Die Hotline der Würde und der Rechte 

Illustration Corona Hotline
Illustration (C) Natalia Nowakowska
Arbeiterkammer und ÖGB haben eine Hotline zu Rechtsfragen inmitten der Corona-Krise aus dem Boden gestampft. Tausende rufen hier täglich an. Wenn man ihnen zuhört, zeigt sich: Viele Arbeitgeber sitzen offenbar dem Irrglauben auf, dass im Moment alles möglich sei. Doch das stimmt nicht. Wer sind die Menschen hinter der Hotline? 

Ein paarmal läutet es, dann ist eine Dame dran. Sie redet leise und fast entschuldigt sie sich dafür, die Leitung zu blockieren. Andere, meint sie, haben doch bestimmt noch viel größere Probleme als sie, ob sie vielleicht noch warten soll? Aber Nicol Gruber am anderen Ende fragt sie: Warum rufen Sie an? Und dann stellt sich heraus: Die junge Frau ist schwanger und soll entlassen werden, weil ihr Chef behauptet, das Arbeitsrecht und damit der Kündigungsschutz seien nicht mehr gültig. Das ist schrecklich, antwortet Nicol Gruber, gut, dass Sie sich melden.  

Die junge Frau ist schwanger und soll entlassen werden, weil ihr Chef behauptet, das Arbeitsrecht und damit der Kündigungsschutz seien nicht mehr gültig. Das ist schrecklich, antwortet Nicol Gruber, gut, dass Sie anrufen.

Es sind historische Ereignisse in Österreich gerade. Das Parlament tritt an einem Wochenende zusammen, übrigens erst das vierte Mal in der Geschichte überhaupt. Und anstatt sich gegenseitig zu blockieren werden im Schnelldurchgang neue Richtlinien beschlossen. Denn eine Pandemie hat Österreich erfasst, Grund dafür ist Virus, COVID-19, hierzulande nennt man ihn Corona-Virus, der sich über die ganze Welt ausbreitet. Und die ganze Welt verändert. Auch Österreich. Denn der Corona-Virus gefährdet nicht nur die Menschen, sondern auch die Wirtschaft. Und ja, damit natürlich wieder die Menschen. 

An jenem Ausnahme-Wochenende nehmen die Abgeordneten plötzlich Milliarden in die Hand – erst vier, ein paar Tage später sogar weitere 34 Milliarden Euro – und sie schnüren daraus Hilfspakete für den Arbeitsmarkt. Dabei fallen ungewohnte Sätze: Koste es, was es wolle. Oder: Das Nulldefizit ist abgesagt. Es gibt nur ein wichtiges Ziel. Arbeitsplätze zu sichern.  

Es sind genau diese Stunden, in denen die Sozialpartner erkennen: Die Menschen werden Fragen haben. Und Probleme. Und manche vielleicht schon morgen früh keinen Job mehr. In kürzester Zeit ziehen Arbeiterkammer und Gewerkschaften quasi über Nacht ein Beratungstelefon hoch und dafür Mitarbeiter*innen aus allen möglichen Sparten ein. Am Montagmorgen, nur wenige Stunden nach jener historischen Plenarsitzung, steht sie bereit: die Job-und-Corona-Hotline von AK und ÖGB. Und die Leitungen werden heiß laufen.  

Rekord-Andrang und glühende Leitungen

Bereits am ersten Tag rufen im Schnitt 750 Menschen pro Stunde an. Am Ende des zweiten Tages werden bereits 14.400 weitere Menschen die Nummer gewählt haben. Die Hotline-Berater*innen aber sitzen nicht etwa in einem gewaltigen Callcenter beisammen, sondern natürlich fast jeder zu Hause. Denn um die Verbreitung des Virus zu stoppen, wird dem ganzen Land Homeoffice empfohlen.

Nicol Gruber
„Wir sind in erster Linie ja auch psychologische Stütze, manche Menschen wollen auch einfach erst mal reden, die stecken ja im Moment in einer extrem unsicheren Situation“, beschreibt Nicol Gruber.

Eine von diesen Homeoffice-Telefonist*innen ist Nicol Gruber. Die 30-Jährige ist eigentlich AK-Referentin für Bildungspolitik und Digitalisierung. Jetzt berät sie dutzende Arbeitnehmer*innen, die nicht mehr weiterwissen. Nicol hat eine warme und ruhige Stimme. „Wir sind in erster Linie ja auch psychologische Stütze, manche Menschen wollen auch einfach erst mal reden, die stecken ja im Moment in einer extrem unsicheren Situation“, beschreibt sie.  

Nicol arbeitet im sogenannten „First-Level-Support“, das heißt sie nimmt am Telefon auf, was die Menschen belastet und weshalb sie anrufen, geben es ein ins System, und sofern sich manche Fragen nicht schon direkt klären lassen, weist sie das Problem einem der Expert*innen – meist Jurist*innen – zu. Diese arbeiten dann in zweiter Reihe ab, was sich fachlich schwieriger gestaltet.  

