PCs für alle: Mit Schirm und LAN

Fotos (C) Markus Zahradnik
In Wien-Erdberg repariert der Verein „PCs für alle“ alte Computer und vergibt sie kostenlos an Schüler*innen. Dass das eigentlich nicht seine Aufgabe ist, weiß auch der Obmann – aber seit der Homeschooling-Verordnung steigt die Nachfrage unaufhörlich.
Kadim Anwar ruft schon laut „Danke“ in den Raum, da hat sie ihn noch nicht einmal richtig betreten. Das Strahlen auf ihrem Gesicht kann auch die Maske nicht verbergen. Die 43-jährige Witwe aus Wien-Döbling hat vier Söhne, drei davon im Homeschooling, der älteste macht sein Biomedizin-Studium im Distance-Learning. Für ihre Lernarbeiten teilen sich die vier Brüder zwei Laptops. Für mehr reicht es nicht, sagt Anwar.

Während des ersten Lockdowns hatten 16 Prozent der Schüler*innen hierzulande keinen Zugang zu PC oder Laptop, wie eine Studie der Fakultät für Psychologie der Universität Wien vom April 2020 zeigt. „Das war von Beginn an jedem klar, dass das ein Problem wird – nur unserer Regierung nicht“, kritisiert Peter Bernscherer. Er ist Obmann des Vereins „PCs für alle“ und seine Stimme wird immer dann lauter, die Sätze immer dann länger, wenn es darum geht, die Regierungsarbeit zu beurteilen. In einem ehemaligen SPÖ-Sektionslokal in Wien-Erdberg reparieren Bernscherer und rund zwanzig Freiwillige sieben Tage pro Woche gespendete Computer und vergeben sie kostenlos an bedürftige Familien.

Vor dem Start seiner IT-Ausbildung engagiert sich Philipp Ganzer, 17, beim Verein „PCs für alle“ – unbezahlt, aber mit Pizza und viel Freude.

Eigentlich war es Bernscherer allein, der 2018 in seinem Wohnzimmer begann, gebrauchte Computer zu reparieren und an Schüler*innen und Studierende zu vergeben, die sich einen solchen nicht leisten konnten. Seit Beginn der Pandemie, seit Homeschooling Usus und der Zugang zu einem Computer zum Muss wurde, „explodierte“ die Nachfrage, erzählt er. Im Mai gründete er daher den Verein „PCs für alle“, über 1.000 PCs und Laptops reparierten er und sein Team allein bis Jahresende. In den letzten Wochen werden es täglich mehr, teilweise mehr als 100 Stück pro Woche. Die Spenden kommen von Privatpersonen und Unternehmen und finden über den Verein ihren Weg zu Interessent*innen aus Wien und ganz Österreich.

In dem hell erleuchteten Vereinslokal stapeln sich seither die Geräte. In Kisten mit Aufschriften wie „LAN“, „VGA“, „eSATA“ oder „DDR2“ werden Einzelteile, Kabel und Anschlüsse fein säuberlich sortiert. Schrauben und Kleinteile kommen in die dafür vorgesehenen Schälchen. Zwischen das Surren eines Akku-Bohrers mischen sich Fachbegriffe, die die Vereinsmitglieder quer durch den Raum rufen. Ein älterer Herr gibt am Eingang einen PC ab: „Das ist eine super Sache, danke! Ich bin ohnehin froh, dass ich ihn los bin.“ Es wird keine zehn Minuten dauern, bis die nächste Spende kommt. „Und wieder zwei Laptops!“, ruft einer der Freiwilligen dann. Indes zeigt Bernscherer ein Dankesschreiben samt Foto in die Runde, das er gerade von einem Lehrer erhalten hat. „Der g’freid se an Hax’n aus“, freut sich auch Bernscherer. Im Hintergrund vermeldet eine Nachrichtensprecherin im Radio, dass der österreichische Nationalrat heute über einen Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) abstimmt. Keiner der im Raum Anwesenden hört zu.

Zu langsam, zu spät?

Nach dem Lockdown im Frühjahr sind Schulen hierzulande seit November entweder ganz geschlossen oder nur im Schichtbetrieb geöffnet. Für Eltern wie für Kinder eine herausfordernde Situation. Laut einer Arbeiterkammer-Sonderbefragung, der „Schulkostenstudie 2020“, die im Oktober mit über 2.000 Eltern mit rund 4.000 Schulkindern durchgeführt wurde, kommt derzeit jedes zehnte Kind nur schwer mit dem Lernstoff zurecht. Besonders betroffen sind Kinder aus Familien, in denen Geld, Zeit oder formale Bildung nicht ausreichen. „Kinder aus Familien, in denen Bildungsressourcen fehlen, sind vielfach auf sich allein gestellt“, kritisiert Elke Larcher, Referentin für Ganztagsschulen in der Abteilung Bildungspolitik der AK Wien. Eine solche Entwicklung öffne einem weiteren Auseinanderklaffen der Bildungsschere Tür und Tor.

Wir machen jedes Gerät startfertig für den normalen Schulgebrauch. 

Philipp Ganzer, „PCs für alle“

Im Juni vergangenen Jahres gab die türkis-grüne Regierung bekannt, Schüler*innen der 5. und 6. Schulstufe ab dem Schuljahr 2021/22 mit digitalen Endgeräten ausstatten zu wollen. Laut Larcher sei das „ein kleiner Schritt in die richtige Richtung“, allerdings einer, der bereits vor Ausbruch der Pandemie so im Koalitionsvertrag festgehalten wurde. „Dass diesbezüglich über den Sommer so wenig passiert ist, ist wirklich ärgerlich“, kritisiert die Expertin. Vor allem angesichts der Tatsache, dass Österreich im internationalen Vergleich in dieser Hinsicht ohnehin hinterherhinke.

