Arbeit&Wirtschaft: Sie sind als Gewerkschafterin in Großbritannien in der Klimabewegung aktiv. Wie verbinden Sie diese beiden Punkte?
Clara Paillard: Die Klimakrise betrifft alle Menschen, Lohnabhängige aber ganz besonders. Denn als Reaktion auf die Klimakrise werden Jobs verschwinden und neue entstehen. Wie hier ein „gerechter Übergang“ für arbeitende Menschen gelingen kann, beschäftigt mich sehr.
Sie sind in einem Graswurzelnetzwerk aktiv. Wie kam es dazu? Und wie hängt das mit Ihrer gewerkschaftlichen Arbeit zusammen?
Das Netzwerk ist entstanden, weil unsere Gewerkschaft UNITE bislang keine effektiven Strategien gegen die Klimakrise und für Klimagerechtigkeit entwickelt hat. Es gab keine Vernetzung von sogenannten „green reps“, also betrieblichen Aktivist:innen, die sich um diese Themen kümmern. Unsere Gewerkschaft unterstützt offiziell immer noch klimaschädliche Formen der Energiegewinnung, wie Kohle, Gas oder Atomenergie. Gleichzeitig finden massive Änderungen statt, etwa in der Stahlindustrie, wo der TATA-Stahlkonzern (ein multinationaler Konzern mit Sitz in Mumbai, Indien, Anm. d. Red.) seinen Hochofen auf Lichtbogen-Technologie umstellt. Dadurch sind tausende Jobs gefährdet.
Welche Rolle spielen derartige Diskussionen in der Klimabewegung?
Infolge der Covid-Pandemie haben wir in Großbritannien die größte Streikwelle seit Jahrzehnten. In buchstäblich jeder Branche gab es Streiks für höhere Löhne. Eine Gruppe von Gewerkschafter:innen ist auf Klimaaktivist:innen wie Extinction Rebellion zugegangen, um Verbündete zu suchen. Ein Teil der Klimabewegung hat begonnen, Streikposten zu unterstützen und mit den Flaggen und Transparenten der Klimabewegung auf Streikdemos zu gehen. Wir konnten so tatsächlich mit Kolleg:innen Diskussionen über Klimagerechtigkeit starten. Umgekehrt haben wir, als es eine Massenblockade des britischen Parlaments durch die Klimabewegung gab, einen gewerkschaftlichen Anlaufpunkt mit Fahnen und Flugblättern geschaffen. Dort haben wir erklärt, warum wir es sinnvoll finden, dass sich Gewerkschafter:innen der Klimabewegung anschließen, und warum Klimaaktivist:innen die Gewerkschaftsbewegung unterstützen müssen.
Sie versuchen also die Trennung zwischen beiden Bewegungen aufzuheben. Gelingt das denn auf Ebene der Betriebe?
Eine meiner ersten Rollen als Gewerkschafterin war die eines „green rep“ in einem staatlichen Museum in Liverpool. Ziel war es, grüne Themen an den Arbeitsplatz zu bringen. Im Jahr 2019 versammelte sich deshalb eine große Gruppe von Museumsbeschäftigten und unterstützte in der Mittagspause einen Klimastreik. Wir konnten durch diese Aktion neue Mitglieder für die Gewerkschaft werben und zeigen, dass wir das Thema wichtig finden. Dadurch wurden wir für Kolleg:innen relevant, die vorher keine Ahnung hatten, was überhaupt die Aufgaben einer Gewerkschaft sind. In den Jahren 2015/16 gab es einen großen Arbeitskampf in der Londoner Nationalgalerie, weil 400 Arbeitsplätze privatisiert werden sollten. Klimaaktivist:innen unterstützten diesen Arbeitskampf, und thematisierten gleichzeitig, dass die Galerie von einem großen Ölkonzern gesponsert wurde. Gemeinsam konnten wir zeigen, dass Privatisierung und Sponsoring durch die Ölindustrie zwei Seiten derselben, problematischen, Medaille sind.
Sie haben gesagt, dass Sie die Rolle einer „green rep“ innehatten. Was ist das für eine Funktion?
Im Jahr 2007 hat der britische Gewerkschaftsbund TUC beschlossen, die Rolle von „green reps“ einzuführen. Sie sollen im Betrieb die Kolleg:innen über die Klimakrise aufklären, Verbindungen zwischen lokalen Umweltkampagnen und dem eigenen Arbeitsplatz schaffen, sowie mit der Arbeitgeberseite über Verbesserungen des Klimaschutzes im Betrieb verhandeln.
Im Kampf gegen den Klimawandel braucht es einen starken Schulterschluss zwischen Klima- und Arbeiter:innenbewegung! https://t.co/Iel89G0icf
— ÖGB (@oegb_at) October 9, 2023
Oft wird argumentiert, dass mit dem Wegfall fossiler Industrien gewerkschaftlich gut organisierte Jobs wegfallen. Wie sehen Sie die Situation in Großbritannien?
Die neuen „grünen“ Industrien befinden sich großteils im privaten Sektor. Und hier sehen wir große Probleme. Es gibt oft keine gewerkschaftliche Vertretung in den Betrieben, deshalb sind prekäre Arbeitsbedingungen, Scheinselbstständigkeit und mangelnder Arbeitsschutz vorprogrammiert. Die Arbeitsbedingungen bei der Konstruktion der Offshore-Windfarmen sind beispielsweise genauso gefährlich wie auf den Ölplattformen in der Nordsee. Gewerkschaftliche Präsenz ist umso wichtiger. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass zum Beispiel auf Flughäfen prekäre Niedriglohnjobs gang und gäbe sind. Flughafenbetreiber:innen wollen nur möglichst viel Geld aus den Fluggästen herausholen, und dafür wird schlecht bezahltes Servicepersonal eingestellt.
Welche Möglichkeiten gibt es für Belegschaften und Gewerkschafter:innen, diese Widersprüche zu diskutieren und Lösungen anzudenken?
In der britischen Autoindustrie stellen wir fest, dass im Kampf gegen Stellenabbau zunehmend über einen gerechten Übergang diskutiert wird. Und dass Gewerkschaften sagen: Halt, wir brauchen die Fabriken noch, um auf Elektromobilität umzustellen. Aber auch hier müssen wir vorsichtig sein. Wir können nicht jeden Verbrennungsmotor durch ein E-Auto ersetzen. Und die Batterien dieser E-Autos brauchen Rohstoffe, die unter sehr ausbeuterischen Bedingungen im Globalen Süden gewonnen werden. Wir brauchen deshalb dringend eine Diskussion nicht nur innerhalb der einzelnen Sektoren, sondern eine branchenübergreifende Diskussion darüber, wie ein gerechtes Transportwesen der Zukunft aussehen kann, und welche Rolle Lohnabhängige auf dem Weg dorthin spielen können.
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