Unsanfter Einstieg

Laut Gesetz sind Überstunden für Jugendliche unter 18 Jahren verboten. Trotzdem leistet jeder dritte jugendliche Lehrling regelmäßig Überstunden. Fast ebenso hoch ist mit 31 Prozent der Anteil all jener, die häufig oder sehr häufig für ausbildungsfremde Tätigkeiten herangezogen werden. Dies ergab der Lehrlingsmonitor von AK und ÖGB, eine bundesweite Befragung unter Lehrlingen im letzten Lehrjahr.
Das Thema Lehrlinge wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert: Lange Zeit klagten etwa die UnternehmerInnen über untragbare Einschränkungen durch allzu strenge Schutzbestimmungen. Hier gab es in der Vergangenheit bereits einige Veränderungen im Berufsausbildungsgesetz (BAG), zum Teil im Sinne der Wirtschaft. So wurde etwa die Probezeit für Lehrlinge verlängert, die Behaltepflicht nach dem Lehrabschluss verkürzt und die Kündigung erleichtert. Zuletzt wurde mit dem Arbeitsrechtspaket die Ausdehnung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden für über 16-jährige Lehrlinge bei aktiver Reisezeit beschlossen, in Kraft seit Anfang 2016.

Knappes Gut Lehrstellen

Derzeit sind vor allem die Bildungslücken der SchulabgängerInnen ein großes Thema. Allgegenwärtig ist auch das Schlagwort „Fachkräftemangel“. Der allerdings – falls tatsächlich so vorhanden, wie oft kolportiert – wäre nicht wirklich verwunderlich angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Lehrbetriebe und Lehrstellen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken ist. Das führt dazu, dass die Lehrstellen knapp sind, obwohl ohnehin immer mehr Jugendliche nach höherer Bildung streben.

Basisinformationen

Ein weiteres bedenkliches Phänomen: Der Anteil der Erfolgsquoten bei der Lehrabschlussprüfung geht bereits seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Die Zeit war also reif für den ersten Lehrlingsmonitor. Rund 6.500 Lehrlinge im letzten Ausbildungsjahr nahmen zwischen November 2014 und April 2015 an der bundesweiten Online-Befragung teil, die in einigen Bereichen Handlungsbedarf aufgezeigt hat.
Prinzipiell fallen Lehrlinge vor dem vollendeten 18. Lebensjahr unter das Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz. Dieses sieht zahlreiche Beschäftigungsverbote und -beschränkungen vor, zum Beispiel bei Arbeiten mit gefährlichen Arbeitsstoffen oder Arbeitsmitteln. Für alle Altersgruppen unter den Lehrlingen bzw. für die Lehrbetriebe gilt außerdem das Berufsausbildungsgesetz. Durch diese Gesetze sind Jugendliche grundsätzlich sehr gut abgesichert. Die aktuelle Arbeitsmarkt-Situation inklusive Lehrstellenmangel führt allerdings dazu, dass viele Lehrlinge belastende, zum Teil nicht gesetzeskonforme Arbeitsbedingungen hinnehmen.
Laut Berufsausbildungsgesetz dürfen Lehrlinge nur für Tätigkeiten herangezogen werden, die mit dem Wesen der Ausbildung vereinbar sind. Fragt man die Lehrlinge danach, so zeigt sich, dass weniger als die Hälfte ausschließlich für ausbildungsbezogene Tätigkeiten verwendet wird.
Ein Drittel der Lehrlinge gibt sogar an, (sehr) häufig für ausbildungsfremde Tätigkeiten eingesetzt zu werden. „Typisches Beispiel ist, wenn Lehrlinge im ersten Lehrjahr überwiegend Hilfstätigkeiten wie Zusammenkehren erledigen“, erklärt Alexander Prischl, Leiter des ÖGB-Referates Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik.
Ein anderes, gerne zitiertes Beispiel ist der Lehrling, der losgeschickt wird, um Wurstsemmeln für die Belegschaft zu holen. Prischl hat damit unter der Bedingung kein Problem, dass sich alle MitarbeiterInnen dabei abwechseln. „Wenn sich die Beschäftigten in einem Betrieb kollegial auch in der Pause unterstützen, ist es natürlich durchaus in Ordnung, wenn auch einmal die Lehrlinge drankommen“, so der Arbeitsmarktexperte. „Aber dass Lehrlinge überwiegend ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen, ist schlichtweg verboten. Die jungen Leute sollen schließlich einen Beruf erlernen.“

