Vorrang für ein soziale Europa

Foto (C) rh2010 / Fotolia.com
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Inhalt

  1. Seite 1 - Kurswechsel: Weichen für ein soziales Europa stellen
  2. Seite 2 - Forderungen von AK und ÖGB im Überblick
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ÖGB und AK zur EU-Ratspräsidentschaft: Menschen müssen im Mittelpunkt stehen, nicht Konzerne.
Am 1. Juli 2018 hat Österreich den Vorsitz im Rat der Europäischen Union für sechs Monate übernommen – das dritte Mal nach 1998 und 2006. Es ist die letzte EU-Ratspräsidentschaft vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019, in der inhaltlich noch etwas bewegt werden kann und wichtige Projekte für ein soziales Europa umgesetzt werden können.

Enttäuschendes Programm

Das Arbeitsprogramm der Bundesregierung macht jedoch wenig Hoffnung, dass die österreichische Bundesregierung hier Initiativen für ArbeitnehmerInnen setzen wird. Ganz im Gegenteil: Das Motto des Vorsitzes lautet „Ein Europa, das schützt“. Die Schwerpunkte liegen auf der Sicherung der Außengrenzen vor illegaler Migration, der Absicherung des Wohlstands und der Digitalisierung sowie der Stabilität in der Nachbarschaft und am Westbalkan. Das soziale Europa und die aktuelle Forderung nach einer Europäischen Arbeitsbehörde gegen Lohndumping werden im Programm mit keinem Wort erwähnt, andere Vorschläge im Sozialbereich nur am Rande genannt.

„Die türkis-blaue Regierung erfüllt die Wünsche ihrer Spender aus der Industrie nicht nur im Inland, sondern auch in ihrem Programm für die EU-Präsidentschaft“, kritisiert Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. „Hier verpasst Österreich eine große Chance, im Kampf für ein soziales Europa und gegen Lohn- und Sozialdumping etwas weiterzubringen. Was das soziale Europa betrifft, haben Kurz und Strache nichts als einen Lückentext vorgelegt.“

Auch AK-Präsidentin Renate Anderl ist vom Präsidentschaftsprogramm der Regierung enttäuscht. Mit keinem Wort wird die erst im November 2017 proklamierte „Europäische Säule sozialer Rechte“ erwähnt, die trotz vieler Defizite einen wichtigen Kompass in Richtung besserer Arbeits- und Lebensbedingungen in der EU darstellt. Stattdessen werden mit nebulosen Hinweisen auf „Subsidiarität“ oder „Gold Plating“ Standards im Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherrecht in der gesamten EU infrage gestellt. „Diese Politik bedeutet das Gegenteil von sozialem Fortschritt. Statt Europa in einen Abwärtsstrudel sinkender Standards zu manövrieren, sollten mit dem EU-Vorsitz wieder jene Entwicklungen vorangetrieben werden, die ein fortschrittliches Bild von Europa zeichnen“, betont Anderl.

Kurswechsel jetzt!

„Weichen für ein soziales Europa stellen“: Der ÖGB hat ein klares Forderungsprogramm an die Regierung – einstimmig stimmte der ÖGB-Bundeskongress im Juni für einen Kurswechsel in der EU. Der ÖGB erwartet, dass die Regierung ihr eigenes Vorsitzmotto „Ein Europa, das schützt“ ernst nimmt und dass vor allem ArbeitnehmerInnen endlich geschützt werden, und zwar vor dem dramatisch ansteigenden Lohn- und Sozialdumping sowie vor einem ruinösen Steuerwettbewerb der Mitgliedstaaten. Auch AK-Präsidentin Anderl stellt klar, dass die Menschen im Mittelpunkt der europäischen Politik stehen müssen. Die Erwartungen und Forderungen an den österreichischen EU-Ratsvorsitz hat die Arbeiterkammer in einem „Memorandum für ein soziales Europa“ zusammengefasst. Darin fordert sie viele unterschiedliche Maßnahmen mit einem gemeinsamen Nenner: die Schaffung bzw. Verbesserung der Voraussetzungen für ein soziales Europa, das den Menschen Schutz gibt.

Lohn- und Sozialdumping bekämpfen

In den grenznahen Regionen betreiben bis zu 61 Prozent aller ausländischen Entsendeunternehmen Lohndumping – die Ausnahme wird immer mehr zur Regel. Verwaltungsstrafen wegen Sozialdumping sind in den meisten Fällen grenzüberschreitend nicht durchzusetzen. ÖGB und AK fordern daher eine rasche Umsetzung der geplanten EU-Arbeitsbehörde. „Diese muss allerdings eine schlagfertige ‚Arbeitsschutzbehörde‘ sein, damit endlich grenzüberschreitend vorgegangen werden kann“, betont Achitz. Diese Arbeitsbehörde in Österreich anzusiedeln, sollte laut AK-Präsidentin ein gemeinsames Anliegen der Bundesregierung sein.

