Wie sich Buchhandlungen wie die FAKTory neu erfinden

Buchhändler Manfred Arthaber von der FAKTory erzählt, wie sich Buchhandlungen immer neu erfinden müssen. | © Markus Zahradnik
Buchhändler Manfred Arthaber von der FAKTory erzählt, wie sich Buchhandlungen immer neu erfinden müssen. | © Markus Zahradnik
Um gegen die übermächtige Online-Konkurrenz zu bestehen, erfinden sich Buchhandlungen neu: Die FAKTory, eine Kooperation von Arbeiterkammer Wien und ÖGB-Verlag, versucht das mit einer Kombination aus arbeitsrechtlicher Beratung, konsumfreier Zone und Kaffee-Eck. Die Zielgruppe: Studierende.

Die Buchhandlung FAKTory in der Universitätsstraße 9 im ersten Wiener Gemeindebezirk neben dem Neuen Institutsgebäude (NIG) ist mehr Begegnungszone als klassisches Geschäftslokal: Ein groß gewachsener Mitzwanziger schlendert an den Bücherregalen vorbei, setzt sich an einen Tisch in der Ecke mit Kaffee-Theke, klappt den Laptop auf und fängt an zu lernen. Bald darauf gesellt sich ein Freund zu ihm. Am Nebentisch unterhalten sich Frauen mittleren Alters.

Wer Lesestoff sucht, findet hier neben Fachliteratur, Romanen, Serviceratgebern und Kinderbüchern auch linke Klassiker wie „Das Kapital“ von Karl Marx (modernisierte Version). Manfred Arthaber, seit über 20 Jahren Leiter des Geschäfts und seit 1982 in der Buchbranche tätig, begegnet hier selbst vielen Menschen. „Servus!“, grüßt er immer wieder in Richtung von Kund:innen – und der Schmäh rennt. Arthaber hat hier schon einiges erlebt: 2020 wären die Türen der FAKTory fast für immer zugegangen, die Bücherkisten verschwunden, das Geplauder wäre beinahe verstummt. An diesem Frühlingstag blüht der Laden aber in all seiner Buntheit auf.

In der Kostenfalle

Auch wenn der Gesamtumsatz im Buchhandel 2024 im Vergleich zum Vorjahr leicht stieg – insgesamt um 4,7 Prozent, der stationäre Buchhandel allein um 5 Prozent: Spätestens seit Corona stehen Buchhandlungen vor gewaltigen Herausforderungen. Die Zeit der Lockdowns haben viele nicht überlebt. Hinzu kommen die Teuerungen, die Digitalisierung und das veränderte Konsumverhalten, berichtet auch Buchhändler Arthaber. Ein größeres Problem brächten der Buchpreis und die gestiegenen Kosten für Buchhandlungen in den vergangenen Jahren, von Mieten bis Personalkosten. Buchpreise sind gesetzlich gebunden, das heißt, Verlage schreiben vor, wie viel ein Buch mindestens kostet. Buchhandlungen dürfen das nicht unterschreiten. Aber eigentlich müssten die Preise höher sein. „Denn sie sind bei Weitem nicht so gestiegen wie die Inflationsrate“, sagt Arthaber. „Du bekommst immer noch ein Taschenbuch um 10,30 Euro. In der Wiener Innenstadt zahlst du damit nicht einmal zwei Kaffees.“

Arthaber ist Buchhändler mit Leib und Seele. Das System kranke, und man spürt, dass ihn das trifft. Erschwerend komme hinzu, erklärt er, dass der heimische Buchmarkt stark mit dem deutschen verwoben ist. Viele Werke erscheinen im Nachbarland. Dadurch, dass die Mehrwertsteuer auf Bücher in Deutschland niedriger ist, sind die Endkund:innenpreise für dieselben Werke in Österreich höher. Hoffnung könnte die neue Regierung bringen. Laut Regierungsprogramm soll die derzeit bei 10 Prozent liegende Mehrwertsteuer auf Bücher – laut Hauptverband des Österreichischen Buchhandels einer der höchsten Mehrwertsteuersätze in der Europäischen Union – gesenkt werden.

Wir wollen nicht Amazon sein.
Der FAKTory-Onlineshop bietet eine von,
echten Menschen kuratierte Auswahl,
die jenseits von Algorithmen inspiriert. 

