Linda Biallas: Feministische Mutterschaft heißt Wahlfreiheit

Linda Biallas im Interview zu ihrem Buch Mutter schafft.
Linda Biallas im Interview über ihr Buch „Mutter, schafft. Die Rolle der Mutter im Kapitalismus und Patriarchat: ein Aufruf zur Revolution“ . | © Haymon Verlag
Linda Biallas im Interview über ihr Erstlingswerk „Mutter, schafft. Die Rolle der Mutter im Kapitalismus und Patriarchat: ein Aufruf zur Revolution“.
Linda Biallas hat mit „Mutter, schafft. Die Rolle der Mutter im Kapitalismus und Patriarchat: ein Aufruf zur Revolution“ (erschienen im Innsbrucker Haymon Verlag) ein bemerkenswertes Erstlingswerk vorgelegt, das die Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Patriarchat am Beispiel Mutterschaft durchdekliniert. Beatrice Frasl sprach mit ihr für Arbeit&Wirtschaft über Arbeit, Mutterschaft, Kapitalismus und ihre Vision einer besseren Welt.

A&W: Was bedeutet es für Frauen heute Kinder zu bekommen?

Linda Biallas: Frauen sind oft mit gesellschaftlichen Erwartungen und Normen konfrontiert, die das Kinderkriegen als Teil ihrer Rolle und Identität als Frau betrachten. Häufig wird erwartet, dass sie ihre Mutterrolle als vorrangig betrachten. Dies stellt dann für Mütter eine Herausforderung dar, insbesondere in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Frauen stehen oft vor Fragen der Elternzeit, Kinderbetreuung, flexiblen Arbeitsmöglichkeiten und beruflicher Entwicklung. Und das in der Regel allein, denn Väter werden aus der Verantwortung entlassen. Kinder bekommen bedeutet in unserer Gesellschaft für Frauen eine große Einschränkung und finanzielle, berufliche, und persönliche Nachteile, die man mit einem Lächeln auf den Lippen für die Kinder hinnehmen soll.

Warum zeigt sich beim Thema Mutterschaft das Zusammenspiel von Kapitalismus und Patriarchat besonders drastisch?

Mutterschaft beinhaltet eine große Menge an unbezahlter Arbeit. Diese unbezahlte Arbeit sorgt dafür, dass eine neue Generation LohnarbeiterInnen entsteht und dafür, dass, der Familienvater fit, regeneriert und wohlgenährt genug ist, um seine Lohnarbeit zu erledigen, wovon ja nicht nur er selbst profitiert, sondern auch sein Arbeitgeber. Da Kapitalismus auf der Ausbeutung von Arbeitskraft basiert, kann diese unbezahlte reproduktive Arbeit von Müttern als kostenlose Ressource genutzt werden, um den Profit für kapitalistische Unternehmen zu steigern.

Sollten wir diese unbezahlte Arbeit von Frauen bezahlen?

Wenn bezahlte Care-Arbeit zu einer besseren Versorgung von Müttern und Kindern führt, ist das positiv zu bewerten. Was bezahlte Care-Arbeit aber nicht kann ist, das ungleiche Geschlechterverhältnis zu verändern. Es wird häufig explizit über bezahlte Care-Arbeit für Mütter gesprochen. Und manchmal klingt das fast wie „Herdprämie“. Väter sind weiterhin ausgenommen, oder gehen „normal arbeiten“. Man kann in Bezug auf bezahlte Care-Arbeit davon ausgehen, dass in konservativ ausgerichteten Gesellschaften die Gefahr besteht, dass sich ein traditionelles Rollenbild weiter fortsetzt. Darüber hinaus sollten wir auch berücksichtigen, dass nicht nur die finanzielle Absicherung von Müttern wichtig ist. Sondern auch die Möglichkeit für Freizeit und insgesamt selbstbestimmte Lebensgestaltung, was in Bezug auf das mit Kindern leben auch bedeutet, dass da noch jemand anderes ist, der sich kümmert.

Der Vater, obgleich im Beruf durchsetzungsstark und kompetent,
schafft es einfach nicht durchzusetzen,
dass er auch mal eine Windel wechseln darf 

Linda Biallas in „Mutter, schafft. Die Rolle der Mutter im Kapitalismus und Patriarchat: ein Aufruf zur Revolution“ 

Was bedeutet die unbezahlte Arbeit von Frauen für ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt?

