Gefallene Corona-Heldinnen

Illustration gefallene Heldinnen
Illustration (C) Adobe Stock
Frauen und Mütter trifft die Corona-Krise in allen Lebensbereichen am härtesten, das zeigen auch aktuelle Studien. Sie medial als Heldinnen zu positionieren ist nicht nur unzureichend, sondern gefährlich. Und was ist eigentlich mit dem Familienhärtefonds? Der hilft, wenn überhaupt, nur wenigen.
Jede große Krise enthüllt all die kleinen, schon immer dagewesenen Krisen, die in einer Gesellschaft brodeln und die Menschen in ihr an ihre Grenzen bringt. Schlecht bezahlte, prekäre Anstellungsverhältnisse und Arbeitsbedingungen, eine ungerechte Vermögensverteilung und ungleiche Gehälter zwischen den Geschlechtern, bedingt durch die ungleiche Aufteilung der Care-Arbeit – das alles waren bereits Probleme vor der Corona-Krise. Die Leidtragenden waren und sind immer strukturell benachteiligte Personen in schlecht bezahlten Branchen – also Alleinerziehende zum Beispiel oder auch Erwerbslose, die mit der Abschaffung der Mindestsicherung und der Einführung der Sozialhilfe noch tiefer in die Armut schlittern. In allen Fällen tragen aber, wie so oft, Frauen das Leid und die Verantwortung einer wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen Krise.

Die Missstände werden jetzt noch deutlicher

Man muss nur die Augen aufmachen: Frauen in systemrelevanten Branchen, Frauen in nicht systemrelevanten Branchen und in Kurzarbeit, Frauen im Homeoffice, Frauen mit Kindern, alleinerziehende Mütter, arbeitslose Mütter, Frauen in Karenz, Pensionistinnen – sie alle ertrinken in einem Monsun aus Lohnarbeit, Care-Arbeit, finanzieller Sorge, Existenz- und Zukunftsängsten. Doch Maßnahmen, die für sie eine angemessene Unterstützung und Entlastung bringen würden, bleiben oft aus, sind zu gering bemessen oder lassen lange auf sich warten. In einem wirtschaftlichen System, in dem der Wert der Arbeitszeit so kalkuliert wird, dass Arbeitgeber*innen maximalen Profit herausschlagen, während Arbeitnehmer*innen gerade mal von Monat zu Monat leben können, sind solche Maßnahmen zur Entlastung vielleicht auch gar nicht erwünscht.

In einem wirtschaftlichen System, in dem der Wert der Arbeitszeit so kalkuliert wird, dass Arbeitgeber*innen maximalen Profit herausschlagen, während Arbeitnehmer*innen gerade mal von Monat zu Monat leben können, sind solche Maßnahmen zur Entlastung vielleicht auch gar nicht erwünscht.

Das Resultat: Personen, die allein schon ihr Geschlecht potenziell zum Kindergebären zwingt und die deshalb für den Arbeitsmarkt nicht im selben Ausmaß zur Verfügung stehen wie diejenigen, die das eben nicht können. Die weitere Konsequenzen: schlechtere Bezahlung aufgrund andauernder Teilzeitbeschäftigung, Abhängigkeit vom besser verdienenden Partner, enorme Belastung als Alleinerzieherin, Einbußen bei der Alterspension aufgrund von Karenz, Teilzeitarbeit usw. So sitzt also die patriarchale Gesellschaftsstruktur am Beifahrersitz, direkt neben dem Kapitalismus, der am Steuer sitzt, und fährt über arbeitende sowie arbeitslose Frauen und Mütter drüber.