In einem ehemaligen Sektionslokal in Wien-Erdberg reparieren die Vereinsmit- glieder sieben Tage pro Woche Computer.

Es sind Familien wie Kadim Anwar und ihre Söhne, die derlei Versäumnisse zu spüren bekommen. Während der älteste Sohn fast das gesamte Semester über im Distance-Learning zu Hause verbrachte, sind seine drei Brüder zwei Tage pro Woche in der Schule, an den anderen drei Tagen ist Homeschooling angesagt. Ständig wechselt der Rhythmus: Mal sind alle drei in der Schule, mal nur einer oder zwei – eng wird’s immer dann, wenn mehr als zwei Videokonferenzen gleichzeitig stattfinden sollen, beklagt Anwar. Dann ist Improvisieren angesagt.

Solchen Situationen stemmt man sich bei „PCs für alle“ mit einer gehörigen Portion Eigeninitiative entgegen. Ein Teil der Ehrenamtlichen schraubt und programmiert in Erdberg, ein anderer arbeitet im „Außendienst“, holt Gerätespenden ab und liefert aus. Wöchentlich wird der Auftragsumfang größer. „Wir expandieren ständig“, sagt Obmann Bernscherer, „wir brauchen mehr Mitarbeiter, mehr Raum, mehr Geld.“

 

Es ist eine bunte Mischung aller Berufs- und Altersgruppen, die sich im Verein engagieren. Einer von ihnen ist Philipp Ganzer. Der 17-Jährige ist derzeit sieben Tage die Woche in Erdberg, säubert PCs, testet sie auf ihre Funktionstüchtigkeit, baut Teile aus, neue Teile ein und installiert die nötige Software. „Wir machen jedes Gerät startfertig für den normalen Schulgebrauch“, erzählt er sichtlich stolz. Nicht mehr verwendbare Teile geben sie an eine gemeinnützige Organisation, die den Elektroschrott zu Geld macht – und damit wiederum einen PC für ein Schulkind finanziert. In ein paar Wochen beginnt Ganzer seine IT-Lehre. „Für mich ist das hier die beste Überbrückungszeit, deutlich besser, als nur zu Hause rumzusitzen“, meint er. Dann geht er weiter, schraubt am nächsten Computer, sucht ein passendes Kabel, schleppt einen Rechner quer durch den Raum, tippt etwas in den nächsten.

Einst bastelte Peter Bernscherer in seinem Wohnzimmer an alten PCs und Laptops. Im Mai vergangenen Jahres gründete er den Verein „PCs für alle“.

Bezahlt bekommt Ganzer das nicht, „aber es gibt Pizza und Kaffee“, lacht Bernscherer, „ich bin doch kein Unmensch“. Die Miete für den Raum und die Ersatzteile finanziert der Verein aus Spenden, von staatlicher Seite würde Bernscherer ohnehin kein Geld annehmen. „Ich arbeite nur mit Personen“, betont er, er wolle sich nicht von Parteien oder Organisationen vereinnahmen lassen. Dass es in Österreich mindestens 1,5 Millionen Armuts- und Ausgrenzungsgefährdete gibt, regt ihn auf. Noch mehr regt ihn auf, mit welcher Selbstverständlichkeit die Regierung von Betroffenen erwarte, dass sie mir nichts, dir nichts ein paar Laptops fürs Homeschooling anschaffen könnten. „Eine lächerliche Vorstellung“, sagt Bernscherer, ohne zu lachen.

„Weil es notwendig ist“

Im Dezember 2020 wiederholte die Fakultät für Psychologie der Uni Wien ihre Studie: Mittlerweile haben 98,7 Prozent der Schüler*innen Zugang zu PC, Laptop oder Tablet, um dem digitalen Schulunterricht folgen zu können. Zurückzuführen sei das laut Bildungsexpertin Larcher neben dem staatlichen Kontingent von 12.000 Laptops (für die insgesamt 400.000 Schüler*innen) für Bundesschulen aber vor allem auf die Initiative von Eltern, NGOs und engagierten Schulleiter*innen. Larcher fordert daher eine einmalige Zahlung in Höhe von 200 Euro für betroffene Eltern. Langfristig müsse es aber darum gehen, zu erkennen, dass „Lernen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist“. Die Bildungsexpertin sieht die Corona-Krise daher auch als Chance, aus der Not eine Tugend zu machen: „Durch die Notwendigkeit, den digitalen Zugang auszubauen, ist in den letzten Monaten einiges in Bewegung geraten – da müssen wir anknüpfen!“

Wie sind Geräte- oder Geldspenden an „PCs für alle“ möglich? Mehr Infos dazu gibt es hier.

Dass derzeit aber Vereine wie „PCs für alle“ technische Geräte für Familien mit geringerem Einkommen finanzieren, Freiwillige ihre Zeit und ihr Know-how dafür hergeben, sollte „natürlich nicht“ deren Aufgabe sein, betont Bernscherer. „Das ist die ureigenste Aufgabe des Staates – dafür bezahlen wir ihn!“ Warum er und seine Kolleg*innen es trotzdem machen? – „Weil es notwendig ist“, sagt er kurz und trocken. Und macht dann mit einem Blick klar, dass es dazu nichts weiter zu erklären gibt. Dann holt er sein Smartphone raus, wischt ein paar Mal mit dem Finger über den Bildschirm und zeigt Videos von Kindern, die in die Kamera winken und sich für den gespendeten PC bedanken. Anwar nimmt indes ihren Laptop, sie strahlt noch immer und sagt: „Es wird toll.“ Vorm Eingang warten schon die Nächsten.

Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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