Letzter Ausweg: Warum Mütter den Journalismus verlassen

Viele Mütter im Journalismus stehen vor einer Belastungsprobe und wählen den Ausstieg. | © Adobe Stock/maxbelchenko
Viele Mütter im Journalismus stehen vor einer Belastungsprobe und wählen den Ausstieg. | © Adobe Stock/maxbelchenko
Der Journalismus hat ein Problem: Immer mehr Mütter steigen nach der Geburt ihrer Kinder aus dem Beruf aus. In einer Branche, die ohnehin Nachwuchssorgen hat, ist diese Entwicklung fatal.
Elisabeth Hahn* hat den Journalismus geliebt. 15 Jahre lang. Sie erzählt von Nächten und Wochenenden in der Redaktion, von kreativer Recherche, von Geschichten, die unter die Haut gingen. Kein Tag wie der andere. Doch dann kam das erste Kind, ein paar Jahre später das zweite. „Schon während der Schwangerschaft spürte ich unterschwellig: Jetzt gilt man eher als ‚Problemfall‘“, sagt Elisabeth Hahn. „Teilzeit war natürlich möglich, aber nicht wirklich willkommen.“

Die Arbeit wurde komplizierter. Dienste an Wochenenden, Feiertagen, Abendtermine – mit Kindern wurde das zum Drahtseilakt. „Um den Alltag überhaupt organisieren zu können, suchte ich mir ein Ressort mit möglichst planbaren Dienstzeiten. Doch selbst damit war es jedes Mal eine enorme Herausforderung, wenn die Kinder krank waren, erzählt Hahn. “Mein Mann musste oft am Wochenende einspringen, gemeinsame Zeit war selten. Ohne die Unterstützung der Großeltern hätten wir es nicht geschafft.”

Schließlich zog sie die Reißleine. Heute ist Hahn in der Öffentlichkeitsarbeit eines großen Unternehmens tätig, 36 Stunden, geregelte Zeiten. „Diese Planbarkeit hatte ich im Journalismus nie. Ob sie ihre alte Arbeit vermisst? „Erstaunlich wenig. Der Brennfaktor für den Journalismus ist weg.

Strukturelles Problem

Hahn ist kein Einzelfall. Mütter wie sie verlassen die Branche nicht, weil sie keine Lust mehr auf Journalismus haben, sondern weil die Bedingungen unvereinbar mit Familienleben sind. Die Journalistinnen Corinna Cerruti und Tamara Keller haben das Thema in ihrer Studie „Störfaktor Kind“, herausgegeben vom Netzwerk Recherche, untersucht. In 28 Interviews mit Journalistinnen und Journalisten aus Deutschland und Österreich stellen sie die Frage, warum sich Beruf und Familie im Journalismus nicht gut vereinbaren lassen. 

„Der Journalismus – so scheint es – ist aufgrund seiner starren Strukturen, hohen Anforderungen an Flexibilität und einer ‚Überstundenkultur‘ anfällig für Diskriminierung von Journalist:innen mit Kindern“, heißt es in dem Report. „Wer ein Kind bekommt oder eine Familie gründen will, steht oft vor massiven Hürden.“ Die strukturelle Diskriminierung betreffe zwar Mütter wie Väter – allerdings nicht in gleichem Maße, so die Autorinnen weiter.

„Journalismus hat zwei Kulturen: Die eine ist die Präsenzkultur und die andere ist eine Kultur der Selbstausbeutung. Wenn diese beiden Kulturen mit der Familiengründung kollidieren, dann wird’s schwierig.“

Den ganzen Report zu der Recherche von @loegli.bsky.social und mir hier: nrch.de/gr3

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— Corinna Cerruti (@corinnacerruti.bsky.social) 6. März 2025 um 12:04

„Männer übernehmen deutlich häufiger leitende redaktionelle Positionen, während Frauen sich stärker zwischen Erwerbs- und Care-Arbeit aufreiben. Für viele bedeutet das in letzter Konsequenz den Ausstieg aus dem Journalismus, schreiben die Autorinnen weiter. „Das Problem ist, dass in den Entscheiderpositionen diejenigen sitzen, die nach einem alten Familienmodell gelebt haben: Die Frau bleibt zu Hause und kümmert sich ums Kind“, wird eine der befragten Personen in dem Report zitiert. Dadurch gebe es zu wenig Verständnis in den Chef-Etagen.