Frauen fühlen sich noch mehr im Stich gelassen

Vor welchen Herausforderungen dabei Frauen in Österreich während COVID-19 stehen, behandeln zwei aktuelle Studien des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) und des „Triple M Matzka“ Markt- und Meinungsforschungsinstituts im Auftrag der SPÖ-Bundesfrauen. Beide Studien kamen zu dem Schluss, dass Frauen – sowohl in systemrelevanten Wirtschaftsbereichen als auch im Homeoffice – einer stärkeren Belastung ausgesetzt sind als Männer. Zwar waren Frauen seit Beginn der Corona-Krise weniger von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer, jedoch lastet die Doppelbelastung durch Lohnarbeit und Betreuungspflichten noch schwerer auf ihren Schultern. Auffällig ist auch, dass es besonders Frauen in gering qualifizierten Branchen sind, die ihren Job beibehielten, höher qualifizierte Frauen waren im Vergleich zu Männern öfter von Kündigung betroffen. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass Frauen im Lebensmittelverkauf, der Pflege oder ähnlichen systemrelevanten und gering bezahlten Branchen billigere Arbeitskräfte sind, nicht nur weil diese Bereiche schon an sich schlechter bezahlt werden, sondern weil auch hier Frauen aufgrund von unbezahlter Care-Arbeit in Teilzeit angestellt sind.

Zwar waren Frauen seit Beginn der Corona-Krise weniger von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer, jedoch lastet die Doppelbelastung durch Lohnarbeit und Betreuungspflichten noch schwerer auf ihren Schultern.

Die Ängste und Belastungen der von den SPÖ-Bundesfrauen befragten Teilnehmerinnen sind zwar nicht verwunderlich, aber deshalb nicht weniger erschreckend und zermürbend. Rund die Hälfte der befragten Frauen hat Angst um ihren Job und geht davon aus, dass sich ihre berufliche Situation durch Corona verschlechtern wird. Für ein Viertel der Befragten hat der Pflegeaufwand noch mehr zugenommen, und vier von zehn Frauen haben das Gefühl, dass die Aufteilung der Kindererziehung mit dem Partner nicht gerecht abläuft. Jede zweite arbeitslose Frau fühlt sich außerdem von der öffentlichen Hand nicht ausreichend unterstützt – und damit sind wir auch schon beim Familienhärtefonds.

Familienhärtefonds schließt Familien aus

Seit dem 15. April können Eltern, die wegen Corona von Arbeitslosigkeit betroffen sind, einen Antrag für den sogenannten Familienhärtefonds stellen. Das Budget beläuft sich auf 30 Millionen Euro, pro Kind erhält man 50 Euro für maximal drei Monate. Dieser Fonds wurde vergangene Woche in der „Kronen Zeitung“ mit Familienministerin Christine Aschbacher fast propagandistisch bebildert. Das Foto ist dabei bezeichnend, ja fast zynisch: Aschbacher ist mit einem heterosexuellen Paar und ihren zwei Kindern abgebildet, sie steckt einem der Babys einen 100-Euro-Schein zu, der Blick des Säuglings verrät, was sich alle denken: „Das ist alles?“ Ja, das ist alles.

Aber auch nur, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Um diese zu erfüllen, muss man laut dem Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend eine klassische, ja konservative Familienkonstellation aufrechterhalten haben, die noch dazu wirtschaftlich etwas geleistet haben muss. Das bedeutet, dass man nur dann Anspruch auf eine Hilfeleistung hat, wenn man wegen Corona seinen Job verloren hat. Wer schon davor arbeitslos war und jetzt Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe bezieht, sieht nichts vom Familienhärtefonds, denn der gilt nur für Menschen, die sich „neu“ in einer Krise befinden. Andauernde Arbeitslosigkeit ist für das Ministerium nicht Krise genug. Dass es auch Mindestsicherungsbezieher gibt, die arbeiten, um ihre Mindestsicherung aufzustocken, dürfte dort auch nicht bekannt sein – ja, noch schlimmer: Geringfügig Angestellte haben ebenfalls kein Recht auf Hilfen. Die Armutskonferenz beklagt, dass es wieder die ärmsten Kinder sind, die beim Familienhärtefonds durch die Finger schauen.

Alleinstehenden Frauen in Karenz wird zusätzlich ein Bein gestellt, weil sie sich, wenn sie karenziert sind und ohne Partner im selben Haushalt leben, nicht für den Familienhärtefonds qualifizieren. Familie wird wohl im „Familienhärtefonds“ sehr wörtlich genommen.

