Kohle mit Ende

Illustration zum Kohleausstieg in Deutschland, bei dem der DGB mitverhandelt.
Sozial verträglich aussteigen: Deutschland will bis 2038 raus aus der Kohleverstromung. Über das Projekt „Revierwende“ stellen die Gewerkschaften schon jetzt sicher, dass sie hier einen Fuß in der Tür haben.

Die deutsche Sprache ist berüchtigt dafür, sehr lange Wort-Ungetüme zu produzieren. Ein gutes Beispiel dafür ist das „Kohleverstromungsbeendigungsgesetz“, kurz KVBG. Das KVBG ist ein Gesetz von historischer Bedeutung im Kampf gegen den Klimawandel. Damit hat der deutsche Staat im Jahr 2020 beschlossen, keine Kohle mehr zu fördern und in Strom umzuwandeln. Für die deutschen Tagebaureviere bedeutet das eine große Herausforderung. Über viele Jahrzehnte gewachsene Industriekulturen müssen sich innerhalb weniger Jahre neu erfinden. Auf dem Spiel steht, ob in den betroffenen Regionen auch zukünftig hoch qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze existieren oder ob ein großflächiges Abrutschen in den Niedriglohnsektor droht.

Milliarden für den Kohleausstieg

Um Letzterem entgegenzuwirken, sieht das KVBG vor, 40 Milliarden Euro für die Braunkohlebundesländer bereitzustellen. Damit sind in das Gesetz Vorschläge eingeflossen, die in den Jahren zuvor in der „Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ausgearbeitet wurden, in der neben den Arbeitgeber:innenverbänden und Umweltschutzgruppen auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vertreten war. 26 Milliarden der beschlossenen Gelder gehen in verschiedene Förderprojekte des Bundes. Unterstützt werden unter anderem Vernetzungsprojekte, die zu einem „ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltigen Strukturwandel“ beitragen sollen.

Frederik Moch vom Deutschen Gewerkschaftsbund im Interview zum Kohleausstieg.
„In der Revierwende geht es auch immer um die Stärkung gewerkschaftlicher Präsenz und Strukturen in den Revieren“, so Frederik Moch vom Deutschen Gewerkschaftsbund. | © DGB_S. Neumann

Diese Gelder bedeuteten eine Chance, die der Deutsche Gewerkschaftsbund nicht an sich vorbeiziehen lassen wollte. „Für uns war klar, dass wir diesen Ausstiegsprozess aus dem Braunkohleabbau begleiten wollen. Die Stimme der Beschäftigten soll auf Augenhöhe mit anderen Stakeholdern in diesem Prozess zu hören sein“, erzählt Frederik Moch, der im DGB das Projekt „Revierwende“ leitet. Die Revierwende ist über eine gemeinnützige Gesellschaft beim Deutschen Gewerkschaftsbund angesiedelt. Der Grund dafür, so Frederik Moch: „Ein solcher Prozess wie die Revierwende lässt sich nicht einfach nebenbei organisieren. Die Hauptamtlichen im DGB waren bereits mit vielen anderen Sachen ausgelastet. Deshalb haben wir einen Antrag auf Mittel aus dem Strukturwandel-Topf gestellt und sind dann 2021 mit der Revierwende gestartet.“

Gerechter Übergang nach dem Kohleausstieg

Moch sieht die Revierwende als Teil eines gerechten Übergangs im Sinne der lohnabhängigen Bevölkerung der betroffenen Regionen. Das sind Stichworte, die auch für die österreichische Gewerkschaftsbewegung relevant sind, wie Michael Soder erklärt. Er arbeitet als Experte der Arbeiterkammer zu Themen des „gerechten Übergangs“. „Die Revierwende ist eines von vielen Projekten, die sich mit dem Strukturwandel befassen“, sagt er. „Strukturwandel bedeutet, dass sich Produkte und deren Herstellung ändern. Und die Qualifikationen, die Beschäftigte dafür mitbringen müssen, ändern sich damit auch. Wir wollen, dass dieser Wandel sozial gerecht stattfindet. Wir wollen nicht, dass Wertschöpfung und Einkommen aus den Regionen verloren gehen.“

Das deutsche Beispiel der Revierwende findet er in dieser Hinsicht besonders interessant: „Deutschland ist besonders betroffen vom Ausstieg aus der Kohleverstromung. Jetzt geht es darum, Alternativen zu entwickeln, um die betroffenen Regionen zu reindustrialisieren.“ Transformation habe eine starke räumliche Dimension. Manche Regionen sind stärker von fossilen Energien abhängig als andere. „Es braucht starke Konzepte mit Regionen und Gemeinden. Das ist ein langer Suchprozess, in dem es um Weiterentwicklung geht.“

Über Jahrzehnte hat die Kohle das Leben in den Revieren geprägt. Sie brachte Arbeit, aber auch Schmutz und Umweltzerstörung und trotzdem sehr spezifische regionale Identitäten in der Bevölkerung hervor.

Zwischen Bund und Land

Die räumliche Dimension zeigt sich bei den deutschen Tagebaurevieren besonders drastisch. Über Jahrzehnte hat die Kohle das Leben in den Revieren geprägt. Sie brachte Arbeit, aber auch Schmutz und Umweltzerstörung und trotzdem sehr spezifische regionale Identitäten in der Bevölkerung hervor. Die Revierwende ist Teil des von Michael Soder beschriebenen Suchprozesses, mit welchem die Menschen und ihre Identitäten auf die kommende Transformation vorbereitet und auf diesem Weg mitgenommen werden sollen. Fünf Regionalbüros sind dafür auf drei deutsche Bergbaugebiete im Ruhrgebiet, der Lausitz und Mitteldeutschland verteilt.

