Moderne Frauen am Bildschirm

Chinesische TV-Serien erleben seit dem letzten Jahrzehnt einen Hype in China: Seit dem Jahr 2000 wurden mehr als 10.000 Episoden produziert. So ist es kaum verwunderlich, dass Chinesinnen und Chinesen geradezu Serienjunkies sind. Ein Pendant der US-Sitcom Friends gibt es ebenso wie eine Serie über eine Premierministerin. Besonders interessant dabei ist die Darstellung der Frauen, denn diese macht ein neues Selbstbewusstsein vieler chinesischer Frauen in der Arbeitswelt sichtbar. Daran ablesbar sind auch die großen Veränderungen der chinesischen Gesellschaft, die mit den umfangreichen Reformen in den 1980er-Jahren begonnen haben.

Öffnungsepoche

Der Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft hat eine wichtige Öffnungsepoche im Reich der Mitte eingeläutet – mit neuen Chancen für Wirtschaft, Politik und nicht zuletzt für Kultur. Die Reformen seit 1978 haben eine Umwälzung der gesamten chinesischen Gesellschaft in Gang gesetzt.

Die Bevölkerung hat zunehmendes Interesse an westlicher Konsumkultur entwickelt. Sie wollte neues Wissen, neue Informationen und schaffte Platz für neue Ideale und Lebensstile. Ehrgeizig, städtisch und unabhängig zu sein galt nun als schick. Modernisierung auf vielen Ebenen – per Verordnung von oben. Mit der Ära der „Reformen und Öffnung“ und der Austragung der vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking hat sich auch der soziale Status von Frauen in China verbessert.

Emanzipation am Bildschirm

Nach 1978 traten in chinesischen TV-Serien immer mehr Schauspielerinnen auf, die jung, attraktiv, städtisch, selbstbewusst und erfolgreich waren. Eine Diplomarbeit der Universität Iowa aus dem Jahr 2011 untersuchte, wie Frauen in chinesischen Fernsehserien zwischen 1979 und 2008 dargestellt wurden und wie sich ihr beruflicher Status verändert hat. Untersucht wurde dies am Beispiel von 62 Serien. Die meisten Frauencharaktere wurden als unabhängig, optimistisch und selbstbestimmt dargestellt. In allen drei Jahrzehnten war ein Großteil der weiblichen Charaktere unter 39 Jahre alt.

Die berufliche Darstellung der Schauspielerinnen hat sich innerhalb dieses Zeitraums wesentlich verändert. In den 1980ern übten Frauen haushaltsbezogene Tätigkeiten aus, wurden als familienorientierter dargestellt und weniger in berufliche Entscheidungsprozesse einbezogen als in den Jahrzehnten danach. In den folgenden Jahren wurden Frauen zunehmend als gebildet und wirtschaftlich unabhängig gezeigt, mit einer steigenden Anzahl an Berufen. Weibliche Fernsehcharaktere haben eine höhere Schul- und Universitätsbildung als noch vor dreißig Jahren und stehen auf demselben intellektuellen Niveau wie Männer.

Insgesamt übten die 298 untersuchten Frauencharaktere 135 unterschiedliche Berufe aus – eine beachtliche Vielfalt, die seit den 1990ern sogar noch ansteigt. Ebenfalls sind seit den 1990er-Jahren Migrantinnen in der Arbeitswelt am Bildschirm zu sehen, wenn auch nur wenige. Frauen aus dem ländlichen Raum bleiben hingegen in der visuellen Bedeutungslosigkeit.

Der bessere soziale Status, die größere wirtschaftliche Unabhängigkeit und die größere Berufsvielfalt, die das Fernsehen suggeriert, deuten auf eine modernere Position der Frau in der Gesellschaft hin.

Die Hälfte des Himmels

Die Gleichstellung von Mann und Frau war ein wesentliches Bestreben im chinesischen Kommunismus. Unter dem Motto „Frauen tragen die Hälfte des Himmels“ hat Mao Tse-tung chinesische Frauen aus dem Haus in das Berufsleben geholt. Sie wurden während der Planwirtschaft in allen Wirtschaftsbereichen eingesetzt und erhielten als Entschädigung für die harte Arbeit Zugang zu Bildung und Politik. Heute stehen 72 Prozent der chinesischen Frauen im Berufsleben. Sie verdienen rund 50 Prozent der privaten Haushaltseinkommen und besetzen knapp die Hälfte der mittleren Managementpositionen in Chinas Unternehmen. Damit liegt das Reich der Mitte weltweit im Spitzenfeld. Die Besserstellung, die der Kommunismus den chinesischen Frauen gebracht hat, lässt sich auch an der Bildung ablesen: 96 Prozent der chinesischen Mädchen besuchen heutzutage eine Schule. Vor der Gründung der Volksrepublik China 1949 waren es nur 20 Prozent. An den Universitäten sind mittlerweile mehr Frauen für Masterstudien eingeschrieben als Männer. Drei Viertel der Absolventinnen streben laut dem Center for Work-Life Policy nach dem Studium eine Führungsposition an. In den USA will das nur die Hälfte der Studentinnen.

