EuGH stärkt Diskriminierungsschutz von Menschen mit Behinderung

Der EuGh stärkt für Menschen mit Behinderung den Kündigungsschutz.
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Ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stärkt den Schutz von Arbeitnehmer:innen mit Behinderung vor diskriminierenden Beendigungen des Arbeitsverhältnisses. Bereits in der Probezeit soll ein erweiterter Schutz am Arbeitsplatz bestehen und so mehr Sicherheit garantiert werden.
Die Mehrzahl aller Behinderungen entwickeln sich über ein Leben hinweg und sind nicht angeboren. Das stellte auch ein belgischer Facharbeiter der staatlichen Eisenbahngesellschaft fest. Er hatte eine Stelle als Gleisfacharbeiter und erlitt in der Probezeit schwere Herzprobleme. Bei einer Operation setzten ihm Ärzte einen Herzschrittmacher ein. Den elektromagnetischen Feldern, die in seinem Berufsbereich gängig sind, konnte er sich allerdings danach nicht mehr länger aussetzen.

Nach Herzanfall gekündigt: Behinderte Menschen brauchen besseren Schutz

Dem Facharbeiter wurde die Behinderung zuerkannt. Die Bahngesellschaft versetzte ihn in der Folge in ein Lager, damit er dort weiter einen Beruf ausüben konnte. Jedoch kündigte ihn das Unternehmen nur drei Monate später. In der Begründung heißt es, dass er die ihm aufgetragenen Tätigkeiten nicht erfüllen könne. So die Ausgangssituation. Der Arbeiter akzeptierte diese Kündigung nicht und klagte dagegen. Sein Fall zog sich über die Instanzen bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Der EuGh stärkt für Menschen mit Behinderung den Kündigungsschutz.
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Und er bekam Recht. Das Unternehmen hatte ihn zu Unrecht gekündigt. Die Bahn hatte nicht die nötigen Anstrengungen unternommen, um für ihn einen geeigneteren Posten zu finden. Es geht in dem Urteil nicht darum, dass Unternehmen neue Positionen aus dem Boden stampfen müssen. Vielmehr sollen Firmen prüfen, ob eine aktuell freie Stelle durch diese Person besetzt werden kann, wenn sie die geforderten Fähigkeiten und Kompetenzen mitbringt.

„Die EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie beziehungsweise das Behinderteneinstellungsgesetz verpflichten Arbeitgeber:innen zu angemessenen Vorkehrungsmaßnahmen, um Arbeitnehmer:innen mit Behinderungen den Zugang zur Beschäftigung und die Ausübung des Berufes zu ermöglichen. Diese Verpflichtung hat nun zur Folge, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen bestehender Leistungseinschränkungen aufgrund einer Behinderung, dann jedenfalls eine unzulässige Diskriminierung darstellt, wenn der:die Arbeitgeber:in nicht zuvor ihm:ihr zumutbare Vorkehrungsmaßnahmen prüft und ergreift, um die Arbeitsumgebung des:der Arbeitnehmers:in anzupassen und das Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten“, sagt Martina Chlestil, Juristin der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien, im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft.

Urteil des EuGH erzeugt mehr Gleichberechtigung für Menschen mit Behinderung

Das EuGH-Urteil hat einiges geändert. Denn der erweiterte Kündigungsschutz tritt mit dem ersten Tag der Betriebszugehörigkeit in Kraft. Der Fall in Belgien hat daher möglicherweise auch Auswirkungen auf den österreichischen Arbeitsmarkt. Die Frage ist jedoch, ob dadurch ein möglicher Bumerang-Effekt entsteht. Ob also Unternehmen aufgrund dieses erhöhten Schutzes zukünftig eher vorsichtiger sind, wenn sie Menschen mit Behinderungen anstellen. Was natürlich das genaue Gegenteil von dem wäre, was der EuGH mit seinem Urteil beabsichtigt.

