An der EU-Außengrenze: „Ich werde es immer wieder versuchen“

Seit über zehn Jahren machen sich Geflüchtete auf den Weg und versuchen, über die Balkanroute in die EU zu gelangen. So auch Padam aus Indien. | © Dennis Miskić
Seit über zehn Jahren machen sich Geflüchtete auf den Weg und versuchen, über die Balkanroute in die EU zu gelangen. So auch Padam aus Indien. | © Dennis Miskić
Die Balkanroute ist für viele Geflüchtete ein langer, gefährlicher Weg in die EU. In Bihać, im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas, erzählen zwei von ihnen von Rückschlägen, Strapazen – und dem starken Willen, ein neues Leben zu beginnen.

Seit über zehn Jahren machen sich Geflüchtete auf den Weg und versuchen, über die Balkanroute in die EU zu gelangen. Aufgrund der restriktiven europäischen Grenzpolitik stranden sie oft monatelang an der EU-Außengrenze. Erst nach mehreren Anläufen gelingt manchen der Übertritt nach Kroatien, sodass sie in der EU Asyl beantragen können. Arbeit&Wirtschaft hat mit zwei Geflüchteten an der EU-Außengrenze in Bihać, im Nordwesten von Bosnien und Herzegowina, gesprochen.

Die Balkanroute

Für Menschen aus Afrika, dem Nahen Osten und Afghanistan ist die Balkanroute als südöstliche EU-Außengrenze oft die beste Option, um in die EU zu gelangen. Die meisten von ihnen kommen über die Türkei nach Griechenland und reisen dann weiter nach Nordmazedonien, Kosovo und Serbien. Von dort aus geht es entweder nach Ungarn oder über Bosnien-Herzegowina nach Kroatien weiter in die EU. Im Fluchtjahr 2015 kamen auf diesem Weg etwa 1,5 Millionen Menschen in die EU. Allein im Herbst waren es bis zu 200.000 Menschen pro Monat. Mittlerweile sind die Schleppernetzwerke auf dieser Route bestens organisiert und wissen genau, zu welcher Zeit welche Grenzen überquert werden können.

„Ich werde es immer wieder versuchen“

„Zuhause in Mogadischu, der Hauptstadt von Somalia, hatte ich eigentlich eine wichtige Position inne: Ich arbeitete als Berater für den Innenminister und für das Staatshaus, dem offiziellen Sitz des Staatsoberhauptes. Ich mochte meinen Job, denn er ermöglichte mir ein gutes Leben. Aber in Somalia wurde es immer gefährlicher: Überall gab es Probleme, islamistische Gruppen wurden immer aktiver, und damit waren Bombenanschläge an der Tagesordnung. Die wirtschaftliche Lage wurde auch immer schlechter. Meine Familie sah meine Verzweiflung und riet mir, ein anderes Land zu suchen, um mein Leben zu schützen und mir eine bessere Zukunft aufzubauen.

Die Reise war unglaublich hart. Zuerst ging es mit dem Flugzeug in die Türkei, dann mit dem Boot nach Griechenland. Von dort aus gelangte ich über Serbien nach Bosnien – zu Fuß, gelegentlich wurde ich ein Stück mit dem Auto Autos mitgenommen. Nach mehreren Tagen auf Reisen tun die Füße höllisch weh. Manchmal war es so anstrengend, dass ich wütend wurde, aber der Gedanke an meine Zukunft in Europa hielt mich auf Trab. So eine Reise muss man selbst erlebt haben, um zu verstehen, wie schwer sie wirklich ist.

Jetzt bin ich seit etwa einem Monat in Bihać, im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas an der Grenze zu Kroatien. Mein Leben hier ist recht gut, ich komme nach der langen, beschwerlichen Reise im Flüchtlingslager Lipa endlich mal zur Ruhe und kann ausreichend essen. Die Menschen hier in Bosnien sind wirklich besonders. Sie sind sehr bescheiden, immer hilfsbereit und haben mich gut aufgenommen. Hier fühle ich mich wohl. Ich hoffe, meine Freund:innen hier eines Tages wieder besuchen zu können. Mein Ziel ist aber Frankreich, dort glaube ich, ein gutes Leben aufbauen zu können, um dann meine Familie nachzuholen.