Auch am Wochenende wird zurückgerufen

Von Anfang an ist der Ansturm auf die Job-und-Corona-Hotline so immens, dass die Menschen, die die Nummer 0800-22 12 00 80 wählen, gebeten werden, auf ein Band zu sprechen. Sobald wieder jemand frei ist, wird man zurückgerufen. Täglich von 9 bis 19 Uhr kann man sich melden, zwischen 7 und 21 reagieren die Hotline-Mitarbeiter*innen und rufen oder schreiben zurück. Sogar am Wochenende.

0800-22 12 00 80: Täglich von 9 bis 19 Uhr kann man sich melden, zwischen 7 und 21 reagieren die Hotline-Mitarbeiter*innen und rufen oder schreiben zurück. Sogar am Wochenende..

Was beschäftigt die Anrufer*innen eigentlich so? „Das Spektrum ist riesig“, sagt Nicol. Von Menschen, die gekündigt worden sind, über Kurzarbeit, Betreuungspflichten, manchmal riefen Familienmitglieder für ihre Liebsten an und erkundigten sich, aber auch Pflege und Wohnen sei ein Thema. „Es ist ein riesiger Andrang.“

Es melden sich sehr viele aus dem Einzelhandel und erzählen: Mein Arbeitgeber behauptet, das Arbeitsrecht sei jetzt gelockert oder sogar ganz aufgehoben, es gäbe keine Ruhepausen mehr und man müsse ab jetzt durcharbeiten“, berichtet Nicol Gruber.

Es melden sich sehr viele aus dem Einzelhandel und erzählen: Mein Arbeitgeber behauptet, das Arbeitsrecht sei jetzt gelockert oder sogar ganz aufgehoben, es gäbe keine Ruhepausen mehr und man müsse ab jetzt durcharbeiten“, berichtet Nicol Gruber, „und das ist wirklich arg. Andere erzählen mir, dass der Arbeitgeber anordnet, man müsse ab sofort Urlaub nehmen. Aber Urlaub kann gar nicht angeordnet werden, da braucht es immer die Zustimmung von beiden Seiten.“ Niemand kann in Zwangsurlaub ist geschickt werden. Bei manchen Chefs brechen also offenbar gerade alle arbeitsrechtlichen Dämme. „Und genau an solchen Stellen ist die Hotline so wichtig“, sagt die 30-Jährige. „Dass wir die Menschen darin bestätigen, dass sie recht haben und dass so etwas nicht geht.“ 

Ruhe und Konzentration statt Tränen

Auch Jakob Luger, 31, sitzt zu Hause und arbeitet Anrufe ab. Normalerweise arbeitet er im ÖGB Referat für Organisation, Koordination und ServiceIch hätte mir eigentlich erwartet, dass es auch einmal emotional werden könnte, dass jemand weint oder schreit zum Beispiel“, sagt er, „aber die Leute sind sehr ruhig und dankbar für das Telefonat. Sie haben zwar Angst um ihre Existenz, aber sind fokussiert auf den Sachverhalt. Sie bedanken sich tausendmal. Es geht echt sehr wertschätzend zu am Telefon.“ 

Jakob Luger
„Ich hätte mir eigentlich erwartet, dass es auch einmal emotional werden könnte, dass jemand weint oder schreit zum Beispiel“, sagt Jakob Luger, „aber die Leute sind sehr ruhig und dankbar für das Telefonat. Sie haben zwar Angst um ihre Existenz, aber sind fokussiert auf den Sachverhalt.“

Kalt lassen ihn manche Anrufe nicht. Er erinnert sich an ein Gespräch mit einem Vater, der für seinen Sohn angerufen hat. Dieser sei an Krebs erkrankt gewesen, gerade eben wieder in den Job eingestiegen. Der Vater erbat sich Informationen zur Kurzarbeit und habe sich große Sorgen gemacht. Jakob Luger: „Der war ziemlich am Ende. Da legt man schon mit einem argen inneren Gefühl auf. Auch bei Frauen, die mich verzweifelt anrufen und nicht wissen, wie sie die Kinder in den nächsten Wochen betreuen sollen. Da denk ich mir innerlich manchmal: Fuck, das sind schon harte Schicksale.“ 

Sogar die Chefs rufen an

Anrufe enthält Luger dabei jedoch nicht nur von verzweifelten Arbeitnehmer*innen: „Es melden sich auch immer wieder Arbeitgeber, vor allem aus kleineren Unternehmen, die sich ehrlich bei uns erkundigen, was sie machen sollen. Und da merkt man, dass Angst und Verzweiflung groß sind, aber auch Unwissenheit.“ Und zwar konkret beim Thema Kurzarbeit. So habe er den Eindruck, dass viele Arbeitgeber auch deshalb ihre Leute kündigen, weil es der vermeintlich einfachere Weg sei, sie sich nicht auskennen und oft auch weil sie sich gar nicht informieren wollen. „Teilweise ist es sicherlich auch eine Panik- und Angstreaktion“, fügt er hinzu. Hier müsse die Wirtschaftskammer deutlich mehr Unterstützung anbieten.

