Kinderbetreuung wird zur Teilzeitfalle
In Österreich sind derzeit 330.000 Kinder unter sechs Jahren in Betreuungseinrichtungen untergebracht. Und nur bei der Hälfte dieser Plätze sind die Öffnungszeiten so gestaltet, dass die Eltern Vollzeit arbeiten können. Bei den unter Dreijährigen sind es nur 17,6 Prozent der Plätze, wie der Kinderbetreuungsmonitor der Bundesregierung im April 2024 zeigte. Das wirkt sich vor allem auf das berufliche Leben von Müttern aus, da sie meistens die Care-Arbeit übernehmen. Das heißt: Männer arbeiten unabhängig vom Alter des Kindes weiter. In den vergangenen Jahren waren stets zwischen 81 und 87 Prozent der Väter vollzeitbeschäftigt. Bei Frauen ist das anders. Nur 10 bis 16 Prozent der Mütter von Kindern in den ersten fünf Lebensjahren arbeiteten Vollzeit.
Das zieht für Mütter diverse Probleme nach sich. Fehlende Pensionsjahre bedeuten ein höheres Risiko, später in Altersarmut zu leben. Der Equal-Pension-Day gibt beredt Auskunft über die Probleme. Teilzeitangestellte haben außerdem weniger Aufstiegsmöglichkeiten im Beruf. „Die Leidtragenden der fehlenden Kinderbetreuung in Österreich sind aber nicht nur die Mütter“, sagt Eva-Maria Burger, Abteilungsleiterin für Frauen und Familie in der Arbeiterkammer Wien. „Es fehlen hier massiv finanzielle Mittel, um die Kinderbetreuung sowohl qualitativ als auch quantitativ auszubauen. Und darunter leiden die Kinder genauso.“
Reine Kinderbetreuung statt Bildung
Besonders im Kindergarten sollte es Raum für Elementarbildung geben, die essenziell für die weitere Entwicklung der Kinder ist. Sind aber die Gruppen zu groß und ist der Personalschlüssel zu niedrig, bleibt diese pädagogische Arbeit auf der Strecke. In vielen Kindergärten fokussiert man sich aufgrund des Personalmangels gezwungenermaßen auf die reine Kinderbetreuung. „Die Elementarpädagog:innen sind gut ausgebildet und qualifiziert“, sagt Burger. „Für viele ist die Arbeit eine Berufung, mit der sie die Zukunft gestalten wollen. Doch viele berichten, dass sie in der aktuellen Personalsituation wenig Möglichkeiten haben, pädagogisch zu arbeiten. Darunter leiden besonders jene Kinder, bei denen die frühkindliche Bildung nicht zu Hause passiert.“ Und dadurch gingen laut Burger Chancen verloren.
Im Kindergarten sollte eine intensive Sprachförderung stattfinden, die darüber entscheiden kann, wie erfolgreich insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund oder auch solche mit sprachlichen Schwierigkeiten später ihr Berufsleben und ihren Alltag meistern. Auch fehle es an Plätzen für Kinder mit Behinderungen. In Burgers Augen seien neben den Kindern auch die Elementarpädagog:innen selbst Leidtragende der prekären Situation.
Nötig wäre eine Aufstockung des Budgets, und die ist – zumindest teilweise – auf den Weg gebracht. 2023 wurde von der Bundesregierung versprochen, dass bis zum Jahr 2030 4,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Elementarpädagogik zur Verfügung gestellt werden. Reichen werde das nicht, so Burger: „Es ist ein erster Schritt. Aber das Budget ist nur bis 2028 fixiert, darüber hinaus sind die Mittel bisher nichts weiter als ein Versprechen.“ Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fließen lediglich 0,72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Österreichs Kindergärten. Der OECD-Schnitt liegt bei 0,89 Prozent.
Skandinavisches Vorbild
Ein Land, in dem Elementarkinderbetreuung gut funktioniert, ist Dänemark. Dort wird ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Kindergärten investiert. Das bräuchte es auch bei uns, sagt die AK-Expertin: „Auch mit den versprochenen 4,5 Milliarden Euro werden wir den gewünschten Prozentsatz von einem Prozent des BIP pro Jahr nicht erreichen. Dabei wäre das dringend notwendig – um den Ausbau der Elementarbildung voranzutreiben und den Bedarf an Pädagog:innen zu decken.“
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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) September 11, 2024
Die EU hat bereits vor über 20 Jahren konkrete Zielsetzungen in Bezug auf die Betreuungsquote von Kindern festgelegt. Die sogenannten Barcelona-Ziele hatten Österreich kurz nach der Jahrtausendwende dazu verpflichtet, bis 2022 Kindergartenplätze für 33 Prozent aller Kinder unter drei Jahren bereitzustellen. Die Republik hat das Ziel verfehlt und daraufhin schlichtweg eine neue Quote mit dem Rat der EU ausverhandelt, sie beträgt nun nur noch 31,9 Prozent. Ungeachtet dieser Versäumnisse gilt für die Zukunft das Ziel, bis 2030 45 Prozent der unter Dreijährigen eine Betreuung zu ermöglichen.
Die Arbeiterkammer fordert gemeinsam mit den anderen Sozialpartner:innen und der Industriellenvereinigung seit mehreren Jahren von der Regierung einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag. Weiters wird ein zweites kostenloses Kindergartenjahr für alle gefordert – auch, um den Bedarf und die Menge der fehlenden Plätze besser definieren zu können, so Eva-Maria Burger: „Wir wissen aktuell nicht genau, wie viele Plätze fehlen, weil Eltern sich einfach anders organisieren, wenn die Kindergartenbetreuung für sie nicht funktioniert.“ Wäre der Personalspiegel höher und wären qualitative Kinderbetreuungsmöglichkeiten flächendeckend sowie ganzjährig vorhanden, würde sich auch zeigen, wie groß der Bedarf wirklich ist. Eine Frage, der sich Österreich stellen muss.
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