Die Kehrseite der Elektro-Automobilität: Folgen des chilenischen Lithium-Extraktivismus

Zwei Arbeiter des chilenischen Chemieunternehmens in Schutzanzügen.
Zwei Arbeiter des chilenischen Chemieunternehmens in Schutzanzügen. | © Nina Schlosser
Bis zum Jahr 2030 soll jedes dritte Auto in der Europäischen Union ein E-Auto sein. Doch andere Länder zahlen einen hohen Preis für unser Umweltbewusstsein. Der Lithium-Hauptlieferant Chile leidet unter dem Abbau des silberweißen Leichtmetalls.

Der Klimawandel ist unumkehrbar. Der Carpitalismus ist es nicht. Um diesen zu überwinden und somit der Klimakatastrophe entsprechend zu begegnen, bedarf es aber einer Abkehr von fossilistischer Automobilität. Schließlich ist diese laut der Internationalen Energieagentur für etwa 70 Prozent der CO₂-Emissionen innerhalb des Transportsektors verantwortlich. Und dieser trägt immerhin etwa acht Prozent zu den weltweit ausgestoßenen klimaschädlichen Gasen bei. Deswegen soll spätestens ab dem Jahr 2030 jedes dritte Auto in der Europäischen Union elektrisch betrieben sein. Infolgedessen verschärfen sich allerdings zwei andere Probleme, eines hierzulande und ein anderes andernorts. Zum einen nimmt Verkehr auf diese Weise noch lange nicht ab, ganz im Gegenteil. Zum anderen erhöht sich der Druck auf die Natur und Gesellschaften in Ländern wie Chile, Hauptlieferant für Lithium der EU.

Lithium: Bedarfe und Rohstoff-Governance

Die Lithium-Ionen-Batterie eines durchschnittlichen Mittelklasse-Wagens benötigt zwischen acht und 40 kg des Leichtmetalls. Und während es im Jahr 2010 gerade mal 10.000 E-Autos weltweit gab, zehn Jahre später aber schon 10 Millionen, rangiert Lithium bereits fast ganz oben auf der Liste des Critical Raw Materials Act. Als Teil des kürzlich veröffentlichten Green Deal Industrial Plan der EU-Kommission regelt dieser, dass die EU bis 2030 nicht mehr als 65 Prozent eines Rohstoffes aus einem einzigen Drittland beziehen soll. Bis dahin benötigt die EU aber 18-mal mehr von dem Leichtmetall und importiert gegenwärtig 80 Prozent des Lithiums aus Chile.

Ökologische Folgen

Im Norden des Landes, im Salar de Atacama, lagern gemäß dem US Geological Survey die größten Lithiumreserven der Welt. Mit dem Durchbruch des E-Autos wurden die Abbaukapazitäten der beiden im Salar operierenden Unternehmen, dem chilenischen Konzern Sociedad Química y Minera (SQM) und dem US-amerikanischen Chemieriesen Albemarle, gleich verdreifacht. Und damit verschärften sich auch die ökologischen Probleme.

Schließlich erfordert die Herstellung von Lithiumcarbonat oder -hydroxid, also die Endprodukte von Lithium in Chile, Unmengen von Wasser. Zum einen, weil es neben Lithium Teil der Sole ist, das während der monatelangen Lagerung unter der starken Sonneneinstrahlung auf über 2.300 Metern über dem Meeresspiegel verdunstet. Andererseits wird Wasser zur Weiterverarbeitung und zum Reinigen der riesigen Anlagen benötigt. Und das in der trockensten Wüste der Welt.

Ein Flamingo steht in der Laguna Chaxa in Chile.
Laguna Chaxa in der Reserva Nacional Los Flamencos ist noch der beste Ort, um Flamingos zu beobachten. Die Populationen haben im Zuge der Lithiumextraktion der vergangenen Jahre aber bereits nachweislich abgenommen. | © Nina Schlosser

In der Sole tummeln sich aber auch Mikroorganismen. Diese sind sowohl für das fragile Ökosystem als auch die endemischen Flamingos, deren Population in den letzten Jahren bereits um etwa zehn Prozent abgenommen hat, lebensnotwendig. Welche ökologischen Folgen die durch die Lithiumextraktion ausgelöste Abwärtsspirale noch zeitigt, bleibt abzuwarten.