Manfred Arthaber, Buchhändler

David gegen Goliath

Dann wären da noch Amazon und Co. Wenn Arthaber über sie spricht, kommt der kämpferische, linke, kritische Buchhändler voll und ganz zur Geltung. Mittlerweile, so der gebürtige Wiener mit Wurzeln im Seewinkel im Burgenland, sei es der Großteil der Bevölkerung gewohnt, auf einen Klick Bücher bestellen zu können – und sie am nächsten Tag im Postkasten zu haben.

Auch wenn sich viele Buchhandlungen in den vergangenen Jahren nicht zuletzt online modernisiert haben und flexibel auf Nachfragen von Kund:innen reagieren, bleibt es doch ein Kampf von David gegen Goliath: „Bei uns arbeiten zehn Menschen, wir haben sechs Vollzeitäquivalente und natürlich nur einen winzigen Bruchteil des Marketingbudgets der internationalen Konkurrenz wie Amazon. Da können wir nicht mithalten“, betont Arthaber. „Blöderweise werden wir trotzdem in manchen Bereichen, etwa was die Funktionalitäten im Web betrifft, mit den Großkonzernen verglichen.“ Dabei ist klar, was die Konzernkonkurrenz wiederum nicht kann: „Wir wollen nicht Amazon sein. Der FAKTory-Onlineshop bietet neben der Möglichkeit, alle lieferbaren Bücher zu bestellen, eine von echten Buchmenschen kuratierte Auswahl, die jenseits von Algorithmen inspiriert.“

Abgesang und Solidarität

Seine Erfahrung hilft Arthaber, die FAKTory durch die unruhigen Gewässer des 21. Jahrhunderts zu führen. Angefangen hat er als 15-jähriger Lehrling bei Freytag & Berndt, einem Verlag mit Sitz in Wien, der sich auf Karten und Stadtpläne spezialisiert hat. Leidenschaft für Lesestoff und Berufung vermittelt Arthaber dabei auch nach über 40 Jahren im Business. Leuchtende Augen bekommt er, wenn er über die Solidarität spricht, die die Buchhandlung in ihrer schwersten Stunde erfahren hat. 2021 hätte die ÖGB-Buchhandlung, wie das Geschäft damals hieß, fast schließen müssen.

Finanzielle Altlasten trafen auf die Lockdowns der Pandemiezeit. Jahrelang verschwand die FAKTory zudem hinter riesigen Baustellen – samt Lärm: Der Standort ist nicht nur direkt neben einer U-Bahn-Baustelle, auch die Universitätsstraße wurde neu gestaltet. Schon im Dezember 2020 schrieb die Journalistin Nina Horaczek in der Wochenzeitung „Falter“ ein Loblied – und einen Abgesang: „Die Stadt verliert mit der ÖGB-Buchhandlung eine linke Institution. […] ORF-Nahostkorrespondent Karim El-Gawhary hat dort ebenso seine Bücher präsentiert wie der linke Publizist Robert Misik, es gab Podiumsdiskussionen und pro Jahr um die 30 verschiedene Veranstaltungen“, schrieb Horaczek damals im Artikel. Das drohende Ende mobilisierte Fans des Geschäfts: Mehrere Tausend unterschrieben eine Petition, eine Mahnwache vor der Buchhandlung wurde abgehalten, erinnert sich Arthaber. Der beliebte Ort müsse bleiben, als Bildungs-Hotspot und gesellschaftspolitischer Treffpunkt, so die Forderung der Unterstützer:innen.

Der leidenschaftliche Buchhändler setzt auf Empfehlungen und persönliche Beratung. | © Markus Zahradnik
Der leidenschaftliche Buchhändler setzt auf Empfehlungen und persönliche Beratung. | © Markus Zahradnik

Renaissance

Ein Neustart mit der Arbeiterkammer Wien vor zwei Jahren machte das dann schließlich möglich. Seitdem bietet die AK am Standort Arbeitsrechtsberatung für Studierende an, und zwar dienstags und donnerstags von 9 bis 17 Uhr durch AK-Jurist:innen. Der Bedarf ist groß, das zeigen steigende Besucher:innenzahlen bei Veranstaltungen und bei der Lern-Lounge sowie eine hohe Nachfrage nach Beratungsslots. Die FAKTory trifft die Bedürfnisse der Studierenden, der Druck an den Universitäten und in den Jobs steigt. Gemeinsame Veranstaltungen mit der AK Wien gibt es seitdem verstärkt, zwei bis drei pro Woche waren es 2024, von der klassischen Buchvorstellung über Podiumsdiskussionen bis hin zu „How to Praktikum“. Weiterhin werden politisch interessierte Buchliebhaber:innen und Arbeitnehmervertreter:innen angesprochen.