Außerdem setzen sich ÖGB und AK für mehr Steuergerechtigkeit ein: Steuerhinterziehung und -vermeidung müssen stärker bekämpft werden. In diesem Zusammenhang fordert der ÖGB unter anderem die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, zudem müssen Steuerflucht und Steueroasen international koordiniert bekämpft werden. Ebenso soll es kein Geld für Unternehmen, die in Steueroasen registriert oder aktiv sind, geben.

Mehr und bessere Arbeitsplätze

Die einsetzende wirtschaftliche Erholung in Europa schafft wieder mehr Arbeitsplätze, aber es besteht weiterhin ein großer Handlungsbedarf. Zu den bestehenden Herausforderungen wie etwa Langzeitarbeitslosigkeit bringt die voranschreitende Digitalisierung weitere mit sich und die Qualifikationsanforderungen am Arbeitsmarkt verändern sich stark. „Maßnahmen, die Frauen am Arbeitsmarkt stärken, prekäre Arbeit eindämmen und die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, sind das Gebot der Stunde“, sagt Anderl. Ein besserer Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle Menschen sei eine wesentliche Voraussetzung, um den digitalen Wandel zu bewältigen, nicht zuletzt sind sie die beste „Schutzimpfung“ gegen Arbeitslosigkeit.

„Die EU darf den wirtschaftlichen Freiheiten nicht länger Vorrang vor den sozialen Rechten einräumen. Dies ist der grundlegende Konstruktionsfehler der EU, die EU ist mehr als ein Binnenmarkt“, betont Achitz. „Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung, dass bei der nächsten EU-Vertragsänderung ein soziales Fortschrittsprotokoll verankert werden muss, das dem Sozialen in der EU endlich Vorrang vor den Interessen der Konzerne einräumt.“ Anderl wiederum betont, dass Europa das Potenzial habe, alle Probleme und Herausforderungen zu bewältigen, und zwar vor allem dann, „wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen und eines vor Auge haben: Es geht immer um die Menschen. Wohlstand, Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt müssen daher zu den wichtigsten Leitmotiven Europas werden.“

AK „Memorandum für ein soziales Europa“

ÖGB-Forderungen zum EU-Ratsvorsitz

 

Weichen für soziales Europa stellen!

Forderungen von AK und ÖGB im Überblick

  • Priorität für die Bekämpfung von Armut, sozialer Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die Frauen am Arbeitsmarkt stärken und prekäre Arbeit eindämmen. Ein besserer Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle Menschen ist eine wesentliche Voraussetzung zur Bewältigung des digitalen Wandels und die beste „Schutzimpfung“ gegen Arbeitslosigkeit.
  • Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort: Die geplante Europäische Arbeitsbehörde kann hier wirksame Hilfe leisten. Diese Behörde in Österreich anzusiedeln, sollte ein gemeinsames Anliegen der Bundesregierung sein.
  • Ausweitung und Weiterentwicklung verbindlicher sozialer Mindeststandards auf hohem Schutzniveau: Durch ein Sozialprotokoll muss sichergestellt sein, dass soziale Grundrechte im Zweifel Vorrang vor Marktfreiheiten und Wettbewerbsregeln haben.
  • Das EU-Budget muss stärker auf soziale Ziele ausgerichtet sein.
  • Priorität für eine sozialverträgliche Gestaltung der Digitalisierung und des Klimawandels.
  • Die hohen österreichischen Sozialstandards dürfen nicht unter dem Vorwand von „Überregulierung“ und „Gold Plating“ den Interessen der Wirtschaft geopfert werden.
  • Europa muss bei der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion eine ausgewogene, beschäftigungs- und wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik, faire Verteilung sowie ein solides soziales Sicherungssystem in den Mittelpunkt rücken. Mehr budgetärer Spielraum für öffentliche Zukunftsinvestitionen (Goldene Regel) ist hierfür unverzichtbar.
  • Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sowie Lohn- und Sozialdumping müssen entschlossen bekämpft werden.
  • Die europäische und internationale Handelspolitik muss gerecht gestaltet werden.
  • Brexit nicht auf Kosten der Beschäftigten: Das zukünftige Abkommen muss verbindliche Klauseln zum Schutz von ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und der Umwelt enthalten. Das Vereinigte Königreich muss verpflichtet werden, weiterhin EU-Standards anzuwenden, damit kein unfairer Wettbewerb entsteht.
Von
Amela Muratovic
ÖGB Kommunikation

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/18.

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Über den/die Autor:in

Amela Muratovic

Amela Muratovic, geboren 1983 in Bosnien und Herzegowina, seit 2009 Redakteurin in der ÖGB-Kommunikation. Zuständig unter anderem für die ÖGB-Mitgliederzeitschrift Solidarität und die Bereiche Frauen, Gleichstellung und Anti-Diskriminierung. Regelmäßige Beiträge für die Arbeit&Wirtschaft.

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