Versichern beruhigt?

Illustration Pflegeversicherung
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„Pflegeversicherung“ klingt erst einmal super. Warum trotzdem einiges dagegenspricht, Pflege und Betreuung über eine Versicherung zu finanzieren.
Ein kurzer Blick auf die Zahlen macht klar: Österreich wird bald deutlich mehr Geld für Pflege und Betreuung aufwenden müssen. Das liegt allein schon an der Demografie: Dank des medizinischen Fortschritts und der besseren Lebensbedingungen werden die Menschen immer älter. Derzeit sind 436.000 Menschen über 80 Jahre alt. Im Jahr 2030 werden es bereits 640.000 sein. Entsprechend wird die Zahl jener  Menschen steigen, die nicht mehr selbstständig leben können, sondern auf fremde Hilfe angewiesen sind.

Noch werden 80 Prozent von ihren Angehörigen gepflegt – in den meisten Fällen von den Ehefrauen und Töchtern, nur in seltenen Ausnahmen von Männern. Aber auch das wird nicht so weitergehen, schon deshalb, weil mehr Frauen erwerbstätig sind. Viele wohnen weit weg von ihren pflegebedürftigen Angehörigen, sie können und wollen nicht mehr rund um die Uhr zur Verfügung stehen.

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Das österreichische Pflegesystem wird überwiegend aus Steuermitteln finanziert.  Seit 2011 gewährt der Pflegefonds Ländern und Gemeinden Zuschüsse für die Langzeitpflege. Heuer ist er mit 382 Millionen Euro dotiert. Das Problem ist jedoch, dass für den Pflegefonds nur bis 2021 finanzielle Mittel vorgesehen sind. Die Regierung prüft derzeit, wie die Pflege künftig finanziert werden soll. Konkretes war bisher noch nicht zu vernehmen. Aber immer öfter wird die Forderung nach einer Pflegeversicherung laut.

Versicherungslösungen gibt es zum Beispiel in den Niederlanden und in Deutschland. Dort wurde die Pflegeversicherung 1995 als eigene Sparte der gesetzlichen Sozialversicherung eingeführt. Sie wird durch ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnenbeiträge finanziert.

Wenig überraschend, dass private Pflegeversicherungen vor allem von den Versicherungskonzernen propagiert werden, die daran kräftig verdienen könnten.
Versichert zu sein für den Fall, dass man pflegebedürftig werden könnte – das klingt erst einmal gut. Auch in Österreich wird in letzter Zeit verstärkt die Forderung nach Einführung einer Pflegeversicherung diskutiert, entweder im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung oder als private Versicherung. Wenig überraschend, dass Zweiteres vor allem von den Versicherungskonzernen propagiert wird, die daran kräftig verdienen könnten.

„Gegen beide Varianten sprechen gute Gründe“, sagt Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB: „Hohe Kosten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, steigende Lohnnebenkosten und möglicherweise unterschiedlich gute Leistungen, je nachdem, wie viel man in die Versicherung eingezahlt hat. Die Zwei-Klassen-Pflege droht.“

Gesetzliche Pflegeversicherung

Eine gesetzliche Pflegeversicherung, entweder als eigene Sparte oder angesiedelt bei Kranken- oder Pensionsversicherung, müsste hohe Beiträge verlangen. „0,1 Prozent ArbeitnehmerInnenbeitrag würden nur zu Einnahmen von ungefähr 120 Millionen Euro im Jahr führen. Zum Vergleich: Allein das Pflegegeld macht 2,5 Milliarden Euro aus“, rechnet ÖGB-Sozialversicherungsexpertin Dinah Djalinous-Glatz vor. Insgesamt werden in Österreich 5,7 Milliarden Euro für die Pflege ausgegeben. Entsprechend hoch müssten die Beiträge sein. Den ArbeitnehmerInnen würde durch die Einführung einer Pflegeversicherung auf jeden Fall netto weniger vom Lohn bleiben.