(K)Ein Recht auf Wasser

Die Grundlage zum Überleben oder vielmehr ein gutes Leben ist auch für den Menschen gefährdet. Denn die Soleextraktion führt zum Absinken des Grundwasserspiegels und zur Versalzung der wenigen Reserven. Einige Menschen versuchen aber auch weiterhin, ein Leben basierend auf Subsistenzwirtschaft zu führen. Das heißt, sie versorgen sich selbst, indem sie Quinoa, Mais und Obstsorten wie die heimische Osterbirne anbauen. Außerdem halten sie Lamas, Alpakas und Schafe. Die Menschen teilen und tauschen diese Güter untereinander und brauchten daher bis vor einigen Jahren kaum Geld, berichtet eine Frau aus Coyo, einer Gemeinde im Salar. In anderen Gemeinden gibt es nunmehr so wenig Wasser, dass Landwirtschaft und Wanderweidewirtschaft kaum mehr möglich sind. Jedoch ist Wasser in Chile als einzigem Land der Welt fast vollständig privatisiert. Wer die Rechte nicht hält, hat schlicht kein Wasser und muss es kaufen. Zum Beispiel vom Lohn als Lithium-Arbeiter*in.

Arbeitsbedingungen

Zwar ist der Abbau von Lithium genauso wie bei anderen Naturgütern vor allem kapital- und wenig arbeitsintensiv. Trotzdem entstehen Arbeitsplätze. So beschäftigt Albemarle etwa 800 Menschen in Chile (weltweit 5.900), davon kommen 83 Prozent aus der Lithium-Region Antofagasta. 40 Prozent sind indigen und 14 Prozent weiblich. Bei einem Besuch der Anlagen im Januar dieses Jahres haben allerdings die einzigen (indigenen) Frauen entweder das Bad geputzt oder den männlichen Arbeitern in der Kantine das Essen ausgeteilt. Eine indigene SQM-Beschäftigte bezeichnet den Konkurrenten als machistisch, chauvinistisch. Auf indigene Männer hingegen wirken beide Arbeitgeber und vor allem die Schichten 7×7, also sieben Tage durcharbeiten, danach 7 Tage ausruhen, recht attraktiv. Sie wollen die schwere Arbeit auf dem Feld nicht verrichten, sondern Geld verdienen. Und davon kaufen sie sich mitunter riesige Geländewagen, was diametral ihrer eigentlich kulturell bedingten solidarischen Lebensweise gegenübersteht.

Verdunstungsbecken des US-amerikanischen Lithiumkonzerns Albemarle
Verdunstungsbecken des US-amerikanischen Lithiumkonzerns Albemarle im südlichen Teil des Salar de Atacama. Die am nähesten gelegene Gemeinde Peine ist besonders stark von den Auswirkungen wie Wassermangel betroffen. | © Nina Schlosser

 

Globale radikale Transformation für ein gutes Leben für alle

Dafür kämpfen aber die sozialen Bewegungen wie zum Beispiel in der Hauptstadt Santiago. Die Forderungen nach einem radikalen Wandel und somit sozialer Gleichheit, ökologischer Gerechtigkeit, politischer Teilhabe und der Gewährleistung kultureller Rechte bestehen auch nach dem verlorenen Referendum vom 4. September 2022 fort. Um ein gutes Leben für alle in Chile zu gewährleisten, bedarf es gleichzeitig anti-carpitalistischen Aktionen wie denen beim geplanten Ausbau der Lobau-Autobahn. Eine radikale Mobilitätswende, die nur ein Ziel der Klimaaktivist*innen in Österreich ist, ist aber nicht nur aus internationaler Solidarität geboten. Sondern auch, um die Ausbreitung einer imperialen Lebensweise, wie Markus Wissen und Ulrich Brand die vorherrschenden (automobilen) Produktions- und Konsummuster nennen, hierzulande aufzuhalten. „Wohlstand muss mit weniger Konsum gesichert werden“, insistiert Brand, Professor für internationale Politik an der Uni Wien. Dabei geht es nicht nur um weniger, sondern auch um anders.

Am Beispiel Mobilität zeigen Initiativen wie Berlin autofrei, wie Innenstädte ohne Autos, aber mit mehr Bussen und Bahnen, mehr Platz für Rad- und Fußverkehr, Spielplätze, Bänke und Begegnungen schaffen. Gute Arbeitsbedingungen im und die kostenlose Nutzung des ÖPNV gehören dazu, erklärt die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Wenn eine aufgeklärte Zivilgesellschaft schließlich eher in den Bus, als ins eigene Auto steigt, weil es geht und sie es vorzieht, dann nähern wir uns einer Mobilitätswende. Damit könnte nicht nur der ökologischen, sondern auch der sozialen Krise entgegenwirkt werden. Und die hätte bestenfalls Strahlkraft bis nach Chile.

Über den/die Autor:in

Nina Schlosser

Nina Schlosser ist politische Ökonomin, Doktorandin der Sozialwissenschaften und Aktivistin. An der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und an der Universität Wien forscht Nina zum Lithiumextraktivismus in Chile. Sie ist Mitglied des Graduiertenkollegs "Krise und sozial-ökologische Transformation" der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin.

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