Vom Bot zum Schrott

Was geschieht mit dem Elektroschrott der Digitalisierung?

„Machen Sie E-Schrott zu Geld!“ – Wer im Internet nach „Hardware Recycling“ sucht, findet zuerst einmal jede Menge kommerzieller Angebote unter den ersten Suchmaschinen-Treffern. Wer sich für allgemeine Informationen rund ums Thema Elektro-Recycling interessiert, muss schon ein wenig ausgefeilter suchen. Ein gutes Zeichen? Es lässt immerhin den ersten, vorsichtigen Schluss zu, dass das Geschäft mit dem Hardware-Abfall der Digitalisierung boomt. Ist da etwa eine funktionierende, Ressourcen schonende Kreislaufwirtschaft im Gang?

Das Geschäft mit dem Hardware-Abfall der Digitalisierung boomt.

Wohl nicht ganz. Denn ein wirklich umfassendes Recycling-System für Elektrogeräte ist bislang in Österreich nicht etabliert worden – und auch sonst nirgends. Zwar fordert die Europäische Union von ihren Mitgliedstaaten seit diesem Jahr eine Sammelquote von 65 Prozent. Doch die wird aller Voraussicht nach längst nicht überall eingehalten. In Österreich ist die Elektroaltgeräte Koordinierungsstelle (EAK) mit der Organisation der Sammlung ausgedienter Elektrogeräte betraut. Ob die Sammelquote 2019 erreicht wird, ist ungewiss. Im April teilte die EAK mit, „dass für das Jahr 2019 die Zielerreichung derzeit nicht sichergestellt ist.“ Auch wenn Österreich im EU-Vergleich schon länger recht hohe Sammelquoten von über 60 Prozent vorweisen kann. Rund 80.000 Tonnen Elektroaltgeräte und 2.500 Tonnen Batterien werden hierzulande laut Altstoff Recycling Austria (ARA) jährlich gesammelt.

Das Problem der rasant fortschreitenden Digitalisierung:

Die Anforderungen an viele elektronische Geräte wachsen, und viele Gadgets werden in kurzen Abständen ausgetauscht.

Das entspricht mehr als 9 Kilogramm pro Einwohner. Gar nicht wenig. Denn ein Problem der rasant fortschreitenden Digitalisierung bleibt, dass die Anforderungen an viele elektronische Geräte wachsen und viele Gadgets in kurzen Abständen ausgetauscht werden. Manchmal, nur weil ein Feature des Geräts nicht mehr funktioniert, zum Beispiel Akku, GPS-Sender oder Kamera. Weil das Wiederverwerten bzw. das Aussortieren von Rohstoffen aus den Altgeräten aufwendig und technisch anspruchsvoll ist, landen die Geräte nach einem kurzen „Life Cycle“ auf dem Schrott.

Und der wiederum wird häufig exportiert und landet auf Deponien in Ländern wie Ghana oder Indien. Dort findet dann oft eine archaische Art von Recycling unter unzumutbaren Bedingungen für Mensch und Umwelt statt. Dabei ist der Export eigentlich durch das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung untersagt, dem Österreich bereits 1993 zustimmte und das innerhalb der EU seit 2006 durch die Verordnung 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen ersetzt wird. Eigentlich. Denn trotzdem landet auch europäischer Elektroschrott auf Deponien wie Agbogbloshie in der ghanaischen Hauptstadt Accra, dem vermutlich bekanntesten Elektro-Schrottplatz der Welt, den die Filmemacher Florian Weigensamer und Christian Krönes 2018 in „Welcome to Sodom“ eindrucksvoll dokumentierten.

Elektroschrott wird häufig exportiert und landet auf Deponien in Ländern wie Ghana oder Indien. Dort findet dann oft eine archaische Art von Recycling unter unzumutbaren Bedingungen für Mensch und Umwelt statt.

Wer seine Elektroaltgeräte allerdings zu einer kommunalen oder einer anderen Sammelstelle bringt, wie es sie überall in Österreich gibt, darf davon ausgehen, dass sein Müll nicht dort landet, sondern in Betrieben der Abfallwirtschaft. (Wo sich Sammelstellen finden, gibt die Elektroaltgeräte-Koordinierungsstelle auf ihrem Verbraucherportal www.elektro-ade.at an.) Wie hoch die Recyclingquote für einzelne Geräte und deren Bestandteile in den Reyclingbetrieben letztlich ist, bleibt allerdings schwierig zu sagen. Die Masse an Rohstoffen, die aus dem Altgeräte-Recycling gewonnen werden, ist allerdings beeindruckend.

Die Masse an Rohstoffen, die aus dem Altgeräte-Recycling gewonnen werden, ist beeindruckend.