Es ist zu befürchten, dass alle paar Jahre der Ruf nach Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung laut wird.
Wenn die Lebenserwartung steigt, ist davon auszugehen, dass mehr Menschen pflegebedürftig werden und die Kosten für die Pflege steigen. Also ist zu befürchten, dass alle paar Jahre der Ruf nach Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung laut wird! In Deutschland wurde dieser Ruf gerade erst erhört, berichtet Djalinous-Glatz: Die Beiträge wurden von 2,55 auf 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens angehoben, aufgeteilt auf ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. PensionistInnen zahlen die vollen 3,05 Prozent selbst – eine große Belastung. Kinderlose zahlen noch einen Zuschlag von einem viertel Prozentpunkt, also insgesamt 3,3 Prozent.

Ein weiteres Problem: Viele Menschen können nicht selbst Beiträge in eine Pflegeversicherung einzahlen, zum Beispiel Arbeitslose oder Menschen, die selbst Angehörige pflegen. Wer soll für sie einzahlen? „Sehr schnell würde auch die Diskussion aufkommen, ob alle dieselben Leistungen bekommen sollen – oder ob es schlechtere Pflegeleistungen für jene geben soll, die weniger oder gar nichts eingezahlt haben. Man erinnere sich nur an die Diskussion um die ‚bedarfsorientierte Mindestsicherung, wo auf einmal nicht mehr der Bedarf ausschlaggebend sein soll, sondern ob jemand vorher ins System eingezahlt hat“, erinnert Bernhard Achitz.

Private Pflegeversicherung

Pflegeversicherung wäre eine enorme finanzielle Belastung für Menschen mit niedrigen Einkommen.

Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB

Eine Versicherungspflicht bei privaten Versicherungskonzernen wäre die teuerste Lösung, denn die Erfahrung mit anderen Versicherungssparten zeigt, dass dort bis zu 30 Prozent Verwaltungs- und Werbungskosten anfallen. Entsprechend hoch müssten die Beiträge sein. „Vor allem für Menschen mit niedrigen Einkommen wäre das eine enorme finanzielle Belastung“, sagt Achitz. Ältere und kranke Menschen müssten nach der Logik von privaten Versicherungen höhere Prämien bezahlen als junge und gesunde. Darüber hinaus sind private Versicherungen abhängig vom Kapitalmarkt. Im schlimmsten Fall würde eine Wirtschafts- oder Börsenkrise dazu führen, dass die Pflege nicht mehr finanziert ist.

Besser: Pflege mit Steuern finanzieren

Eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Pflege nicht allein von den ArbeitnehmerInnen finanziert wird.

Barbara Teiber, GPA-djp-Vorsitzende

Der ÖGB fordert, dass die Pflege und Betreuung weiterhin aus Steuermitteln finanziert wird. Der derzeit befristete Pflegefonds muss zur Dauereinrichtung werden. Zur Speisung dieses Fonds würde sich eine Steuer auf hohe Erbschaften und Schenkungen, aber auch Vermögen besonders anbieten. GPA-djp-Vorsitzende Barbara Teiber: „Das ist für mich eine Frage der Gerechtigkeit. Die Pflege kann ja nicht wieder nur von den ArbeitnehmerInnen und ihren Steuern und Abgaben getragen werden. Auch die großen Vermögen müssen ihren Beitrag leisten.“

Über den/die Autor:in

Florian Kräftner

Florian Kräftner, geboren 1977 in Wien, ein bisschen Gastronomie, ein bisschen Werbung, dann freiberuflich für Solidarität und hallo! tätig. Seit 2003 Redakteur in der ÖGB-Kommunikation. Pressereferent des Leitenden Sekretärs Bernhard Achitz und für die Bereiche Sozialpolitik, Volkswirtschaft, Internationales, ÖGB-Europabüro. Regelmäßige Beiträge für Arbeit&Wirtschaft.

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