Unfreiwillig und unbezahlt

Überstunden sind, obwohl für Jugendliche verboten, auch bei jedem dritten Lehrling unter 18 an der Tagesordnung – und das nicht immer freiwillig. Zusätzlich leistet ein Drittel der Betroffenen die Überstunden manchmal sogar gratis. Das Ergebnis im Bereich Tourismus sticht besonders hervor: 27 Prozent der Lehrlinge geben an, unfreiwillige Überstunden leisten zu müssen. Hier war auch der Anteil an unbezahlten Überstunden auffallend hoch, ebenso im Gastgewerbe und bei den FriseurInnen.
Dass der Eintritt ins Berufsleben für Lehrlinge in manchen Branchen besonders hart ist, das ergab 2014 auch die IQUAL-Studie „Migration und Lehre“, für die im Auftrag der AK Jugendliche in Wien und Vorarlberg befragt wurden: „Lehrlinge leisten nicht selten […] zahlreiche Überstunden, sie müssen zum Teil schon um 4.00 Uhr früh aus dem Bett, erzählen von zweistündigen Mittagspausen und von zwölfstündigen Arbeitstagen, von denen sie dementsprechend spät völlig müde nach Hause kommen. An das Arbeiten an Wochenenden, inklusive Sonntag und Feiertag, gewöhnen sie sich besonders schwer. Als besondere Belastung empfinden sie dabei die soziale Ausgrenzung, die mit einer Wochenendarbeit verbunden ist.“

Im Besenkammerl auf Abruf

Sind mehrstündige Mittagspausen zumutbar? Das ist eines der seltenen Beispiele für den „Graubereich“ Zumutbarkeit im Lehrlingsbereich. Zunehmend stellen sich derartige Fragen aber auch in Bezug auf Lehrstellen fernab der elterlichen Wohnung. Ist es für eine/n Jugendliche/n aus Niederösterreich zumutbar, eine Lehrstelle in einem Tiroler Hotel anzutreten? „Keine einfache Entscheidung“, gibt Alexander Prischl zu bedenken. „Das hängt vor allem vom Reifegrad der Betroffenen ab. Ich kenne Fälle, wo Jugendliche in einer Art Besenkammerl schlafen und immer wieder auf Abruf arbeiten mussten.“
Sich gegen unzumutbare oder illegale Arbeitsbedingungen zu wehren, fällt auch den meisten Erwachsenen schwer, umso belastender sind solche Situationen für Jugendliche. Im Gegensatz zum oft kolportierten Bild des selbstbewussten Youngsters, der oder die schnell mal seine/ihre Rechte auf dem Handy googelt und sich bei Konflikten zu helfen weiß, vermeiden viele Lehrlinge Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz oder leisten unbezahlte Überstunden. Sie wissen, dass Lehrstellen knapp sind, und wollen die spätere Anstellung nach der Lehrabschlussprüfung nicht gefährden.

Da muss man durch?

Generell ist es im Falle von Unzumutbarkeiten, Konflikten oder Gesetzesübertretungen empfehlenswert, sich möglichst frühzeitig an den/die Jugendvertrauensrat/-rätin zu wenden bzw. sich von AK- oder ÖGB-ExpertInnen beraten zu lassen. „Denn“, so berichtet Markus Schüller, AK-Arbeitsrechtsexperte im Beratungszentrum Ost, „bei Konflikten sind nach Monaten oder Jahren Konsenslösungen tendenziell schwieriger möglich. Auch das Auffinden einer neuen Lehrstelle ist in der Regel aussichtsreicher, wenn die Lehrzeit noch nicht so weit fortgeschritten ist.“
Die jeweilige Ausbildungsordnung definiert detailliert und nach Lehrjahren gegliedert, wann welche Ziele vom Ausbildungsbetrieb erreicht werden müssen, welche Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln sind.

Sinkende Erfolgsquoten

Laut Lehrlingsmonitor wissen mehr als 70 Prozent der Befragten über Ausbildungsziele und Inhalte Bescheid, allerdings sind elf Prozent sogar noch am Ende der Lehrzeit darüber nur unzureichend informiert. Wie weit Jugendliche über Beschränkungen beim Arbeiten mit gefährlichen Stoffen oder bestimmten Maschinen tatsächlich informiert sind, wurde übrigens nicht erhoben. Die Ausbildungsordnungen für die verschiedenen Lehrberufe sind online einfach abrufbar und eignen sich durchaus auch als Basisinformation für eine Berufsentscheidung.

Nachlese:
AK-Ratgeber „Lehrlings- und Jugendschutz am Arbeitsplatz“ zum Download:
tinyurl.com/ztxkn6d

Linktipps:
team4young, Informationskampagne der Arbeitsinspektion für LehrerInnen, SchülerInnen und Lehrlinge:
tinyurl.com/zkjeomo
So geht es den Lehrlingen in Österreich:
www.lehrlingsmonitor.at

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Von Astrid Fadler, Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/16.

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