Blinde Flecken

Das Bild dieser selbstbewussten, ehrgeizigen und unabhängigen Frauen bestimmt auch die Wesenszüge der chinesischen Fernsehfrauen. Die Serienwelt ist jung und dynamisch. Älterwerden wird in chinesischen TV-Serien nicht thematisiert. Finanzielle Probleme, berufliche Diskriminierung oder sexuelle Ausbeutung kommen laut der Studie aus Iowa am Bildschirm nicht vor, ebenso wenig wie Frauen aus dem ländlichen Raum, ungebildete, pessimistische oder geschiedene Frauen. Die Frauen der TV-Serien sind erfolgreich, vor allem wenn sie sowohl Familie und Beruf genug Aufmerksamkeit schenken. Knapp die Hälfte der Frauencharaktere sind Mütter und Ehefrauen. Sie werden nur selten ohne Familienkontext dargestellt. Das sind jene Werte und Normen, die das politische System Chinas landesweit medial verbreiten möchte. Im kulturellen Bereich zieht es noch stark die Fäden. Einstellungen, die den propagierten Werten trotzen, haben im Fernsehen nichts verloren. Mit den systemkonformen Bildern werden auch die blinden Flecken der TV-Welt deutlich. Denn die reale Welt ist trotz zahlreicher kommunistischer Errungenschaften für chinesische Frauen weniger rosig als ihr virtuelles Ideal.

Von der Fiktion zur Realität

Nach wie vor gehören Sexismus am Arbeitsplatz, ungleiche Berufschancen und die Zurückdrängung in die familiäre Rolle für viele chinesische Frauen zum Alltag. Von wirtschaftlicher Unabhängigkeit sind gerade die vielen Frauen in ländlichen Gegenden, Migrantinnen und Ältere weit entfernt. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob Frauen in großen Metropolen wie Shanghai oder Peking leben oder auf dem Land. Konfuzianische Traditionen, die Frauen benachteiligen, leben vor allem außerhalb der Städte weiter. Je ärmer die Gegend und je ungebildeter die Frauen, desto größer ist der Widerspruch zwischen Serienwelt und realem Leben. Das wirtschaftlich erfolgreiche und unabhängige Leben, das die Serienfrauen suggerieren, trägt dazu bei, dass immer mehr Frauen aus ländlichen Gegenden ihr Glück in den Städten versuchen, wo sie oftmals für Hungerlöhne ausgebeutet werden.

Chinas Frauen bekleiden zwar viele Positionen im mittleren Management. In Spitzenpositionen und politischen Ämtern sind sie nach wie vor selten zu finden. In den letzten Jahren hat sich die Situation von Frauen am Arbeitsmarkt verschlechtert. Je nach Umfrage beklagen zwei Drittel bis drei Viertel der chinesischen Frauen geschlechtsspezifische Benachteiligungen in der Arbeit. Nach einer von der chinesischen Regierung veröffentlichten Studie arbeiten Chinas Frauen durchschnittlich um zwei Stunden länger als Männer. Ihr Einkommen liegt jedoch um etwa vierzig Prozent niedriger. Hausarbeit ist auch in China zum Großteil Frauensache. Benachteiligungen von Frauen im Privaten und Beruflichen sind in China nach wie vor genauso Realität wie in den meisten anderen Ländern. Eine chinesische Bloggerin merkt deswegen zynisch an: „Wenn wir Frauen die eine Hälfte des Himmels tragen, wer verdammt noch mal trägt dann die andere Hälfte?“ Fakt ist: Chinas Gesellschaft verändert sich zwar rasant, den Blick dabei nur auf städtische Erfolgsgeschichten zu richten, wäre jedoch einseitig. Auch wenn in chinesischen TV-Serien Frauen die Hälfte des Himmels erreicht haben, ist es in der Realität noch ein weiter Weg bis dorthin.

Web-Tipp:
Studie über das Frauenbild in chinesischen TV-Serien zwischen 1979 und 2008 (Englisch):
tinyurl.com/k7le893

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Von Irene Steindl, Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/14.

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