Wenn der Druck plötzlich wegfällt

Auch Daniela Moser* hat den Journalist:innen-Beruf verlassen. Was sie gehalten hat, war nie die Sicherheit – sondern der Reiz, dass kein Tag dem anderen gleicht. „Ich habe auch durchaus gerne an Wochenenden gearbeitet. Die waren früher angenehm, man hat gut verdient, es war etwas weniger los. Aber wenn du Familie hast, ist das schwierig. Je älter die Kinder werden, desto mehr bleibt einem nur das Wochenende als Familie.“

Die ersten Zweifel an ihrem Beruf hatte sie schon im Mutterschutz bei ihrer ersten Schwangerschaft. „Der Druck fiel mir erst auf, als er plötzlich weg war.“ In der Karenz merkte sie, wie gut es tut, mal nicht ständig online zu sein. Keine E-Mail-Flut, keine Dauerkrisen, kein Alarmmodus. „Ich hatte mich eigentlich bis zur Pension dort gesehen. Aber diese Idee war auf einmal völlig weg.“ Noch während ihrer Karenz startete sie eine Ausbildung zur Elementarpädagogin. 

Ich hatte mich eigentlich bis zur Pension dort gesehen.
Aber diese Idee war auf einmal völlig weg. 

Daniela Moser, ehemalige Journalistin

Klare Grenzen

Es gibt auch Gegenbeispiele. Gudrun Schaffhauser-List ist seit über 20 Jahren Redakteurin bei der Kleinen Zeitung. Ihre beiden Söhne sind mittlerweile Teenager, sie arbeitet wieder Vollzeit. Als 2007 ihr erstes Kind kam, kehrte sie nach einem Jahr Karenz zurück – mit 20 Stunden Teilzeit. Vor allem die fixen Dienstpläne im Digitalteam erwiesen sich als hilfreich. Denn entgegen der allgemeinen Intuition ist es im Journalismus oft der geregelte Schichtbetrieb, der den Alltag für Eltern leichter macht. Frühdienste beginnen um 5.30 oder 7 Uhr, Tagdienste enden am frühen Abend – ganz ohne Überstunden. Man arbeitet konzentriert seine Zeit ab, muss nachher keine Mails mehr beantworten, nimmt keine Arbeit mit“, fasst es Schaffhauser-List zusammen. 

In anderen Ressorts desselben Hauses, in denen Dienstzeiten weniger streng geregelt sind, berichten Redakteur:innen weiterhin von entgrenzter Arbeitszeit und hohem Druck. Das funktioniert aber nur, weil wenige Kolleg:innen in diesen Ressorts Kinder haben“, sagt Schaffhauser-List. Vor allem in den Führungsetagen sieht die Journalistin Luft nach oben. Viele Entscheider sind männlich, 55 plus, aus einer Generation, die immer 120 Prozent verfügbar war. Hier wird vieles nicht mitgedacht, dass etwa Meetings um 17 Uhr für Eltern schwierig sind. Da gibt es noch immer kein Umdenken.“

Wenn Vereinbarkeit von Beruf und Familie Nachrang hat

Colette Schmidt, Stellvertretende Vorsitzende in der Journalist:innen-Gewerkschaft (GPA) und Patricia Haller, Frauenbeauftragte der GPA, bestätigen das Bild: In vielen Medienunternehmen sind Männer und leider auch Frauen an entscheidenden Führungsstellen, für die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Nachrang hat“, erklären die beiden in einem Statement gegenüber Arbeit&Wirtschaft. Zudem habe die Digitalisierung zur Entgrenzung der Arbeit geführt und die Erwartung an Flexibilität stark erhöht. 

Die Gewerkschaft fordert konkrete Schritte: verlässlich planbare Arbeitszeiten, kürzere Schichtdienste von sechs statt acht Stunden, geteilte Führungspositionen und mehr Teamarbeit, damit Recherchen auf mehrere Personen aufgeteilt werden können. Auch Unterstützungsangebote wie Betriebskindergärten oder Zuschüsse fürs Babysitting seien notwendig, um etwa Abendtermine wahrnehmen zu können. „Das setzt voraus, dass Verlage in die Personalentwicklung investieren und von hierarchischen Modellen der Führungskultur abgehen“, so Haller und Schmidt. „Schon beim Anforderungsprofil einer leitenden Rolle, sollten Verlage das positive Bekenntnis zur Vereinbarkeit verlangen, sodass dem Thema von vornherein positiv begegnet wird.“

*Name geändert 

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Über den/die Autor:in

Ljubisa Buzic

Ljubisa Buzic ist freier Journalist in Kärnten und Wien. In seinen Texten für Online- und Printmedien beschäftigt er sich mit Gesellschaft, psychischer Gesundheit, Familie und der Arbeitswelt.

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