Profitvehikel – Leiharbeit

Auch ohne schwere Weltwirtschaftskrise mit unbekannten Folgen hat der Finanzmarkt-Kapitalismus der vergangenen Jahre tiefe Spuren in Arbeitswelt und Gesellschaft hinterlassen. Kurzfristige Steigerung von Gewinn und Aktienkurs gehen zulasten arbeitender Menschen. Leiharbeit ist ein willkommenes Instrument dafür.
Der Anteil »klassischer« Beschäftigung ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken, die Zahl der LeiharbeiterInnen aber wächst kontinuierlich. In den vergangenen zehn Jahren hat sich deren Zahl in Österreich mehr als verdreifacht. Mitte des Vorjahres waren mehr als 68.000 Menschen als LeiharbeiterInnen beschäftigt. Leiharbeitsfirmen sind gewachsen, ihre Zahl hat zugenommen und sie gehören zu den besten »Kunden« des AMS. 21 Prozent der im AMS gemeldeten offenen Stellen kamen im vergangenen Jahr von Zeitarbeitsfirmen. 1998 lag dieser Anteil noch bei rund 4,1 Prozent der gemeldeten Stellen.

In den 1970ern Arbeitskräfteersatz

Zu Beginn der Entwicklung der Leiharbeitsbranche war der Ad-Hoc-Ersatz charakteristisch: geringe Nutzungsintensität, punktuelle, auf wenige Arbeitsbereiche beschränkter Einsatz und eine vergleichsweise kurze Einsatzdauer. Betriebe nutzten Leiharbeit, um kurzfristigen Personalausfall zu kompensieren. Stand in den 1970er- und 1980er-Jahren Leiharbeit als Arbeitskräfteersatz im Mittelpunkt, hat sie zwischenzeitlich quantitativ stark an Bedeutung verloren.
Leiharbeit als Anpassungsinstrument – als Flexibilitätspuffer – an reale Schwankungen des Auftragsvolumens gehört ebenfalls zur klassischen Typologie. Durch Leiharbeit reduzieren Unternehmen vor allem Such- und Einstellungskosten, denn Verleihfirmen übernehmen die Selektion und Rekrutierung potenzieller Arbeitskräfte, jedoch mit dem Risiko der »Verfügbarkeit« von Arbeitskräften in ausreichendem Umfang. Oft ist der kurzfristige Bedarf so höher, als einzelne Verleihfirmen Leiharbeitskräfte zur Verfügung stellen können.

Heute strategisches Instrument

Unternehmen nutzen neuerdings Leiharbeit nicht mehr nur als Anpassungsinstrument, sondern als strategisches Instrument. Sie wird eingesetzt, um ungewisse Entwicklungen der Märkte auf Profitabilität und damit die Kapitalrendite zu kontrollieren. Damit wird Leiharbeit zum Instrument des Finanzmarktkapitalismus. Die Leiharbeitskräfte werden zu einem festen Bestandteil der Belegschaft und dauerhaft für die gleichen Arbeiten wie die Stammkräfte eingesetzt. Disponenten der Verleihfirmen übernehmen Teile der Steuerung und Kontrolle der Arbeit, entweder in Form des On-Site-Managements oder durch regelmäßige Besuche im Betrieb. Zur Stabilisierung der Profitabilität im Falle eines unerwarteten Auftragseinbruchs können die Leiharbeitskräfte unmittelbar an die Verleihfirma zurückgeschickt werden. Durch Leiharbeit wird ein erheblicher Teil des Beschäftigungsrisikos »ausgelagert«, der gesetzliche Kündigungsschutz faktisch ausgehebelt. Gerade Leiharbeit diesen Typs kann zum neuen bevorzugten Instrument der kapitalorientierten Beschäftigungsformen werden.

Leiharbeit bleibt unfreiwillig

Die Angst um den Arbeitsplatz lässt viele in den sauren Apfel beißen, für viele ist Leiharbeit besser als Arbeitslosigkeit. Allerdings wählen nur wenige freiwillig dieses Beschäftigungsverhältnis. Laut einer Sora-Umfrage haben sich 55 Prozent der Befragten für Leiharbeit entschieden, weil sie sonst keine Arbeit gefunden hätten. Lediglich 20 Prozent davon sind der Ansicht, damit die für sie passende Beschäftigungsform gefunden zu haben. LeiharbeiterInnen bekommen als Erste grobe Konjunkturschwankungen, ausgelöst durch die Finanzmarktkrise, zu spüren.
Niederschlag findet diese »Zwangslage« im Arbeitklima-Index. Seit 1997 vierteljährlich erhoben ist er Maßstab für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel und lässt relevante Schlüsse auf die Befindlichkeit aller Beschäftigten zu und die zeigt sich relativ düster. Der jüngst veröffentliche »Resignationsindex« hat gegenüber dem Vorjahr um weitere vier Punkte zugelegt und hält bei einem Höchststand von 65 Punkten. Deutlich erkennbar, dass viele ArbeitnehmerInnen ihre Erwartungen an die berufliche Tätigkeit nach unten geschraubt haben und nicht mehr an eine positive Veränderung ihrer Arbeitsbedingungen glauben. Rund zehn Prozent der Beschäftigten müssen zur Gruppe der völlig Resignierten gezählt werden. Wenn Krisen aufziehen, stehen LeiharbeiterInnen meist ganz vorne auf der Liste der »Freisetzungen«, ihnen bläst der eisige Wind als Erste ins Gesicht. Aber auch der Stammbelegschaft wird durch LeiharbeiterInnen täglich vorgeführt, wie schnell sich die Arbeitsverhältnisse ändern können.