Alleinstehenden Frauen in Karenz wird zusätzlich ein Bein gestellt, weil sie sich, wenn sie karenziert sind und ohne Partner im selben Haushalt leben, nicht für den Familienhärtefonds qualifizieren. Familie wird wohl im „Familienhärtefonds“ sehr wörtlich genommen: Die Voraussetzung, dass man mit Kindern und Partner im selben Haushalt lebt, um Geld beziehen zu können, ist zentral. Alleinerziehende Frauen, deren Ex-Partner beispielsweise wegen Corona arbeitslos geworden ist und Schwierigkeiten bei den Unterhaltszahlungen haben, können daher auch nichts beantragen.
Doch so, wie es zurzeit aussieht, haben noch nicht einmal diejenigen die ihnen zustehende finanzielle Unterstützung erhalten, die grundsätzlich einen Anspruch haben. In den sozialen Medien liest man vermehrt von verzweifelten Eltern, die weder eine Rückmeldung vom Ministerium auf ihre Antragstellung, geschweige denn Geld erhalten haben. „Nichts passiert“, „Niemand meldet sich“, heißt es auf Facebook und auf Twitter.

Toxische Erwartungshaltung

Frauen und besonders Mütter stehen vor einer außerordentlich belastenden Situation, denn schon vor dieser Krise war die Vereinbarung von Lohn- und Care-Arbeit ein Knochenjob. Trotz Kindertagesstätten und Schulen übernahmen Frauen einen großen Teil der Sorgearbeit und arbeiteten in Teilzeitbeschäftigungen. Diese Belastung wird ihnen traditionell zugemutet, ja sogar abverlangt. Diese Doppel- und Dreifachbelastung von Frauen ist staatlich legitimiert, das merkt man besonders in Krisenzeiten, wenn klar wird, wer von staatlicher Hilfe profitiert: nämlich konservativ-heteronormative Paare, die genügend wirtschaftliche Leistung vorweisen können.

Der Helden-Topos impliziert, dass all diese doppelt belasteten Arbeiter*innen superstark sind, alles aushalten, kein Problem mit der Belastung haben. Doch das ist nicht wahr. Es sind strukturell benachteiligte Menschen.

Nun werden kapitalistische und patriarchale Gesellschaftsstrukturen für arbeitende und arbeitslose Menschen, insbesondere für Frauen, in der Krise noch unerträglicher. Und was passiert? Sowohl staatliche Institutionen als auch die Privatwirtschaft verschwenden Budget für nette Werbemittel. Schließlich ist es billiger, ein „Danke!“ auf Plakate zu drucken oder in den sozialen Medien zu posten. Überall hören und lesen wir von unseren „Helden und Heldinnen“. Diese Propaganda ist aber nicht nur zynisch, sondern brandgefährlich: ein Held, eine Heldin sind halbgöttliche Wesen, unbezwingbar, besitzen übermenschliche Stärke. Der Helden-Topos impliziert, dass all diese doppelt belasteten Arbeiter*innen superstark sind, alles aushalten, kein Problem mit der Belastung haben. Doch das ist nicht wahr. Es sind strukturell benachteiligte Menschen, die auf Unterstützung und Hilfe angewiesen sind. Mit dem Lob, dass sie Held*innen wären, können sie nicht viel anfangen.

Was kostet die Welt nach der Krise?

Ein guter Anfang wäre, den Corona-Tausender für Beschäftigte im Gesundheitsbereich, in Produktionsbetrieben, in Supermärkten, bei Rettungsorganisationen, in der Luftfahrt, in Schulen, Kindergärten und vielen, vielen mehr zuzusichern. Das allein reicht aber noch nicht – was kostet die Welt nach der Krise? Wer muss zahlen? Es dürfen nicht diejenigen sein, die von Monat zu Monat leben und schuften. Über eine Reichensteuer wird ja in der Politik noch immer nur sehr zimperlich diskutiert. Vielleicht will man sich Parteifreunde und -spender nicht vergraulen. Bleibt nur noch die Frage: Wie viele Krisen braucht es noch, bis diejenigen mit den fettesten Geldbeuteln der arbeitenden – und vor allem weiblichen – Mehrheit endlich nicht mehr auf den winzigen Taschen liegen.

Über den/die Autor:in

Vanja Nikolić

Vanja Nikolić studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien und ist Texterin, freie Journalistin und Kolumnistin bei die.anschläge.

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