„Ich meine, dass man sich wegen des Urteils nicht fürchten braucht und dass es für mehr Gleichstellung bzw Klarheit sorgt“, meint Chlestil. In der EU gilt die Richtlinie 2008/78/EG. Sie sichert die Gleichbehandlung in Beschäftigung am Arbeitsplatz. In Österreich regelt das Behindertengleichstellungspaket aus dem Jahr 2006 den Arbeitsschutz von Menschen mit Behinderungen. Zusätzlich gibt es eine Schlichtungsstelle. Chlestil: „Der EuGH führt unter Verweis auf die EU-Richtlinie aus, wie angemessene Vorkehrungen getroffen werden können, zum Beispiel durch eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten, eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, durch Anbot einer Ausbildungs- oder Einarbeitungsmaßnahme oder eben durch Verwendung des betroffenen Arbeitnehmers an einem anderen Arbeitsplatz. Es sind jene Maßnahmen zu ergreifen, das sagt auch der EuGH, die dem:der Arbeitgeber:in auch zumutbar sind.“

Österreich: Besonderer Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung

„Einen besonderen Kündigungsschutz haben Arbeitnehmer:innen, die dem Kreis der begünstigten behinderten Personen angehören. Dieser Kündigungsschutz wird aber erst nach einer gewissen Dauer des Arbeitsverhältnisses wirksam und bedeutet, dass der:die Arbeitgeber:in vor Ausspruch einer Kündigung die Zustimmung einer bestimmten Stelle, nämlich des Behindertenausschusses, einholen muss. Die Arbeitnehmer:innen werden damit nicht unkündbar, sondern es soll nur verhindert werden, dass begünstigte behinderte Arbeitnehmer:innen in sozial ungerechtfertigter Weise gekündigt werden“, erklärt die Juristin weiter.

Oftmals gestaltet sich aber bereits die Arbeitssuche für Menschen mit Behinderung schwierig. Pro 25 Arbeitnehmer:innen in einem Unternehmen ist in Österreich ein:e begünstige behinderte Arbeitnehmer:in einzustellen. „Leider erfüllen die Arbeitgeber:innen ihre Beschäftigungspflicht selten zur Gänze und zahlen stattdessen die Ausgleichstaxe“, meint Chlestil., „Obwohl Arbeitgeber:innen bei der Beschäftigung von begünstigten behinderten Ar­beit­nehm­er:innen auch Förderungen beziehen und Steuerbegünstigungen in Anspruch nehmen können.“

Rund 26.000 Menschen sind, unter anderem aufgrund der Schwere ihrer Behinderung, in sogenannten Werkstätten tätig. Diese Einrichtungen werden von den Ländern angeboten. Problematisch ist, dass Menschen mit Behinderung oft sehr schnell als arbeitsunfähig gelten. Dann fallen sie nicht mehr in die Zuständigkeit des AMS. Stattdessen sind die Länder (Sozialhilfe) für sie zuständig. Die Tätigkeiten in den Werkstätten sind aber durchaus anspruchsvoll und werden auch von der Gesamtwirtschaft benötigt. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshof (OGH) sind Menschen mit Behinderungen in Werkstätten allerdings nicht als Arbeitnehmer:innen zu qualifizieren. Zwar sind sie seit dem Jahr 2011 zumindest unfallversichert, sie haben aber keine eigene Pensionsversicherung und Krankenversicherung und erhalten nur Taschengeld.“

Übergang auf den regulären Arbeitsmarkt erleichtern

„Nach Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention haben Menschen mit Behinderung das gleiche Recht auf Arbeit wie alle anderen Menschen. Die AK unterstützt daher die diesbezüglichen Forderungen der Vertretungen der Menschen mit Behinderungen – für Beschäftigte in Werkstätten (tagesstrukturierenden Einrichtungen) müssen endlich Verbesserungen erfolgen, sowohl in Hinblick auf eine eigenständige sozialversicherungsrechtliche Absicherung, als auch durch die Schaffung fairer Rahmenbedingungen inklusive einer fairen Bezahlung“, fordert Chlestil.

Nicht zuletzt muss die Durchlässigkeit von Werkstätten zum allgemeinen Arbeitsmarkt durch verstärkte Maßnahmen erhöht werden, verlangt die AK. Der Übergang muss leichter möglich sein, verlangt die AK. Eine aktuelle Umfrage der Caritas ergab, dass sich vier von zehn Personen, die in einer solchen Werkstätte arbeiten, einen Wechsel auf den regulären Arbeitsmarkt vorstellen können. „Voraussetzung dafür ist ein ausreichendes Angebot an Unterstützung. Und da gilt es, aus den Erfahrungen, die wir in unseren Werkstätten machen, zu lernen. Ankerpunkte wie menschliche Begleitung, ein hilfsbereites Umfeld und die Reduktion von Arbeits- und Zeitdruck sind hier auch die Gründe für die hohe Zufriedenheit von Menschen, die aktuell in Tagesstrukturen arbeiten“, sagt Michael Landau, Präsident der Caritas.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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