Leiharbeit ist im Kommen

ExpertInnen gehen davon aus, dass es zu einer verstärkten Zunahme von Leiharbeit nach der »Krise« kommen wird. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie des Deutschen Otto-Brenner-Institutes der IG-Metall. Die Ursachen dafür sind dreierlei. Zum einen sind viele Unternehmen in den vergangenen »guten« Zeiten bezüglich Leiharbeit auf den Geschmack gekommen. Für Unternehmen, die sich an kurzfristigen Renditen orientierten, hat sich die strategische Nutzung des Instruments Leiharbeit als kurzfristige Absicherung der Kapitalrendite und der Profitabilität bewährt. Dass kurzfristige Kosteneinsparungen möglicherweise langfristige Folgekosten in Form von sinkender Mitarbeiterloyalität, einer Überalterung der Belegschaften, Qualitätsproblemen entstehen können, wird unter dem Druck der Kurzfristigkeit kaum wahrgenommen.
Zum anderen stehen, bedingt durch die Krise, neue Rationalisierungen bevor. Arbeitsabläufe werden zerlegt, betriebliches Wissen der Arbeitskräfte wird entwertet, Erfahrungswissen betrieblicher FacharbeiterInnen wird in Daten und Informationssysteme verlagert und so nicht nur Produktionsfluss und Warenfluss, sondern auch Arbeit gesteuert. Anlernzeiten für LeiharbeiterInnen verringern sich, die qualifizierten Arbeitskräfte sind einfacher austauschbar und die Barrieren für strategische Nutzung der Leiharbeit werden durchlässig.
Zu guter Letzt fördert strategische Nutzung von Leiharbeit Schließungsprozesse, die für Verleihfirmen zunehmend mehr qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar machen. Je mehr Betriebe die neuen Nutzungsstrategien einsetzen, desto größer ist die Verfügbarkeit auch an qualifizierten Leiharbeitskräften. Verleihfirmen spielen bereits auf dem »Klavier«, es mehren sich Anzeichen dafür. Direkt vom Arbeitsmarkt werden aus diesen Berufsgruppen kaum noch Arbeitskräfte rekrutiert. Damit sinken für Arbeitskräfte, die in der aktuellen Krise arbeitslos werden, die Chancen, direkt in ein reguläres Arbeitsverhältnis zurückzukehren. Während minder ausgebildete Leiharbeitskräfte in großer Zahl betriebsbedingt gekündigt werden, versuchen die Verleihfirmen qualifizierte Arbeitskräfte zu halten. Die Verleihfirmen warten nur darauf, arbeitslos gewordene FacharbeiterInnen als potenzielle Leiharbeitskräfte zu rekrutieren, um für den »neuen« Aufschwung, für wirtschaftliche bessere Zeiten gerüstet zu sein.

Bis zu einem Drittel Leihpersonal

Schwankende Anforderungen von Kunden/-innen, Rendite und Kostenvorgaben können nur bedient werden, wenn sich die Belegschaft bis zu einem Drittel aus Leihpersonal zusammensetzt. Sie werden nur bezahlt, wenn es Arbeit gibt und können einfach entlassen werden. Die Leiharbeit wird zum strategischen Management-Instrument. Ursprünglich gedacht für Boomzeiten, oder um kurzfristig Personal einzustellen, wird die Leiharbeit mehr und mehr zu anderen Zwecken genutzt.

Reservearmee

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass eine wachsende Zahl von Unternehmen versucht, Leiharbeit verstärkt zur Profitsteigerung zu nutzen. LeiharbeiterInnen werden, reduziert auf ihre strategische Nutzung, zu einer »Reservearmee« und führen dem Stammpersonal ihre Ersetzbarkeit direkt vor Augen, einem positiven Arbeitsklima nicht gerade dienlich.

Weblink
Studie des Otto-Brenner-Institutes:
www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/style.xsl/view_1765.htm

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Von Dr. Franz Mangelberger (Freier Journalist)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2009.

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