Was beschäftigt die Anrufer*innen eigentlich so? „Das Spektrum ist riesig“, sagt Nicol. Von Menschen, die gekündigt worden sind, über Kurzarbeit, Betreuungspflichten, manchmal riefen Familienmitglieder für ihre Liebsten an und erkundigten sich, aber auch Pflege und Wohnen sei ein Thema.

Das empfindet auch Nicol Gruber so. Es ergebe sich, erzählt sie, immer wieder der gleichzeitig so skurrile wie traurige Fall, dass Arbeitnehmer*innen ihre Chefs selbst darüber aufklären müssen, dass es Kurzarbeit gibt und wie man das umsetzt. Und dass die alte Regelung ja gar nicht mehr gelte, weil es längst eine neuere – viel bessere – gebe. Kurzarbeit birgt keine Nachteile für den Arbeitgeber. Alles – bis auf die tatsächliche Arbeitszeit – wird vom AMS abgedeckt.  

Jemand, der diese neuen Kurzarbeits-Richtlinien genauestens kennt, ist Birgit Sdoutz. Sie ist AK-Expertin im Arbeitslosenversicherungsrecht und seit Tag 1 bei der Job-und-Corona-Hotline dabei. Auch an sie die Frage: Ist es auf Arbeitgeberseite ein Nicht-Wissen oder ein Nicht-Wollen? „Ich glaube, teils-teils“, so die 40-Jährige. Man dürfe nicht vergessen, dass die Anmeldung gar nicht so unkompliziert sei. „Viele denken auch, es sei einfacher, die Mitarbeiter*innen jetzt zu kündigen und später einfach wiedereinzustellen, was natürlich nicht so ist.“  

Immer mehr Firmen gehen auf Kurzarbeit

Erst seit vergangenem Donnerstag können Arbeitgeber die Kurzarbeits-Anträge stellen – allerdings rückwirkend. Kurzarbeit ist unabhängig davon, wie lang man im Betrieb ist. Das gilt auch für Menschen, die gerade erst begonnen haben. Inzwischen schicken immer mehr, auch größere Unternehmen ihre Leute in Kurzarbeit: von der Airline AUA, über den Gastronomiegroßhändler Transgourmet Österreich (eine Coop-Tochter) bis zum Sportartikelhändler Sports Direct. Kurzarbeit ist inzwischen auch bei den Möbelketten XXXLutz und Kika/Leiner, aber auch beim Modehändler H&M zum Thema geworden.

Birgit Sdoutz ist überzeugt: „Es wird noch länger dauern und es werden noch mehr Arbeitslose werden. Das ist noch nicht ausgestanden.“

Im Hintergrund hört man immer wieder ihren kleinen Sohn. Denn Birgit Sdoutz arbeitet natürlich wie ihre Kolleg*innen im Homeoffice, und betreut nebenbei ihr Kind. Es ist fast 17 Uhr, ein paar Telefonate muss sie heute noch machen. Wie ist ihr Blick in die Zukunft? Sie antwortet mit ganz ruhiger und fester Stimme: „Es wird noch länger dauern und es werden noch mehr Arbeitslose werden. Das ist noch nicht ausgestanden.“ 

Die Arbeit in der Hotline empfinden alle drei – Birgit Sdoutz, Jakob Luger oder Nicol Gruber – als außerordentlich sinnvoll. Nicol: „Ich habe das Gefühl, jetzt kommen alle Ungleichheiten, die es eh schon am Arbeitsmarkt gibt, noch stärker zum Vorschein.“ Gerade sei der Moment, sagt sie, in dem man den Beschäftigten wieder Würde und Rechte geben müsse. „Nämlich um ihnen zu zeigen, dass sie Würde haben, und auch selbstbewusst auftreten können. Und ich habe das Gefühl, die Leute merken das jetzt auch. Sie merken, das ist der Moment, in dem eine institutionalisierte Arbeitnehmer*innenbewegung wichtig ist.“  

Es trifft die Verwundbarsten am Arbeitsmarkt

Solcherlei Ungleichheiten betreffen vor allem Frauen, die oft Gewalt in der Quarantäne ausgesetzt sind oder mehrfach belastet sind durch Betreuungspflichten. Oder diejenigen, die eh schon prekär verdienen. „Denn das sind die, die jetzt noch den Kopf hinhalten und draußen weiterarbeiten“, meint Jakob Luger. „Die Probleme potenzieren sich. Und es trifft die Verwundbarsten, die eh schon mit dem Rücken zur Wand stehen.“  

Nach etwas mehr als einer Woche sind bereits zehntausende Anrufe bei der Job-und-Corona-Hotline von AK und ÖGB eingegangen. Und es werden noch viele tausend dazukommen. Egal, wie unsicher die Zeiten noch werden, eines versichert Jakob Luger: „Wir rufen jeden zurück, niemand soll allein gelassen werden. Und wir machen das, solange es notwendig ist.“

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FAQs zu Job und Corona

Über den/die Autor:in

Anja Melzer

Anja Melzer hat Kunstgeschichte, Publizistik und Kriminologie in Wien und Regensburg studiert. Seit 2014 arbeitet sie als Journalistin und Reporterin für österreichische und internationale Zeitungen und Magazine. Seit März 2020 ist sie Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft.

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