„EU-Kettensäge gegen Menschenrechte und Umweltschutz“

Menschenrechts- und Umweltorganisationen warnen vor einer Entschärfung des Lieferkettengesetzes durch Omnibus. | © Adobe Stock/AungMyo
Menschenrechts- und Umweltorganisationen warnen vor einer Entschärfung des Lieferkettengesetzes durch Omnibus. | © Adobe Stock/AungMyo
Die Omnibus-Initiative zum Lieferkettengesetz offenbart eine gefährliche Schieflage in der europäischen Rechtsstaatlichkeit: Neben den Folgen für Menschenrechte und Umweltschutz bereitet das Verfahren aus demokratiepolitischer Sicht Sorgen.

Bei der Durchsetzung ihres Gesetzespakets mit dem Namen „Omnibus“ zur Entschärfung des Lieferkettengesetzes drückt die EU-Kommission nicht nur aufs Tempo. Menschenrechts- und Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften warnen davor, dass dieser Omnibus wie ein Geisterfahrer unterwegs sei und in die entgegengesetzte Richtung —weg von Nachhaltigkeit, Klimaschutz und international verpflichtende Arbeitsrechtstandards steuere.

„Was Donald Trump in ein paar Minuten erledigte, als er den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen dekretierte“, zieht Valentin Wedl eine transatlantische Parallele, „das will die EU-Kommission in wenigen Monaten hinkriegen, indem sie in einem schnell konstruierten Verfahren wichtige Nachhaltigkeitsbestimmungen in dem erst voriges Jahr beschlossenen Lieferkettengesetz abzuschaffen versucht“.

Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten

Besonders die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, sagt der Leiter der Abteilung EU und Internationales der AK Wien, dass also große Unternehmen in ihren Lieferketten auf Grundstandards des Arbeitsrechts, darunter vor allem Gewerkschaftsfreiheiten, sowie Umweltschutzvorgaben achten müssen, seien der Wirtschaft ein Dorn im Auge. „Was hinter unserer Grenze passiert, dafür sind wir nicht zuständig“, fasst Wedl diese Position zusammen. Dass diese Forderung, „die auf ein radikales Kappen der Sorgfaltspflichten hinausläuft“, in EU-Kommission und EU-Parlament Gehör findet, liegt für Wedl an den neuen politischen Mehrheitsverhältnissen zugunsten konservativer und rechter Parteien nach der Europawahl 2024.

Was Donald Trump in ein paar Minuten erledigte,
als er den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen dekretierte,
das will die EU-Kommission in wenigen Monaten hinkriegen. 

Valentin Wedl

Die EU-Kommission sieht das Ziel des Omnibusses in weniger Bürokratie und einfacheren Vorschriften, um Europas Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig zu machen und mehr Wachstum zu erzielen. Im Gegensatz zum langen politischen Prozess bis zur Finalisierung des Lieferkettengesetzes schreitet dessen Demontage jetzt sehr schnell voran: Anfang April, wenige Wochen nach der Vorlage im Februar, wurden vom Europaparlament bereits die ersten Omnibus-Vorschläge für eine Verschiebung des Gesetzes um ein Jahr und die Ausnahme von 80 Prozent der EU-Unternehmen von der Nachhaltigkeitsberichterstattung per „Dringlichkeitsverfahren“ beschlossen. Dieses Eilverfahren wurde bisher nur für schnelle Entscheidungen in der Coronazeit oder bei Fragen der Gasversorgung im Ukraine-Krieg angewandt. Für den Omnibus-Prozess sei es „nicht notwendig“, kritisierte Andreas Schieder, Delegationsleiter der SPÖ im Europaparlament.

Kettensäge gegen Menschenrechte und Umweltschutz

Der von Valentin Wedl gezogene Vergleich mit Trump drängt sich wieder auf. Auch Stefan Grasgruber-Kerl, EU-erfahrener Kampagnenleiter der Menschenrechtsorganisation Südwind, sieht aktuelle US-Zustände in der EU-Gesetzgebung Einzug halten: „Man spricht von Bürokratieabbau, aber in Wirklichkeit ist der Omnibus nichts anderes als eine Kettensäge gegen Menschenrechte und Umweltschutz.“ Grasgruber-Kerl kritisiert nicht nur die Inhalte der Omnibus-Pakete, sondern nennt auch das Vorgehen, mit dem das Lieferkettengesetz nur wenige Monate nach seiner Beschlussfassung um 180 Grad gedreht werden soll, “demokratiepolitisch höchst bedenklich”.

Der Omnibus-Plan ist eine Gefahr für Menschenrechte & Klimaziele!

Weniger Kontrollen, keine zivilrechtliche Haftung, ein Freibrief für Konzerne, die Regeln umgehen wollen und ein Wettbewerbsnachteil für nachhaltige Wirtschaft.

www.suedwind.at/eu-rat-suedw…

#Lieferkettengesetz #CSDDD #Omnibus

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— Südwind (@suedwind.at) 12. März 2025 um 09:20

Die Verzögerung des Gesetzes um ein Jahr bezeichnet er als „tragisch, denn Menschenrechte und Umwelt können nicht warten“. Er warnt: Wenn die EU im Eilverfahren die Substanz des Lieferkettengesetzes aushebelt, untergräbt sie Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit. Diese Hü-Hott-Politik werde auch von Unternehmensseite nicht goutiert, sagt Grasgruber-Kerl: „Die sind vor den Kopf gestoßen, fragen uns in Stakeholder-Dialogen, was da los ist.“ In die Kerbe stoßen sogar große Investoren und globale Konzerne wie Ferrero, Mars, Nestlé oder Unilever, die von der Kommission fordern, die Standards in der Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht in Frage zu stellen, weil das die Planungsunsicherheit befeuere.

Notbremse für Omnibus

Den Schaden eines zahnlosen Lieferkettengesetzes für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sieht Wedl darin, dass dieses Gesetz ein Instrument ist, mit dem sich Gewerkschaften international gut vernetzen, sowie Menschen- und Arbeitsrechtestandards verbessern können. Aber noch sei der Omnibus nicht am Ziel, noch haben EU-Parlament und Rat nicht zugestimmt, sagt Wedl, „noch besteht die Möglichkeit, dass man das, was der Omnibus geladen hat, ablehnt“.

Mit der E-Mailkampagne „Notbremse für Omnibus!“ an die Justizministerin und den Wirtschaftsminister hierzulande setzt sich Südwind gemeinsam mit 60 Organisationen aus 50 Ländern für ein Ende dieser Geisterfahrt ein, sagt Grasgruber-Kerl: „Unser Ziel ist, dass Österreich im Rat nicht zustimmt, und es genügend Enthaltungen gibt, damit der Omnibus keine Mehrheit findet.”

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Über den/die Autor:in

Wolfgang Machreich

1999 bis 2010 FURCHE-Redakteur (Politik), danach Pressesprecher EU-Parlament, seit 2018 freier Journalist.

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