So wurden etwa allein aus Bildschirmgeräten im Jahr 2017 österreichweit 1.309 Tonnen unterschiedlicher Metalle sowie über 7.000 Tonnen Barium- bzw. Bleiglas und mehr als 1.683 Tonnen Kunststoff gewonnen. Aus Flachbildschirmen wurden immerhin 722 Tonnen Eisen-Metalle, 144 Tonnen Nichteisen-Metalle und 784 Tonnen Kunststoff gewonnen. Aus Elektrogroßgeräten wie Waschmaschinen, Geschirrspülern oder medizinischen Geräten wurden über 18.000 Tonnen Eisen-Metalle gewonnen. Diese Zahlen machen deutlich, welche Ressourcen und Werte in entsorgten Elektrogeräten stecken. Diese können der Industrie als wichtige Sekundärwertstoffe zurückgeführt werden.

Elektrokleingeräte wie Smartphones, MP3-Player, elektrische Zahnbürsten oder digitale Uhren weisen laut Elektro Recycling Austria GmbH, kurz ERA, in aller Regel einen sehr hohen Anteil an Schadstoffen auf, die entfernt werden müssen, bevor die Geräte zerkleinert werden – oder danach. Die Zerkleinerung selbst, beschreibt ERA recht anschaulich: „Erfolgt die Schadstoffentnahme vor der Zerkleinerung, wird das Gerät zumeist mit einfachen Mitteln (Hammer und Schraubenzieher) aufgebrochen. Im anderen Fall wird das zerkleinerte Material auf ein Sortierband aufgebracht und die Schadstoffe werden entnommen. Für den Zerkleinerungsschritt wird ein Spezial-Shredder oder ein Querstromzerspaner eingesetzt. In beiden Fällen werden nach der Schadstoffentnahme die enthaltenen Metalle von den Reststoffen abgetrennt und in nachfolgenden Prozessschritten in verschiedene Metallfraktionen separiert.“

Schadstoffentnahme und Rohstoff-Rückgewinnung hin oder her: Von der Kreislaufwirtschaft ist man noch weit entfernt.

Schadstoffentnahme und Rohstoff-Rückgewinnung hin oder her: Von der Kreislaufwirtschaft ist man noch weit entfernt. Das gilt für Elektroschrott wie für andere Formen von Abfall. „Aktuell stammen erst 10 Prozent unseres Rohstoffbedarfs aus dem Recycling. Um die Rohstoffwende und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, müssen wir in Zukunft verstärkt auf Kreislaufwirtschaft setzen. Recyclingrohstoffe müssen das neue Normal werden“, heißt es bei der Altstoff Recycling Austria. Das wird realistischerweise noch ein Weilchen dauern, obwohl es jede Menge Müll zur Verwertung gäbe. Schließlich ist die Müllmenge, die weltweit produziert wird, binnen kurzer Zeit gigantisch angewachsen. Zwischen 1900 und 2000 haben sich die Abfallmengen verzehnfacht, ohne weitere Maßnahmen würden sie sich bis 2050 verdoppeln.

Zwischen 1900 und 2000 haben sich die Abfallmengen verzehnfacht, ohne weitere Maßnahmen würden sie sich bis 2050 verdoppeln.

Den Ressourcenverbrauch der Digitalisierung kann man bei aller Prognostik nur sehr schwer einschätzen. Dass der stoffliche, ganz materielle Müll der so immateriell wahrgenommenen Digitalisierung den meisten Menschen als ein Randaspekt des technischen Fortschritts erscheint, kann da kaum überraschen. Der deutsche Soziologe Armin Nassehi, der gerade erst eine 300 Seiten umfassende „Theorie der digitalen Gesellschaft“ veröffentlicht hat, widmet sich dem „digitalen Stoffwechsel“ darin in einem Exkurs von lediglich acht Seiten. Im Exkurs stellt er fest, dass zur Digitalisierung und zur digitalen Wirtschaft eben auch eine stoffliche Komponente gehört: „Ihre technische Basis ist hoch energieintensiv und von seltenen Rohstoffen abhängig. Es sollte bei der Diskussion um die datenförmige Erzeugung von Wertschöpfung, Erkenntnis, Kommunikation, Steuerungskraft etc. nicht vergessen werden, dass das mediale Substrat der Digitalisierung von Maschinen abhängig ist.“ Digitale Maschinen können natürlich auch dabei helfen, Ressourcen zu schonen. Das soll hier nicht übergangen werden. Gleichzeitig verschlingen sie aber auch Rohstoffe für ihren eigenen Betrieb. Seltene Erden zum Beispiel. „In Japan werden diese Erden als ,Vitamine der Industrie‘ bezeichnet“, lässt sich bei Armin Nassehi nachlesen. „Die Preissteigerungsraten für Seltene Erden sind exorbitant, und an ihnen wiederholt sich ein geostrategischer Konflikt, der durchaus an die fatalen Auseinandersetzungen über den Zugang zum Erdöl im 20. Jahrhundert erinnert.“ Das klingt alles andere als beruhigend. Doch es weckt die leise Hoffnung, dass das Recycling digitaler Elektrogeräte auch wirtschaftlich immer interessanter wird.

Über den/die Autor:in

Thomas Stollenwerk

Thomas Stollenwerk stammt aus Deutschland, lebt seit über einem Jahrzehnt in Wien, ist studierter Politikwissenschaftler und arbeitet unter anderem als Redakteur des Magazins Biorama, als Buchautor und Wissenschafts-Kommunikator.

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.