Buchhandlungen, die verschiedene Segmente vereinen und einen Mehrwert bieten: Das ist ein Konzept, auf das immer mehr setzen. Das „Phil“ in der Gumpendorfer Straße im sechsten Bezirk ist in Wien diesbezüglich schon ein Klassiker zwischen Buch, Kaffee, Lesungen und auch gleich „Bobo“-Brunch. Neuere kamen hinzu, wie etwa „Hafi Books + Coffee“ nahe der U4-Station Kettenbrückengasse. In allen Fällen sind es Geschäfte, die Alternativangebote schaffen wollen für ganz konkrete Zielgruppen: bewusst einkaufende Konsument:innen, die auf persönliche Beratung setzen und unabhängige Buchhandlungen gegen die internationale Konzernkonkurrenz stärken wollen, im Fall der FAKTory neben den Studierenden auch jene, die sich über Arbeitsrecht und mehr informieren wollen.

Dazu kommen neue Trends, die Menschen zum Lesen inspirieren: etwa der Buchhype „BookTok“ auf der Social-Media-Plattform TikTok: Influencer:innen inszenieren sich dabei mit Büchern – bewusst mit der Wertigkeit eines Printproduktes im Fokus. BookTok pushte lange vor allem Fantasy-, Young-Adult- und New-Romance-Bücher – und inspirierte dadurch jüngere Zielgruppen. Hilft das? „Schon“, meint Arthaber. Er beobachte, dass vor allem junge Frauen zum Lesen motiviert würden. Generell seien Frauen die deutlich verlässlichere Zielgruppe als Männer. Arthaber selbst verschlinge aber im Durchschnitt ein Buch pro Woche.

Das Buch lebt

Und welche Bücher empfiehlt der Buchhändler unseres Vertrauens den Leser:innen von Arbeit&Wirtschaft? Arthaber kramt kurz in seinem Laden und kommt mit drei Werken zurück: Zuerst legt er „Ausbeutung auf Bestellung“ von Johannes Greß, seines Zeichens auch A&W-Autor, auf den Tisch. Auch die zweite Empfehlung hat eine Verbindung zu unserem Magazin: „Die scheiß 80er-Jahre“ von Michael Mazohl, der mehrere Jahre lang Chefredakteur von Arbeit&Wirtschaft war.

„Wieso gibt es einen so großen prekären Sektor in Österreich, wenn man so oft vom Sozialstaat, vom Wohlfahrtsstaat, starken Gewerkschaften und 98% Kollektivvertragsabdeckung spricht?“

Fragt sich @johannes-gress.at in seiner Lesung „Ausbeutung auf Bestellung” – jetzt nachzuhören im #mosaik-Podcast!

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— mosaik (@mosaikblog.bsky.social) 15. Mai 2025 um 10:48

Und das dritte Buch schlägt eine Brücke zu Arthabers familiären Wurzeln: „Nincshof“ von Johanna Sebauer, das im Schilf des Neusiedler Sees spielt. Wollte der Buchliebhaber jemals selbst ein Buch schreiben? „Oh ja, ich hab sogar den Titel schon im Kopf“, antwortet Arthaber und lächelt verschmitzt. Erste Recherchen und Ideen für den Einstieg und das Ende hat er schon parat. Dass das Buch als Medium bleiben wird, steht für ihn außer Frage: „Ab dem Zeitpunkt, als ich zu arbeiten begann, damals im Jahr 1982, wurde dem Buch immer wieder der Tod vorausgesagt, das erste Mal, als die CD-ROMs auftauchten. Mittlerweile sind diese verschwunden, und die Bücher gibt’s immer noch.“

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Richard Solder

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