In Berlin kommt noch eine Bundeskoordination hinzu. „Die Revierwende ist das einzige Projekt aus der Förderrichtlinie mit einem bundesländerübergreifenden Ansatz“, sagt Frederik Moch. „Wir gewährleisten einen Austausch, auch über verschiedene Interessengruppen hinweg. Über die Revierwende gibt es einen Dialog zwischen Gewerkschaften, Arbeitgeber:innenorganisationen und Kammern.“ Dabei geht es auch immer um die Stärkung gewerkschaftlicher Präsenz und Strukturen in den Revieren. Das ist vor allem in Ostdeutschland relevant, wo Gewerkschaften schwächer aufgestellt sind als in anderen Teilen Deutschlands.

Schnittstelle des Kohleausstiegs

Welche konkreten Ziele verfolgt nun die Revierwende? Frederik Moch nennt drei Hauptaspekte: Netzwerkarbeit, Bildung und Weiterbildung sowie Coaching und Beratung. In einem Informationsflugblatt über das Angebot der Revierbüros vor Ort wird das Leistungsangebot beschrieben. Angeboten werden unter anderem Veranstaltungen zur Strukturgestaltung und zu Innovationsthemen, Austausch- und Netzwerktreffen mit regionalen Akteur:innen, Innovationswerkstätten sowie Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit zur Strukturentwicklung, zur Strukturberichterstattung sowie zu wirkungsvollen Ansätzen aus den Revieren.

Die Stimme der Beschäftigten soll auf Augenhöhe mit anderen Stakeholdern in diesem Prozess zu hören sein.

Frederik Moch, Leiter des Projekts „Revierwende“

Daneben sucht die Revierwende auch aktiven Kontakt mit der Bevölkerung, etwa über eine Bodenzeitung. „Das ist ein Mittel, um niederschwellig Meinungen auszutauschen.“ Dafür geht die Revierwende an Orte des öffentlichen Lebens, auf Feste oder in Fußgängerzonen – etwa zum 1. Mai 2022 in Cottbus und Görlitz oder zum Ostritzer Friedensfest am 21. Mai 2022. Auf ihrer Bodenzeitung stellte das Revierwende-Team die Frage: „Wie wird der Strukturwandel dein Leben beeinflussen?“ In ihrem Newsletter fasst das Team Lausitz das Ergebnis der Aktion so zusammen: „In den Gesprächen wurde deutlich, dass die Energieversorgung die größte Herausforderung des Braunkohleausstiegs darstellt. Viele der Angesprochenen waren sich zugleich sicher, dass sie in der Region bleiben und auch zukünftig ihre Qualifikationen gebraucht werden.“

Kohleausstieg bedarf Aufklärungsarbeit

Solche Straßenaktionen sind arbeitsintensiv, und es bedarf viel Aufklärung über die Folgen des Kohleausstiegs. Denn obwohl der Kohleausstieg in den Revieren sehr präsent sei, so Moch, wüssten wenige in der Bevölkerung über die tatsächlichen Auswirkungen und Folgen Bescheid. Dies sei gerade für die Lausitz von Belang, denn hier habe die Kohle eine überdurchschnittliche Verankerung innerhalb der Bevölkerung. Allerdings gibt es in der Lausitz auch die größten Unternehmensinvestitionen. Ein Beispiel hierfür ist die Errichtung eines neuen Fahrzeuginstandhaltungswerks der Deutschen Bahn in der Region. Bis 2026 sollen hier 1.200 neue Jobs entstehen, 500 davon bereits mit der Fertigstellung der ersten Wartungshalle im Jahr 2024.

Interessant ist hier das Zusammenspiel verschiedener Akteur:innen: So hat die Lausitzer Energie und Bergbau AG, kurz LEAG, ein Kooperationsabkommen mit der Deutschen Bahn abgeschlossen. Die LEAG ist Deutschlands zweitgrößter Stromerzeuger. Sie betreibt in der Lausitz den Tagebau Jänschwalde, der unter anderem die Stadt Cottbus mit Fernwärme versorgt. Das zum Tagebau gehörende Kohlekraftwerk Jänschwalde liegt auf Platz sieben der Weltrangliste der Kraftwerke mit den meisten Emissionen. Bis 2038 sollen sowohl die verbliebenen Tagebaue in der Lausitz als auch das Kraftwerk Jänschwalde stillgelegt werden.

Junge Generation im Strukturwandel

Wie dringend nötig Zukunftsperspektiven sind, wie sie vom neuen Werk der Deutschen Bahn geschaffen werden, zeigt eine vom Team Lausitz in Auftrag gegebene Umfrage unter Jugendlichen. Darin gaben 50 Prozent der rund 320 Jugendlichen an, in der Region bleiben zu wollen. Rund ein Drittel hatte sich noch nicht festgelegt. In einem Begleittext der Revierwende zu diesen Daten heißt es: „Der Strukturwandel betrifft die jungen Generationen viel länger und umfassender als die ‚ältere‘ Bevölkerung. Ein:e heute 16-Jährige:r ist zum Kohleausstieg 2038 31 Jahre alt und hat danach noch 36 Jahre im Erwerbsleben – bestenfalls in der Lausitz – vor sich.“

Damit dies so bleibt, plant die Revierwende spezielle Workshops für junge Menschen. Ein Fazit der Revierwende, das gleichermaßen für Österreich gilt: „Genauso wichtig ist die Beteiligung von jungen Menschen in Vereinen und Gewerkschaften. Insbesondere in Gewerkschaften und in den Jugend- und Auszubildendenvertretungen haben sie unmittelbaren Einfluss auf die Ausbildungsbedingungen in den Betrieben. Dadurch können demokratische Debatten und Selbstwirksamkeit erfahrbar werden.“

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