Viele Frauen arbeiten in Teilzeit. Zusätzlich zu Funktion und Pflicht der Hausfrau kommt eine Teilzeitstelle auf dem Arbeitsmarkt hinzu, inklusive Vereinbarkeitsdilemma, insbesondere wenn es an sozialer Infrastruktur wie Kinderbetreuung und flexiblen Arbeitsmöglichkeiten mangelt.

Die englische Übersetzung von „Wehen“ ist „labour“ – es ist also das gleiche Wort wie jenes für „Arbeit“. Auch du schreibst in deinem Buch „Gebären ist Arbeit“. Was meinst du damit?

Kinder gebären ist keine Arbeit im Sinne der Lohnarbeit, aber in der umgangssprachlichen Verwendung des Wortes. Etwas, das notwendigerweise erledigt werden muss. Gebären ist keine Krankheit, um die sich das Krankenhauspersonal kümmert, und kein Moment, der mit dem Baby auf dem Arm vorbei ist, sondern eine sehr anstrengende und schmerzhafte Tätigkeit, die Frauen verrichten, etwas, das sie mit ihrem Körper tun. Etwas, das das eigene Leben für immer verändert. Und dass eben doch immer darüber hinweggegangen wird, zeigt auch, wie geringschätzig wir Frauen gegenüber eingestellt sind.

Kann es feministische Mutterschaft geben?

Feministische Mutterschaft heißt Wahlfreiheit und Selbstbestimmung. Es geht darum, dass Frauen die Freiheit haben, zu entscheiden, ob und wann sie Kinder haben möchten. Und dass ihre Entscheidungen respektiert und unterstützt werden. Feministische Mutterschaft strebt nach einer gleichberechtigten Verteilung der Verantwortung und Care-Arbeit zwischen den Eltern und dass geschlechtsspezifische Rollenklischees aufgebrochen werden. Unabdingbar sind hier dann nicht nur Väter, die ihren Teil beitragen, sondern auch solidarische und unterstützende gesellschaftliche Strukturen sowie die Ermächtigung von Frauen, ihre Mutterschaft in einer Weise leben können, die ihren eigenen Werten und Bedürfnissen entspricht. Idealerweise beinhaltet das auch das Versorgtsein mit notwendigen Ressourcen, unabhängig von kapitalistischen und patriarchalen Funktionsweisen.

Mutter, schafft. Die Rolle der Mutter im Kapitalismus und Patriarchat: ein Aufruf zur Revolution von Linda Biallas.Wie hat deine Erfahrung als Mutter deinen Feminismus geprägt?

Wenn da kein Vater ist, der abends auf das Kind aufpasst, kannst du nie mit deinen Freundinnen ins Kino gehen. Hat die Kita nur bis 15:30 Uhr geöffnet, kannst du nicht genug Geld verdienen. Wenn du das klassische Familienmodell wählst, ist es wahrscheinlich, dass du im Alter von Armut betroffen sein wirst. In Bezug auf Feminismus ist Mutter zu werden ein Shit-just-got-real-Moment und zeigt sehr direkt und deutlich, dass es im Feminismus nicht nur um moralische Überlegungen, oder ein Gerechtigkeitsempfinden bezüglich Gleichberechtigung gehen kann. Oder um Veränderungen in Sprache und Kultur. Sondern vor allem darum, die konkrete Lebenslage von Frauen und Müttern zu verbessern, im Hinblick auf die materiellen, finanziellen Zusammenhänge und notwendigen Ressourcen, also auch auf die psychosozialen Faktoren.

Über den/die Autor:in

Beatrice Frasl

Beatrice Frasl hat Anglistik und Amerikanistik und Gender Studies studiert und ist feministische Kulturwissenschafterin, Podcasterin("Große Töchter", "She Who Persisted"), Lektorin an der Universität Wien und Aktivistin. Sie schreibt aktuell an ihrer Doktorarbeit im Bereich Gender Studies/Popkulturforschung und immer wieder auch für Medien im In- und Ausland, publiziert wissenschaftlich und hält Vorträge und Workshops zu Themen Feminismus, Geschlecht, Genderforschung und Queer Studies.

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