es nun in Österreich unter bestimmten Bedingungen eine verpflichtende Frauenquote im Aufsichtsrat geben. Beim Reporting wird zukünftig auf die Diversitätsstrategien verstärkt einzugehen sein. Übrigens werden auch die Transparenzanforderungen im Sozial- und Umweltbereich verstärkt ein Thema im Aufsichtsrat sein. Denn dieser hat den entsprechenden Bericht zu prüfen. Daraus bietet sich eine Chance für Betriebsräte, ihren Anliegen in Richtung Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Berichterstattung im Nachhaltigkeitsbericht stärker Nachdruck zu verleihen.

Die Professionalisierung macht auch vor den Betriebsräten nicht halt. Gefragt sind tragfähige Unterstützungsstrukturen: ExpertInnen im Unternehmen, Kooperation mit Gewerkschaften und Arbeiterkammern, die Pflege von Betriebsratsnetzwerken und vermutlich auch die Suche nach Verbündeten bei der lokalen Geschäftsführung oder dem/der einen oder anderen KapitalvertreterIn im Aufsichtsrat bilden die entsprechende Basis. Beim Erwerb von notwendigem Know-how für die verantwortungsvolle Aufgabe unterstützen Arbeiterkammer und ÖGB im Rahmen ihres weitreichenden IFAM Seminar- und Weiterbildungsangebots. Spezifische Veranstaltungen und ein umfangreiches Angebot an Büchern und Skripten speziell für Betriebsräte runden das Angebot ab. In der Praxis bewährt sich besonders das Beratungsangebot der Arbeiterkammer, BetriebsrätInnen spezifisch für bevorstehende Aufsichtsratssitzungen im Rahmen des AK-Beratungsangebots etwa durch Analyse von Jahresabschlüssen oder Unterstützung bei gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen vorzubereiten.

Mitbestimmung als Erfolgsfaktor

Die Nominierung von BetriebsrätInnen in den Aufsichtsrat und damit die wirtschaftliche Mitbestimmung wurde 1919 gesetzlich verankert und ist ein maßgeblicher sozialer Meilenstein in der Corporate Governance. Denn Mitbestimmung trägt positiv zum Unternehmenserfolg bei und bereichert das Aufsichtsratsgremium mit einer unternehmensinternen, praktischen Perspektive aus Sicht der arbeitenden Menschen in der Organisation. Der deutsche Mitbestimmungsindex zeigt zum Beispiel, dass Unternehmen mit ArbeitnehmervertreterInnen im Aufsichtsrat innovativer sind, nachhaltiger wirtschaften und eine harmonischere Organisationskultur haben. Dabei ist die betriebliche Mitbestimmung im Aufsichtsrat keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Viele europäische Länder haben überhaupt keine Regelungen der Miteinbeziehung auf Board-Level und auch im deutschsprachigen Raum wird oft versucht, die Mitbestimmung zu schwächen. Dabei ist es durchaus im Interesse von ManagerInnen, dass die Belegschaft aktiv einbezogen wird. Eine Studie der europäischen Stiftung Eurofound zeigt dies eindrucksvoll: Österreichische ManagerInnen vertrauen ihren Betriebsräten in 95 Prozent der Fälle, und sie wissen, dass das Engagement für das Unternehmen durch Partizipation der Beschäftigten steigt.

IFAM – Institut für Aufsichtsrats-Mitbestimmung

Von
Heinz Leitsmüller und Simon Schumich
Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/18.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
Heinz.Leitsmüller@akwien.at
Simon.schumich@akwien.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Inhalt

  1. Seite 1 - Professionalisierung
  2. Seite 2 - Mitbestimmung als Erfolgsfaktor
  3. Auf einer Seite lesen >

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.