Ich denke ständig daran, die Grenze zu überqueren. Mein Ziel ist Frankreich, weil ich dort schon Kontakte habe und glaube, eine Arbeit zu finden. Dreimal habe ich es schon versucht, aber jedes Mal hat mich die kroatische Polizei zurückgeschickt. Ich kann nicht wirklich sagen, wann mein nächster Versuch sein wird – vielleicht in ein paar Tagen, vielleicht nächste Woche, vielleicht morgen. Einige meiner Freund:innen aus Somalia leben bereits in Paris, sie haben auch schon Jobs. Wenn ich dann in Frankreich bin, möchte ich schnell eine Arbeit finden, vielleicht in einem Büro. Meine Familie bleibt aber meine größte Priorität, ich möchte sie so schnell wie möglich bei mir haben.“

Sofi*, 35 (Name wurde geändert)

„Sie haben mich zwei Tage lang festgehalten“

Ich komme aus Nepal. Dort hatte ich ein Geschäft, einen Marktstand, in dem ich T-Shirts und Schuhe verkaufte. Aber das Leben dort wurde zunehmend schwieriger. Schon durch den Tsunami 2021 und auch durch die Corona-Pandemie verlor ich sehr viel Geld und musste Kredite aufnehmen. Irgendwann sah ich keine Perspektive mehr und verließ Nepal.

Meine Reise war lang und kompliziert. Zuerst kam ich mit einem Visum nach Rumänien, wo ich zweieinhalb Jahre gearbeitet habe. Danach ging es weiter nach Griechenland, wo ich ebenfalls acht Monate lang gearbeitet habe. Von dort kam ich dann nach Bosnien-Herzegowina. Das Leben für uns Geflüchtete ist hier sogar recht gut, obwohl ich im Moment wenig Geld habe. Eine Zeit lang habe ich hier als Küchenhilfe in einem Hotel gearbeitet, die Saison ist nun vorbei und jetzt suche ich eine neue Stelle.

Auf meinem Weg nach Bihać habe ich eine furchtbare Erfahrung gemacht. Unweit von Velika Kladuša, etwa 50 Kilometer von Bihać, wurde ich mehrere Tage von einer kriminellen Bande im Wald festgehalten. Ich war mit einer Gruppe von 18 Leuten unterwegs. Die Täter verlangten Lösegeld und drohten, uns zu töten, wenn wir nicht zahlen würden. Ich hatte kein Geld und habe ihnen gesagt, dass sie mich doch erschießen sollen.

Zwei Tage lang hielten sie uns ohne Wasser fest, bis die anderen das Geld bezahlt haben. Dafür riefen sie bei einigen der Gefangenen die Familien in der Heimat an und erzwangen so die Überweisung. Hinter dieser Tat steckt eine kriminelle Bande namens BWK, die seit einigen Jahren hier in Bosnien aktiv ist und Geflüchtete verschleppt. Ich habe Fotos von drei der Mafia-Mitglieder gemacht und zur Polizei gebracht. Mithilfe meiner Bilder und meiner Aussage hat die Polizei die drei Männer gefasst. Sie wurden zu drei Jahren Haft verurteilt. Das ist ein kleiner Trost für das, was sie uns angetan haben.

Mein Ziel bleibt weiterhin die EU, weil ich glaube, dort ein gutes Leben führen zu können. Das heißt für mich vor allem, einen sicheren Job zu haben. Die meisten meiner Freunde haben es inzwischen geschafft. Sie sind in Italien, Deutschland, Frankreich, manche in Spanien. Nur ich bin noch hier in Bosnien. Vorerst will ich hier Arbeit finden, Geld sparen und dann meinen Weg in die EU finden. Allmählich verzweifle ich aber schon etwas.

Padam, 42 aus Nepal

Ob Bosnien-Herzegowina den EU-Beitritt schafft, hängt von den nächsten 5 Jahren ab, sagt Christian Schmidt, Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina. Aber was muss sich für bosnische Arbeitnehmer ändern?

Von @margarethakopeinig.bsky.social👇

[image or embed]

— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 18. Oktober 2025 um 10:00

Diese Recherche wurde finanziell von courage2030 unterstützt.

Weiterführende Artikel

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder.
Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten für den Zweck der Versendung und Verwaltung des Newsletters sowie des Gewinnspiels zu. Diese Zustimmung kann jederzeit widerrufen werden. Details dazu finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Über den/die Autor:in

Dennis Miskić

Dennis Miskić ist freier Journalist aus Wien. Er schreibt vor allem über Politik, Rechtsextremismus und Zivilgesellschaft in (Süd-)Osteuropa.

Foto: © Zoe Opratko

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.